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Anthropozentrismus nervt

Verfasst: 16. Dezember 2009 00:46
von conanboy
Sorry, bin Noob, und weiß nicht, wohin sonst mit meinem Thema.

Hab grad mal wieder Strugatzkis' "Picknick" gelesen, samt Nachwort von Lem, und besser kann eine SF-Story (für Erwachsene) nicht sein. Mir geht der Anthropozentrismus in 99,9% aller SF-Werke (Bücher&Filme&Sonstige) sowas von auf den Geist. Will sagen: Letztlich sind alle Aliens irgendwie wie Menschen, sie sehen nur hässlicher aus, und haben bessere Waffen. Darauf beschränkt sich doch die Darstellung von intelligenten Lebensformen außerhalb der Erdatmosphäre in der gängigen Literatur. Mit "Literatur" meine ich Bücher&Filme&Sonstige.
Aber mir gehts um Nichtmenschlichkeit. Wo wird mir mal eine Intelligenz präsentiert, deren Handlungen ich nicht begreife, weil ich eben "nur" ein Mensch bin? Filmisch wurde das nie besser realisiert als in "Alien" (Teil 1), und auf der literarischen Ebene ist "Picknick am Wegesrand" immer noch die allererste Wahl.

Ich wäre dankbar für jegliche Empfehlung hinsichtlich dieses Themas.

Re: Anthropozentrismus nervt

Verfasst: 16. Dezember 2009 07:17
von breitsameter
conanboy hat geschrieben:Sorry, bin Noob, und weiß nicht, wohin sonst mit meinem Thema.
Erstmal herzlich willkommen im SF-Forum!
conanboy hat geschrieben:Hab grad mal wieder Strugatzkis' "Picknick" gelesen, samt Nachwort von Lem, und besser kann eine SF-Story (für Erwachsene) nicht sein. Mir geht der Anthropozentrismus in 99,9% aller SF-Werke (Bücher&Filme&Sonstige) sowas von auf den Geist. Will sagen: Letztlich sind alle Aliens irgendwie wie Menschen, sie sehen nur hässlicher aus, und haben bessere Waffen. Darauf beschränkt sich doch die Darstellung von intelligenten Lebensformen außerhalb der Erdatmosphäre in der gängigen Literatur. Mit "Literatur" meine ich Bücher&Filme&Sonstige.
Aber mir gehts um Nichtmenschlichkeit. Wo wird mir mal eine Intelligenz präsentiert, deren Handlungen ich nicht begreife, weil ich eben "nur" ein Mensch bin?
Dafür gibt es aber schon mehr Beispiele - darunter sicher auch Lems »Solaris«.
Wobei der Mensch umso mehr auf sich zurückgeworfen wird, je fremder/fremdartiger sein Gegenpart ist. Er kann nicht interagieren, nur agieren – er steht einem System gegenüber, daß er nicht begreifen kann, da es für ihn scheinbar irrational reagiert.

So sehr ich die simple Variante – Außerirdische sehen Menschen ganz ähnlich und zeigen menschliche Verhaltensmuster - auch oftmals lächerlich finde, so spannend kann es sein, wenn es einem Autor dann doch gelingt Aliens zu erschaffen, die »scheinbar« menschenähnlich sind, aber letztlich doch auch nur so wirken. C.J. Cherryh schildert z.B. im Atevi-Zyklus ein außerirdisches Volk, daß einerseits menschenähnlich aussieht, andererseits dies aber in seinen grundlegenden moralischen Denkweisen eben nicht ist. Dies führt zu Konflikten, die dadurch entstehen, daß der Mensch immer wieder versucht in den Aliens etwas »menschliches« zu sehen, das aber letztlich nicht vorhanden ist. Auch das finde ich spannend, in diesem Fall sogar spannender als die völlige Fremdartigkeit.

Und Maria Doria Russells »Sperling« schildert auch eine Begegnung, die auf solch einem Konflikt beruht: der Mensch versucht in allem gerne menschliche Wesenszüge wiederzufinden, und scheitert auch hier tragisch.

