"Game of Thrones" . warum sind Mittelalter-Remakes so toll?

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Beverly
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"Game of Thrones" . warum sind Mittelalter-Remakes so toll?

Ungelesener Beitrag von Beverly »

Heute habe ich auf Youtube eine Folge der auch auf SF-Fan.de angekündigten Fantasy-Serie "Game of Throne" gesehen resp. nach fünf Minuten weggeklickt und die Hoffnung auf einen schönen Filmabend mal wieder begraben. Da waren Menschen in einen Dorf ohne jede Technik zu sehen, ein Junge übte sich im Bogenschießen und ein mutmaßlicher Verbrecher oder Verräter (so klar wurde mir das nicht) wurde vor den Augen der Dorfbewohner einschließlich des Jungen mit dem Schwert enthauptet. Danach verging mir die Lust aufs weitersehen.

Meine Gedanken dazu:

Ich sehe gerne historische Filme und ärgere mich z. B. darüber, dass ich "Die Tudors" im Fernsehen verpasst habe und lese auch oft historische Romane. Aber neben allem anderen kommt für mich da immer eine Botschaft rüber: Vergangene Epochen sind der Moderne in einer einzigen Sache voraus:

Es gab viel weniger Menschen auf der Erde.

In allen anderen Dingen waren sie Dreck! Selbst die Oberschicht fristete teilweise ein Leben, dass sich bei uns nicht einmal Hartz-IV-Empfänger bieten lassen würden. Weil zumindest in Deutschland selbst Erwerbslose von einer Technik profitieren, die es damals nicht gab. Bei der Unterschicht von Lebensstandard zu reden, wäre wohl ein Widerspruch in sich selbst. Z. T. kratzten die Menschen mit 30 oder 40 Jahren ab, alldiweil die natürliche Lebenserwartung des Menschen zwischen 60 und 110 Jahren zu liegen scheint.
Es mag in irgendwelchen Ecken der Weltgeschichte z. B. Dorfgemeinschaften gegeben haben, in denen die Menschen glücklicher lebten als in der Moderne, aber die halte ich eher für Ausnahmen als die Regel und IMHO liefen sie schon immer Gefahr, von aggressiveren Nachbarn oder fremder Eroberern zerstört zu werden.
Massenmord ist keine Erfindung der Moderne - das Neue an der Moderne ist, dass man sich darüber überhaupt einen Kopf macht. Die Mächtigen mordeten und nur zu oft deutet in den Quellen nichts darauf hin, dass sie dabei irgendwelche Skrupel hatten. Autoren früherer Epochen, die schon damals Unrecht und Grausamkeit anprangerten, liefen Gefahr, von ihren Zeitgenossen geächtet zu werden und erst in der ach so pösen, sittenlosen und dekadenten Moderne positiv rezipiert zu werden. Nicht etwa, weil es früher keine Ethik und keine Wertesysteme gab - so verbietet die Bibel seit 3000 Jahren das Lügen, Toten und Rauben. Ohne das kam ein Herrscher in der guten alten Zeit aber nicht voran und nicht in Geschichtsbücher, die von Rechts wegen mit Blut hätten geschrieben werden müssen. Ethik gab es immer, aber erst in den letzten Jahrhunderten ist den Menschen aufgefallen, dass sie von den Herrschenden oft, wenn nicht meistens ignoriert wird.

Angesichts dieses Hintergrundes ist so, dass mir historische Romane und Filme genügen und mich oft sehr gut unterhalten, ich Weltenschöpfer der Fantasy, die Remakes des Mittelaters schaffen, nicht verstehe. Eine fiktive Welt muss mir etwas geben, was es in der Welt der Vergangenheit und Gegenwart nicht gibt. Eine grausliche und triste Vergangenheit mit anderen Namen für Völker und Orte, aber im Kern 1 zu 1 nachzubauen, macht mir - von Ausnahmen abgesehen - keinen Spaß. Ich versetze mich beim Lesen oder Sehen dann in die Welt, nur um festzustellen: "Da möchte ich unter keinen Umständen leben." Ein Autor historische Romane ist an die Fakten gebunden und die waren nun mal oft grauslich.
Aber ein Autor, der zwischen Buchdeckeln, auf der Leinwand oder dem Bildschirm Gott spielt, muss sich fragen lassen, warum er eine Welt auferstehen lässt, die schon in der Wirklichkeit grauslich war. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass sich "heile Welt" schlecht bis gar nicht verkauft und die Leser Action, Spannung, Konflikt, fiese Schurken, Mord und Totschlag, Sex and Crime wollen. Logisch, dass es im Vordergrund dann kracht, mir gefällt das auch. Aber es gefällt mir nicht, einen Hintergrund resp. eine Welt serviert zu bekommen, wo ich davon ausgehen muss, dass in ihre die allermeisten nur leiden.
Mischformen aus technischer Zivilisation und vortechnischen, "vormodernen" Kultern wie die Klingonen bei Star Trek oder die Barrayner mit ihren Kaisern und Vor's bei Bujold finde ich ganz witzig. Aber das Mittelalter in Reinform nachbauen? Was ist daran so toll?
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Gernot
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Re: "Game of Thrones" . warum sind Mittelalter-Remakes so to

