VISIONEN 4: Der Moloch

Wir lesen gemeinsam ausgewählte Science Fiction-Bücher und diskutieren darüber!
Benutzeravatar
breitsameter
Ghu
Ghu
Beiträge: 12229
Registriert: 25. Dezember 2001 00:00
Bundesland: Bayern
Land: Deutschland
Wohnort: München
Kontaktdaten:

Ungelesener Beitrag von breitsameter »

Jan Gardemann hat geschrieben:Ich gehe mal das Risiko ein, die Handlung kurz aufzuschlüsseln (auch auf die Gefahr hin, mich vollkommen zu irren):
Also ich habe die Kurzgeschichte ganz genauso verstanden wie Du.
Jan Gardemann hat geschrieben:Die Erfahrung, die er mit seinem Körper an diesem seltsamen Ort macht, an dem sie gestrandet sind, kommt wohl einer "Erleuchtung" gleich.
Ich hatte dabei die Vorstellung im Kopf, daß das Raumschiff vielleicht sehr nahe oder gar in einem Schwarzen Loch gelandet ist – darum auch die seltsamen physikalischen Eigenschaften der Umgebung.
Echte Vampire schillern nicht im Sonnenlicht, sie explodieren. Echte Helden küssen keinen Vampir, sie töten ihn.
Benutzeravatar
Jimi
Neo
Neo
Beiträge: 7
Registriert: 23. September 2005 10:11
Land: Deutschland
Wohnort: Dortmund
Kontaktdaten:

Ungelesener Beitrag von Jimi »

Das ist eine vollkommen korrekte Zusammenfassung. Freut uns, dass dir die Story so gut gefallen hat, Jan :wink:
Edit: Selbstverständlich freut es uns auch, wenn sie anderen Lesern ebenfalls gefällt...

Natürlich kommt man als Autor ins Grübeln, wenn sich herausstellt, dass eine Story offensichtlich bei vielen Lesern Fragezeichen erzeugt. Deshalb ein kurzer Hinweis an dieser Stelle, der kein Versuch sein soll, die Story zu erklären oder irgend jemandem eine Deutung aufzuzwingen.
Anstoß für die Story hat ein Interview mit dem Quantenphysiker David Deutsch gegeben, das wir vor einiger Zeit gelesen haben. Da ging es unter anderem um die Viele-Welten-Theorie. Eine ziemlich radikale Vorstellung, die uns eine Weile beschäftigt hat. "Hyperbreed" ist dabei herausgekommen. Da wir aber wollten, dass auch die Leser, die von dieser Multiversum-Sache noch nie gehört haben, einen Zugang zum Verständnis der Story haben, haben wir das in einen Konflikt eingebettet, bei dem es vor allem um die Frage geht, inwieweit man sich selbst verändern muss, um tatsächlich aus den Begrenzungen, die Tradition und Methode Forschern zwangsläufig auferlegen, herauszukommen. Gewohnheiten geben Sicherheit, aber sie verstellen den Blick. Und der biologische Körper mit seiner begrenzten, auf unsere Umgebung zugeschnittenen Wahrnehmungsfähigkeit stellt eine ultimative Grenze dar.

Wer glaubt, die Story nicht verstanden zu haben, hat sie wahrscheinlich trotzdem verstanden :bier: - immerhin können wir Söderberg auch nicht dorthin folgen, wo er hingeht. Wir stehen auf der Schwelle und werfen einen Blick durch die Tür. Wenn es um Dinge geht, die man nicht verstehen kann, weil sie der eigenen Erfahrung widersprechen, dann ist Verständnislosigkeit eine angemessene Reaktion. Metaphysisch? Ja. Esoterisch? Nö.
Benutzeravatar
lapismont
SMOF
SMOF
Beiträge: 13851
Registriert: 17. Februar 2004 13:23
Land: Deutschland
Liest zur Zeit: Michael Moorcock – Elric
Uschi Zietsch –Unerwartete Begegnungen

Usch Kiausch – Andere Welten Band 1
Wohnort: Berlin
Kontaktdaten:

@Jimi

Ungelesener Beitrag von lapismont »

Wird es weitere Storys in diesem Umfeld geben, oder eine Weiterführung?
Benutzeravatar
Jimi
Neo
Neo
Beiträge: 7
Registriert: 23. September 2005 10:11
Land: Deutschland
Wohnort: Dortmund
Kontaktdaten:

Ungelesener Beitrag von Jimi »

Wird es weitere Storys in diesem Umfeld geben, oder eine Weiterführung?
Eine Weiterführung wohl nicht. Andere Storys um den Themenkreis "Viele-Welten-Theorie" möglicherweise. Aber im Augenblick arbeiten wir an anderen Sachen.