Re: Anthropozentrismus nervt

Verfasst: 16. Dezember 2009 08:42
von Jorge
conanboy hat geschrieben:.
Aber mir gehts um Nichtmenschlichkeit. Wo wird mir mal eine Intelligenz präsentiert, deren Handlungen ich nicht begreife, weil ich eben "nur" ein Mensch bin?
Ich wäre dankbar für jegliche Empfehlung hinsichtlich dieses Themas.
http://forum.sf-fan.de/viewtopic.php?f=1&t=4000

Re: Anthropozentrismus nervt

Verfasst: 16. Dezember 2009 09:43
von Doop
Stanley Weinbaums Erzählung "Eine Mars-Odyssee" ist ein frühes Beispiel.
Die Flenser in Vernor Vinges "Ein Feuer auf der Tiefe" waren recht fremdartige Rudelintelligenzen. Gleiches (Fremsartigkeit) gilt für die in dem Roman beschriebenen gottgleichen Intelligenzen im "Jenseits".
Das Shrike in Dan Simmons Hyperion-Romanen ist sehr nicht-menschlich.

Re: Anthropozentrismus nervt

Verfasst: 16. Dezember 2009 13:00
von Pogopuschel
Da kann ich nur "Blindflug" von Peter Watts empfehlen. Ein relativ neuer Roman, der die Thematik genial, aber auch anstrengend umsetzt. Und Vampire gibt es auch noch. :D Hier meine Rezi zu dem Buch: http://www.fantasyguide.de/5809.0.html

Re: Anthropozentrismus nervt

Verfasst: 16. Dezember 2009 13:52
von Uschi Zietsch
Doop hat geschrieben:Das Shrike in Dan Simmons Hyperion-Romanen ist sehr nicht-menschlich.
Na ja, aber das wird nicht so richtig beschrieben, nur in der Außensicht und bei metzelnden Auftritten, und ist auch keine organische, evolutionäre Lebensform. Das würde ich da nicht hinzuzählen.

Re: Anthropozentrismus nervt

Verfasst: 16. Dezember 2009 14:09
von Knochenmann
also, erstmal: Flenser in "Ein Feuer auf der Tiefe" ist nicht die beschreibung für eine Population sondern nur der Name eines einzelnen Rudels.

Das Shrike ist erstmal ein Kunstrukt und kein Lebewesen, und zudem enthällt es noch menschliche (geistige) Überreste von dem palästinensischen Oberst.

"Blindflug" ist auch für mich das beste Beispiel eines absolut und total fremdartigen Aliens.

Was ich noch empfehlen kann: Die beiden Romane um die "Entführte Erde" von Rodger McBridge Allen. Die dort vorkommende Alienkultur der Charonier ist ebenfalls ziemlich seltsam.

Re: Anthropozentrismus nervt

Verfasst: 16. Dezember 2009 16:22
von Doop
Knochenmann hat geschrieben:also, erstmal: Flenser in "Ein Feuer auf der Tiefe" ist nicht die beschreibung für eine Population sondern nur der Name eines einzelnen Rudels.

Das Shrike ist erstmal ein Kunstrukt und kein Lebewesen, und zudem enthällt es noch menschliche (geistige) Überreste von dem palästinensischen Oberst.
Das Shrike erfüllt nach meiner Erinnerung an das Buch alle Voraussetzungen an "fremdartige Lebensform", künstlich ist sie selbstverständlich. Gleiches gilt übrigens in meinen Augen auch für die in Hyprerion geschilderten KI's. Höchst fremdartig, seltsam und schön. Und in gewisser Weise eben auch eine völlig fremdartige Zivilisation, ursprünglich von Menschen geschaffen.

Was Flenser angeht, hast Du Recht, ich hatte das als Namen der Art abgespeichert. Ändert aber nichts daran, dass diese Rudelintelligenz recht seltsam und exotisch ist.

Sehr seltsam sind auch die "Hypothetischen" in "Spin" von Robert Charles Wilson und die Heetchee in "Gateway" von Frederik Pohl. Ich rede hier nur von den jeweils ersten Bänden, die Nachfolger habe ich nicht gelesen - sie sind laut Kritik eher mäßig. Man sollte aber berücksichtigen, dass man weder von Heechee noch von den Hypothetischen in beiden Romanen viel zu Gesicht bekommt, die Wirkung entsteht hier durch Weglassen.

