Sie können nun vom Bücherregal zurücktreten und ins normale Leben zurückkehren.

Was sind denn schon alle 70 Jahre tot?Bungle hat geschrieben:Ich bin froh, dass die Science Fiction am Ende doch noch gestorben ist.
Sie hat ein reiches Erbe hinterlassen, und das kralle ich mir jetzt!![]()
MB
Wenn ich das richtig verstehe, geht es dir viel um Plausibilität: Der "Werkzeugkasten" vermittelt Inhalte, die plausibel und nachvollziehbar machen, dass die Fiktion genau so sein könnte. Die "Wundertüte" setzt sich hingegen einfach darüber hinweg: Statt "Das könnte in Wirklichkeit auch so passieren" heißt es: "Das könnte so passieren wenn ...", z. B. wenn man mit Überlichtgeschwindigkeit reisen könnte, wenn man sich unsichtbar machen könnte usw.Jörg Isenberg hat geschrieben:
Eine Erzählung ist immer auch Fiktion, unabhängig von Qualitätsmerkmalen. Somit ist die SF eine Fiktion innerhalb der Fiktion und katalysiert hierdurch auch immer eine mehr oder minder ausgeprägte Unglaubwürdigkeit. Diese Unglaubwürdigkeit wiederum ist von eingeschliffenen Ausdrucksformen (Stil, Ästhetik, Inhalte, Termini technici) geprägt.
Die SF definiert sich durch diese Doppel-Fiktionalität mitsamt diesen speziellen Ausdrucksformen, und vielleicht ist das der Knackpunkt in diesem Zusammenhang. Den meisten SF-Texten ist eine gedankenlose Selbstverständlichkeit bzw. Nichtreflexion des Doppel-Fiktionalen eigen. Ob bewusster oder unbewusster Vorgang, das Ergebnis bleibt sich gleich: Blendwerk, welches den Blick auf das Wesentliche (den wie auch immer gearteten Kern einer Geschichte) verschleiert. Der SF-Fan liebt und braucht dieses Blendwerk, das „eitle Reh“ der Hochliteratur wird es als unterhalb seiner intellektuellen Wahrnehmungs- bzw. Reizschwelle liegend betrachten und daher ignorieren. Das „eitle Reh“ bevorzugt gut sortierte Werkzeugkästen (mögliche Übereinstimmungen von Fiktion und Realität) und lehnt Wundertüten ab – das wäre in seinen Augen ein schlechter Tausch.
Der Idealzustand ist möglicherweise folgender: Man packt einige dieserWerkzeuge in die Wundertüte und sortiert dafür die abgedroschensten „Wunder“ (Mechanismen) aus. Vielleicht kann hier die SF als Mischform einen neuen Weg beschreiten, scheinbare Gegensätze aushebeln, so wie beispielsweise die Fantasy-Literatur Schützenhilfe durch den magischen Realismus erhalten hat (der wiederum Literaturnobelpreisträger hervorbrachte).
Ich selbst bin übrigens ein Wundertütenliebhaber. Aber ich mache mir halt so meine Gedanken.
Jawoll, Gernot, genau so sehe ich das.Gernot hat geschrieben: Wenn ich das richtig verstehe, geht es dir viel um Plausibilität: Der "Werkzeugkasten" vermittelt Inhalte, die plausibel und nachvollziehbar machen, dass die Fiktion genau so sein könnte. Die "Wundertüte" setzt sich hingegen einfach darüber hinweg: Statt "Das könnte in Wirklichkeit auch so passieren" heißt es: "Das könnte so passieren wenn ...", z. B. wenn man mit Überlichtgeschwindigkeit reisen könnte, wenn man sich unsichtbar machen könnte usw.
In diesem Sinn bin ich auch ein Freund der Wundertüte, des "Was wäre, wenn?", aber nur in sehr sparsamer Dosis. Allzu leicht artet das sonst in Beliebigkeit aus, zur reinen Dekoration ohne Bezug zur Geschichte, oder, noch schlimmer, zum Deus ex machina. In diesem Thread http://forum.sf-fan.de/viewtopic.php?f=1&t=6555 (Thema kurzgefasst: "SF - wie geht das?") stehen schon einige interessante Gedanken dazu.
Ich ... will auch beides. Ja, doch! Wenn ich solche Fragen wie oben formuliere, stelle ich sie mir auch selbst und denke ernsthaft darüber nach, weil ich den Gegenstand der Diskussion - „Science Fiction am Ende?“ – a) zunächst einmal als angenehm provokativ empfinde und b) gleichzeitig für total überzogen halte. Meine Äußerungen sind daher ein ausformulierter Zwiespalt. Und wenn Du mich fragst, was ein "reiner" SF-Autor ist, muss ich ehrlich gesagt passen, das ist ein unausgereifter Ansatz, mea culpa, und ich suche nach einem neuen.Naut hat geschrieben:Jörg, ich denke, ich habe Probleme, Deine Frage überhaupt zu verstehen. Was ist denn ein "reiner" SF-Autor?
Natürlich könnte ich eine Reihe literarisch untadeliger SF-Autoren aufzählen: Margaret Atwood, Gene Wolfe, John Brunner, ...
Würdest Du bei allen ein Haar in der Suppe finden? Atwood, die ihren Status als SF-Schreiberin immer wieder selbst hinterfragt, Wolfe, der auch außerhalb des Genres gewildert hat, Brunner, der einen Großteil seines eigenen Werkes als trivialen Schrott ansah?
Meinst Du vielleicht, dass ein SF-Autor, der sich nicht für andere Formen von Literatur, für andere Möglichkeiten interessiert, die Perfektion nicht erreichen kann? Dass er nur immer "lediglich unterhaltende" Kost hervorbringt, die nur dank der Trickkiste SF funktioniert?
Das stimmt vielleicht sogar.
Andererseits stelle ich oft fest, dass ich zwar die gute, wie Du schreibst austarierte Erzählung genieße, mein Herz aber auch an den verrückten Wundern der SF hängt. Ich will einfach beides!
Ein reiner SF-Autor ist ein SF-Autor, der gerade aus der Dusche kommt.Naut hat geschrieben:Was ist denn ein "reiner" SF-Autor?
Dem schließe ich mich an.Bungle hat geschrieben:Ich empfinde auch wie Jörg. Ich lese ja nicht nur SF/Phantastik. Ich habe eine Vorstellung von guter Literatur. Ich liebe die Wundertüte, aber ich weiß, dass sie den Werkzeugkasten nicht ersetzen kann, wenn auch SF wirklich gut sein soll. Diese Ambivalenz lässt sich gut aushalten. Ich freue mich immer, wenn ich bei der Lektüre von Wundertüten-SF erkenne, dass die Autoren auch ihr literarisches Handwerk verstehen und auch die Essenz hinter dem Kulissenzauber (siehe Definition von Thomas) vermitteln können.
Ebenso.Bungle hat geschrieben: @ Molo: gute Zusammenfassung der Auffassungen von Science Fiction.
MB
Andreas Eschbach hat geschrieben:Sie haben das Ende der Science-Fiction erreicht.
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