Gruß, Frank
Benutzeravatar
breitsameter
Ghu
Ghu
Beiträge: 12229
Registriert: 25. Dezember 2001 00:00
Bundesland: Bayern
Land: Deutschland
Wohnort: München
Kontaktdaten:

Die Lokomotive

Ungelesener Beitrag von breitsameter »

Kommen wir heute nun also zum zweiten längeren Text in den Visionen 4: »Die Lokomotive« von Marcus Hammerschmitt.

Marcus gehört zu den Autoren, deren Werk ich sehr gut kenne, ich schätze ihn persönlich sehr, und ich durfte ihm auch 1995 seinen ersten SFCD-Literaturpreis (heute: Deutschen Science Fiction Preis) überreichen. Und trotzdem hat mich Marcus mit seiner Geschichte »Die Lokomotive« überrascht (und auch begeistert), denn diese Geschichte über einen kleinen Arbeiter für eine kleine Lüge letztlich doch büßen muß, ist für mich das erste wahre Highlight dieses Visionen-Bandes. Diese Geschichte ist qualitativ deutlich über den anderen angesiedelt und erinnert an Franz Kafka und George Orwell, denn auch hier wird ein eigentlicher braver Bürger Opfer des Systems. Ich sag`s nochmal: Klasse!
Zuletzt geändert von breitsameter am 22. Oktober 2007 17:54, insgesamt 1-mal geändert.
Echte Vampire schillern nicht im Sonnenlicht, sie explodieren. Echte Helden küssen keinen Vampir, sie töten ihn.
Benutzeravatar
frankh
BNF
BNF
Beiträge: 764
Registriert: 25. Dezember 2003 18:05
Land: Deutschland
Wohnort: Busch
Kontaktdaten:

Ungelesener Beitrag von frankh »

Ich habe die Geschichte anders interpretiert, denn der Protagonist ist ja keineswegs nur Opfer. Totalitäre Systeme können überhaupt nur mit Leuten wie diesem Josefo funktionieren, die auch die persönlichen Beziehungen an der Opportunität ausrichten. Es ist ein glänzend inszeniertes Kammerspiel mit einer Täter-Opfer-Figur im Mittelpunkt, deren moralische Deformation Folge und Teil der totalitären Gesellschaft ist.

Was mich ein wenig gestört hat, war die kühle Distanz, mit der der Autor seine Figuren agieren läßt. Der Leser mag - wenn überhaupt - nur für Nathalie etwas Sympathie zu empfinden, die dann ziemlich abrupt von der Bühne gekehrt wird. Fazit: Eine sehr intellektuelle Geschichte, die ohne nennenswerte Emotionen auskommt, was offenbar nicht jeder als Manko empfindet.

Gruß

Frank
Benutzeravatar
breitsameter
Ghu
Ghu
Beiträge: 12229
Registriert: 25. Dezember 2001 00:00
Bundesland: Bayern
Land: Deutschland
Wohnort: München
Kontaktdaten:

Ungelesener Beitrag von breitsameter »

frankh hat geschrieben:Fazit: Eine sehr intellektuelle Geschichte, die ohne nennenswerte Emotionen auskommt, was offenbar nicht jeder als Manko empfindet.
In der Tat gab es andere Kurzgeschichten von Marcus, bei denen mich die Emotionslosigkeit des einen oder anderen Protagonisten deutlich mehr gestört hat. Hier ist es anders: gerade Josefo hat vor allem nur »Platz« für ein Gefühl, das alles in seinem Leben bestimmt – Angst. Angst die ihn lähmt und ihm Umgang mit seinen Mitmenschen auch zu emotionslos werden läßt.
Echte Vampire schillern nicht im Sonnenlicht, sie explodieren. Echte Helden küssen keinen Vampir, sie töten ihn.
Benutzeravatar
ChristianW
True-Fan
True-Fan
Beiträge: 323
Registriert: 13. März 2005 18:30
Land: Deutschland
Kontaktdaten:

Ungelesener Beitrag von ChristianW »

breitsameter hat geschrieben:In der Tat gab es andere Kurzgeschichten von Marcus, bei denen mich die Emotionslosigkeit des einen oder anderen Protagonisten deutlich mehr gestört hat.
Mir ging es so mit "Canea Null" - ich fand die Story zwar nicht schlecht, hab sie aber weitgehend mit relativ großer Distanz gelesen.