Re: Anthropozentrismus nervt

Verfasst: 16. Dezember 2009 17:17
von Knochenmann
Doop hat geschrieben: Was Flenser angeht, hast Du Recht, ich hatte das als Namen der Art abgespeichert. Ändert aber nichts daran, dass diese Rudelintelligenz recht seltsam und exotisch ist.
Vinge ist ohnehin ein recht guter Konstrukteur von Aliens. Im "Feuer auf der Tiefe" tauchen ja auch noch die Skootfahrer auf, motorisierte Pflanzen mit künstlichen Kurzzeitgedächtniss. Außerdem noch eine durchgeknallte Plantenintelligenz, die das galaktische Internet mit Verschörungstheorien über sechzehnbeinige Wesen vollspammt.

Auch ein heißer Tip was fremdartige Aliens angeht: Larry Niven. Nicht nur wegen Ringwelt (Paks, Puppenspieler), sondern besonders auch wegen "Spitter im Auge Gottes".

Re: Anthropozentrismus nervt

Verfasst: 16. Dezember 2009 17:51
von Bungle
Ich habe auch etwas dagegen, wenn Aliens nur verkleidete Menschen sind. Oft sehen sie bizarr aus, doch verhalten sie sich wie Menschen. Das ist oft nur enttäuschend.
Es gibt aber auch menschenähnliche Aliens als Spiegel menschlicher Existenz oder universeller Konstanten. Fremd und vertraut zugleich. Die Hanish bei Ursula LeGuin zum Beispiel. Oder die Bewohner von Heliconia, im gleichnamigen Roman-Trilogie von Brian W. Aldiss. Die Menschenähnlichkeit ist Teil der Erzählstrategie und unerlässlich.

Ich würde aber zwischen Literatur und Film unterscheiden. Beim Film in Serien wie "Star Trek" und "Babylon 5" sind Aliens Mitakteure, die irgendwie auch verständlich sein müssen. Da spielt die Plausibilität und wissenschaftliche Spekulation eine untergeordnete Rolle. Im Hinblick auf die Möglichkeiten der SF ist das jedoch Magerkost.

Interessante fremde Lebensformen sind auch in der Storysammlung "Grenzritter" von Barrington J. Bayley versammelt.

MB

Re: Anthropozentrismus nervt

Verfasst: 16. Dezember 2009 19:06
von Doop
Bungle hat geschrieben:Ich würde aber zwischen Literatur und Film unterscheiden. Beim Film in Serien wie "Star Trek" und "Babylon 5" sind Aliens Mitakteure, die irgendwie auch verständlich sein müssen. Da spielt die Plausibilität und wissenschaftliche Spekulation eine untergeordnete Rolle. Im Hinblick auf die Möglichkeiten der SF ist das jedoch Magerkost.
Was gerade bei Star Trek und Babylon 5 natürlich auch am Budget und den damaligen technischen Möglichkeiten lag. Allerdings hat insbesondere Babylon 5 mit den Schatten und den Vorlonen zwei durchaus interessante, nicht-humanoide Alienvölker erschaffen.

Re: Anthropozentrismus nervt

Verfasst: 18. Dezember 2009 12:02
von Helge
Doop hat geschrieben: Was gerade bei Star Trek und Babylon 5 natürlich auch am Budget und den damaligen technischen Möglichkeiten lag.
Wie gut man so etwas auch billig hinkriegen kann, hat Raumpatrouille schon lange vorher gezeigt - da blieben die Frogs immer geheimnisvoll und waren einfach nie richtig zu sehen.
Ein Buch, das gut mit dem Thema der Fremdartigkeit spielt, ist "Die dritte Zivilisation" von den Strugatzkis. Ein Kind wächst da unter Aliens auf, die so fremdartig sind, dass Menschen und Aliens nur einigermaßen auf dem Umweg über dieses Kind kommunizieren können. Diesem sind aber beide Seiten so fremd, dass es eine Ein-Personen-Zivilisation für sich ist.