"Die Lokomotive" hat mich stärker gefesselt, teilweise sogar in den Bann gezogen, wobei dies nicht in erster Linie die Charaktere ausgemacht haben, sondern auch der Hintergrund und der Plot. Im Grunde war's für mich auch eine sehr unterhaltsame Abenteuerstory, in der neben Orwell auch ein bisschen Jack London und (nicht schlagen!!) Dr. Schiwago durchkam. Eine interessante, spannende Mischung, und eine sehr gute Story in meinen Augen.
Benutzeravatar
Jan Gardemann
True-Fan
True-Fan
Beiträge: 117
Registriert: 13. November 2006 19:07
Land: Deutschland
Kontaktdaten:

Ungelesener Beitrag von Jan Gardemann »

Hallo,

aus Zeitmangel muss ich mich leider vorerst von diesem Lesezirkel abmelden. Ein berufsbedingter Lese- und Textüberarbeitungsplan erlaubt es mir zu Zeit nicht, in der "Freizeit" meinen privaten Lesegewohnheiten nachzukommen. So schlimm hat es mich noch nie erwischt. :wink:
Vielleicht klinke ich mich bei kürzeren Geschichten wieder ein - bei den Erzählungen muss ich leider aber passen.
Viele Grüße
Jan
Benutzeravatar
breitsameter
Ghu
Ghu
Beiträge: 12229
Registriert: 25. Dezember 2001 00:00
Bundesland: Bayern
Land: Deutschland
Wohnort: München
Kontaktdaten:

Ungelesener Beitrag von breitsameter »

Jan Gardemann hat geschrieben:aus Zeitmangel muss ich mich leider vorerst von diesem Lesezirkel abmelden. Ein berufsbedingter Lese- und Textüberarbeitungsplan erlaubt es mir zu Zeit nicht, in der "Freizeit" meinen privaten Lesegewohnheiten nachzukommen. So schlimm hat es mich noch nie erwischt. :wink:
Schade! Ich bin zwar derzeit auch sehr viel mit anderen Dingen beschäftigt, aber da ich schon etwas »vorgelesen« habe, mache ich dann halt vorerst (fast) alleine weiter...
Komisch, über die Einstellung der Visionen-Reihe wurde noch fleißig diskutiert, aber der Inhalt selbst scheint kaum von Interesse zu sein.
Echte Vampire schillern nicht im Sonnenlicht, sie explodieren. Echte Helden küssen keinen Vampir, sie töten ihn.
Benutzeravatar
breitsameter
Ghu
Ghu
Beiträge: 12229
Registriert: 25. Dezember 2001 00:00
Bundesland: Bayern
Land: Deutschland
Wohnort: München
Kontaktdaten:

»eDead.com« von Uwe Post

Ungelesener Beitrag von breitsameter »

Okay, machen wir also weiter mit »eDead.com« von Uwe Post.

Nach dem Tod können Verstorbene, deren Angehöroge zahlen, virtuell auf den Servern von eDead.com weiterleben – in billiger Animation und eingeschränkten Möglichkeiten, ganz ähnlich einem heutigen Multiplayeronline-Spiel. Das alles klingt so, als ob die Kurzgeschichte für die Computerzeitschrift c't geschrieben worden wäre, denn die Handlung dreht sich in Folge auch nur um die Einschränkungen, die sich für die Hauptfigur aus den Vorgaben des eDead-Servers ergeben. Nichts weltbewegendes also, aber als im Vergleich zum Rest relativ kurze Geschichte, dann doch als kurze Verschnaufspause geeignet...
Echte Vampire schillern nicht im Sonnenlicht, sie explodieren. Echte Helden küssen keinen Vampir, sie töten ihn.
Benutzeravatar
Mammut
SMOF
SMOF
Beiträge: 2363
Registriert: 16. Januar 2002 00:00
Land: Deutschland
Kontaktdaten:

Ungelesener Beitrag von Mammut »

Ich hatte ungefähr den gleichen Eindruck. Ein netter lesbarer Lückenfüller.
Benutzeravatar
breitsameter
Ghu
Ghu
Beiträge: 12229
Registriert: 25. Dezember 2001 00:00
Bundesland: Bayern
Land: Deutschland
Wohnort: München
Kontaktdaten:

Thor Kunkel – »Aphromorte«

Ungelesener Beitrag von breitsameter »

Schön, daß es zumindest noch einen weiteren Kommentar zu Uwe Posts Kurzgeschichte gab. Wie's scheint hat die Einstellung der Visionen-Reihe mehr Leute an die Tastaur getrieben, als es der Inhalt schafft. Nun ja, vielleicht war das auch der Tod dieser Reihe...

Aber kommen wir jetzt zu Thor Kunkel und »Aphromorte«:
In Europa und Asien ist eine virale Seuche ausgebrochen, die dazu führt, daß sich die Betroffenen sozusagen zu Tode f****n. Ein Szenario also, das viel Freiraum für Spanner bietet, denn endlich ist ein Grund gefunden ausgiebig einen Gangbang nach dem anderen zu beschreiben. Gähn. Interessant dann höchstens das Ende der Geschichte: einer der beiden Wissenschaftler, die auf ein Flüchtlingsboot wollen, konnte den sexuellen Annäherungen einer Kranken anscheinend nicht widerstehen...
Echte Vampire schillern nicht im Sonnenlicht, sie explodieren. Echte Helden küssen keinen Vampir, sie töten ihn.
Benutzeravatar
ChristianW
True-Fan
True-Fan
Beiträge: 323
Registriert: 13. März 2005 18:30
Land: Deutschland
Kontaktdaten:

Re: Thor Kunkel – »Aphromorte«

Ungelesener Beitrag von ChristianW »

breitsameter hat geschrieben:Schön, daß es zumindest noch einen weiteren Kommentar zu Uwe Posts Kurzgeschichte gab. Wie's scheint hat die Einstellung der Visionen-Reihe mehr Leute an die Tastaur getrieben, als es der Inhalt schafft. Nun ja, vielleicht war das auch der Tod dieser Reihe...
Die Einstellung einer solchen Reihe wiegt schwerer als die Eindrücke zu einer einzelnen Story, denke ich - unabhängig davon, wie gut die Story ist. Und das hat sich in den Kommentaren zur Einstellung der Reihe auch ausgedrückt. Kommentare zu Kurzgeschichten kommen ja (leider) meist nur einige wenige, und oft auch von denselben Leuten (auch nur einigen wenigen). Aber an der Zahl der Kommentierenden liegt's eher nicht, dass die Reihe eingestellt wird, denke ich - eher daran, dass die Masse der Leser, die sich ein Buch kauft und eben nur Leser ist, ohne seine Meinung in einem Forum kundzutun, der Reihe kauftechnisch nicht in dem Maß zugesprochen hat, wie es Herausgeber und/oder Verlag erwartet haben.

Dass sich nur wenige am Lesezirkel beteiligen, liegt vielleicht auch daran, dass sich der Lesezirkel über einen sehr langen Zeitraum hinzieht, der nicht unbedingt zum individuellen Leserhythmus passt - das geht mir auch so. Ich bin mit dem Lesen schon weiter, und die Erinnerung an Details verblasst dann bis zu dem Zeitpunkt, an dem eine Story an die Reihe kommt. Für so einen Lesezirkel müsste man sich als Leser so disziplinieren, dass man jede Story genau dann liest, wenn sie dran ist. Das fällt mir aber aus verschschiedenen Gründen schwer.

Uwe Posts Story hab ich schon vor einiger Zeit gelesen, als sie als Siegerstory des Wettbewerbs ins Netz gestellt wurde. Sie hat mir damals ziemlich gut gefallen, und beim Lesen im Buch auch wieder. In Bezug auf die Länge der Story fand ich das Thema gut und unterhaltsam umgesetzt.

"Aphromorte" hat mir dagegen nur mäßig gut gefallen. Stellenweise fand ich die Story herrlich absurd, teils schweift das Ganze aber dann doch sehr in Richtung Kalauer ab.
Benutzeravatar
frankh
BNF
BNF
Beiträge: 764
Registriert: 25. Dezember 2003 18:05
Land: Deutschland
Wohnort: Busch
Kontaktdaten:

Re: Thor Kunkel – »Aphromorte«

Ungelesener Beitrag von frankh »

breitsameter hat geschrieben:Schön, daß es zumindest noch einen weiteren Kommentar zu Uwe Posts Kurzgeschichte gab. Wie's scheint hat die Einstellung der Visionen-Reihe mehr Leute an die Tastaur getrieben, als es der Inhalt schafft. Nun ja, vielleicht war das auch der Tod dieser Reihe...
Das ist was dran, denke ich.
Man kann für 20 Aktive und vielleicht zehn mal soviel dauerhaft Interessierte nicht auf Dauer diesen Aufwand betreiben. Kein Publikums-Eintrag bei Amazon, Rezensionen von den üblichen Verdächtigen, die wenig Neigung verspüren, auch mal über den Tellerrand SF zu schauen etc. , was soll's.

Zur Uwe-Post-Geschichte: Hat mir sehr gut gefallen, kurz, prägnant und bissig. Was will man mehr von einer SF-Satire? Daß die wissenschaftlich-technische (oder philosophische) Problematik gespeicherter Persönlichkeiten nicht allumfassend beleuchtet wird (wozu auch?), kann man der Story kaum anlasten. Ein Lückenfüller ist es aus meiner Sicht gewiß nicht, sondern ein amüsanter und lesenswerter Beitrag.

Aphromorte dagegen beschränkt sich m. E. auf eine spezielle (und ein wenig vordergründige) Variante eines hinreichend bekannten Szenarios (z. B. aus Kings "The Stand"). Einen Handlungsfaden über die bilderreiche Beschreibung hinaus konnte ich nicht erkennen, die eine oder andere Anspielung schon.

Gruß

Frank
Antworten