Hey, danke, Leute

Verfasst: 19. Dezember 2009 01:22
von conanboy
Hätte gar nicht gedacht, dass mein Genervtsein von allzu menschenähnlichen Gestalten in der einschlägigen Literatur von so vielen Leuten geteilt wird ;-)

Da waren ganz tolle Literatur-Empfehlungen dabei, und die Bücher werde ich mir sicher auch kaufen (und dann lesen ;-), Aber ich bin mir nicht sicher, ob mein ursprünglich angedachtes Thema hier rübergekommen ist.
Ihr empfehlt mir dankenswerterweise Literatur zu dem Thema, aber ich will wissen, was Ihr denkt. Wie würdet Ihr eine ausserirdische Lebensform gesalten? Menschenähnlich, wie in Star Trek, Schauspieler mit Silikon an die Nase gepappt, oder doch eher die feindselige, zubeissende, böse Fledermaus in Menschengröße wie in "Alien"?
Lem ist bis heute der einzige bedeutende Autor, der sich ernsthaft darum Gedanken gemacht hat, und zwar über das Thema: Sind wir überhaupt dazu in der Lage, uns in andere Lebensformen reinzudenken: Solaris, Eden, Der Unbesiegbare, Fiasko? Was Lem immer zeigt, ist, dass wir das nicht nur nicht können, sondern, dass wir es auch vor allem nicht wollen.

Oder doch? ;-)

Re: Anthropozentrismus nervt

Verfasst: 19. Dezember 2009 19:35
von Helge
Aliens kommen in meinen Stories eher selten vor, und wenn - naja, dann schon menschenähnliche oder Wesen, die uns zumindest aus der Mythologie bekannt vorkommen. Ich gebe mir dabei allerdings Mühe, diese Unwahrscheinlichkeit einigermaßen zu "erklären"; gerade erst habe ich dafür Sheldrakes morphogenetisches Feld bemüht und es mal eben viele Lichtjahre weit reichen lassen. :smokin
Wirklich andersartige Wesen gestaltet man je nach der Story und ihrer Funktion darin; da kommt es darauf an, ob sie nur exotisches Beiwerk sind oder gerade diese Andersartigkeit thematisiert wird. Da sind Schwarmintelligenzen denkbar, Energiewesen, Intelligenzen, die aus der Materie aufgeprägter Information bestehen (ja, man kann sich solche Ideen wunderbar aus dem großen Fundus der Esoterik holen;-) und von intelligenten Sternen habe ich auch schon gelesen. In bin da sehr offen ...

Re: Hey, danke, Leute

Verfasst: 2. Januar 2010 14:11
von Spezies 125
conanboy hat geschrieben:Wie würdet Ihr eine ausserirdische Lebensform gesalten?
Dazu müsste man zunächst die Umwelt(bedingungen) des Heimatplaneten kennen. Die m.E. definitiv existenten Aliens werden so vielfältig in ihrer Erscheinungsform sein, wie es die Lebensformen schon hier auf der Erde "im Kleinen" sind. Weshalb sollte die Natur da im Universum Unterschiede machen? Das Leben findet Nischen, egal wie widrig (in unseren Augen) die Umstände auch sein mögen. Sicherlich werden sie nicht zwingend menschenähnlich sein, bzw. wenn, dann nur sehr entfernt, wie es die Gegebenheiten in der jeweiligen Biosphäre eben erfordert/ermöglicht. Zudem sind ja die Menschen hier auf der Erde auch nur ein kleiner Teil des Spektrums. Gewisse Grundbaupläne sind jedoch universell, denn bewährte Konzepte tauchen immer wieder in irgendeiner Form auf. Aber dazu kann ein Biologe sicher mehr beitragen.

Ich finde das Thema auch sehr interessant und habe viele der genannten Bücher gelesen, wobei mich Stanley Weinbaum’s "Mars Odyssey" sehr beeindruckt hat. Nachtrag: David Gerrolds "Chtorr" Zyklus ist auch ein gutes Beispiel.

--Spezies 125