Ungelesener Beitrag von Gernot »

Ich war auch nie ein besonderer Freund des Mittelalters, diese Zeit war ja in mancherlei Hinsicht ein Rückschritt, beispielsweise wurden freie Bauern zusehends zu Leibeigenen. Diese Mittelalter-Mode, die von Zeit zu Zeit mit historischen Romanen und dokumentarischen Büchern und Filmen daherkommt, konnte ich nie richtig nachvollziehen. Ich habe auch kaum etwas davon gelesen, abgesehen von Ecos "Name der Rose", wo es im Prinzip um einen ersten Schritt zur Überwindung des mittelalterlichen Geistes geht. Ich möchte es aber mit dem Mittelalter-Bashing, wie es seit der Renaissance immer wieder betrieben wurde, auch nicht übertreiben, vom Standpunkt eines Naturwissenschaftlers war etwa der Orient, also Indien, Persien, Arabien, in jener Zeit hochinteressant und hat bemerkenswerte Gelehrte hervorgebracht.
Seltsamerweise finden sich mittelalterliche Feudalstrukturen ("Mittelalter-Remakes") nicht nur in der Fantasy, sondern auch immer wieder in der Science Fiction, vor allem Space Operas sind anfällig dafür. Da werden ganze Planeten als Lehen vergeben und interplanetare Familienfehden ausgefochten, die Galaxis wimmelt von Grafen, Herzögen, Fürsten und Königen, das alles meistens in einem Imperium nebst zugehörigem Imperator. So ein Anachronismus hat schon seinen romantischen Reiz, zumindest bei entsprechend guter erzählerischer Umsetzung. Ich denke da vor allem an den "Wüstenplaneten".
Selber habe ich erst eine einzige, ganz kleine Kurzgeschichte im mittelalterlichen Kontext geschrieben, und da nur, weil das in der Ausschreibung explizit vorausgesetzt wurde. (Meine Story wurde leider nicht genommen.)
Eine andere Geschichte von mir (erschienen in dieser Anthologie: http://forum.sf-fan.de/viewtopic.php?f= ... 64#p117981) spielt auch in der Vergangenheit, aber gleich viel weiter zurück. Ein Freund fragte mich unlängst, welche historische Epoche ich am liebsten hätte. Ich antwortete ohne Zögern: Die Steinzeit. Genau genommen: Die Steinzeit vor der neolithischen Revolution, also vor der Sesshaftwerdung. Ich glaube nämlich, und was ich so dazu lese, bestärkt mich darin, dass der Übergang zur Landwirtschaft, der oft als ganz toller Fortschritt bewertet wird, das Leben der Menschen nicht unbedingt erleichterte. Erstmals war harte Arbeit angesagt. Abnützungen und Deformationen bei den Skeletten aus dieser Zeit sprechen eine deutliche Sprache. Viele der von Beverly erwähnten mittelalterlichen Missstände begannen schon damals.
Die vorher dominierende nomadische Jäger- und Sammlerkultur konnte zwar viel weniger Menschen ernähren, aber möglicherweise bei besserer Lebensqualität, zumindest wenn die Umweltbedingungen passten.
Ich halte auch die verbreitete Vorstellung, dass die Steinzeitmenschen durchwegs "primitiv" oder "barbarisch" waren, für ein Vorurteil. Ich bin vielmehr davon überzeugt, dass die Menschen damals um nichts dümmer waren als heute, sie haben ihre Intelligenz nur anders eingesetzt, um die damaligen Überlebensprobleme zu lösen, aber auch, um darüber hinaus zu denken. Die gefundenen Höhlenmalereien und Artefakte deuten auf hochentwickelte kulturelle Fähigkeiten hin, etwa im künstlerischen oder im religiösen Bereich. Heute noch existierende Steinzeitkulturen bestätigen diese Befunde. Die Urmenschen waren zwar sicherlich nicht die "Öko-Heiligen", als die sie manchmal hingestellt werden, aber ein besserer, respektvoller Bezug zur Natur war sicherlich vorhanden.
Also: Vergesst das Mittelalter, zurück in die Steinzeit! :D (Urmenschen-Smiley habe ich leider keinen gefunden.)
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Re: "Game of Thrones" . warum sind Mittelalter-Remakes so to

Ungelesener Beitrag von Pogopuschel »

Gernot hat geschrieben:Ich war auch nie ein besonderer Freund des Mittelalters, diese Zeit war ja in mancherlei Hinsicht ein Rückschritt, beispielsweise wurden freie Bauern zusehends zu Leibeigenen. Diese Mittelalter-Mode, die von Zeit zu Zeit mit historischen Romanen und dokumentarischen Büchern und Filmen daherkommt, konnte ich nie richtig nachvollziehen.
Diese Romantisierung des Mittelalters kann ich auch nicht so recht nachvollziehen. Anderseits, ich stehe auch auf Piraten mit Holzbein und Augenklappe. :D Aber nur in Film und Literatur. Dass es inzwischen viele Menschen gibt, die wieder wie im Mittelalter leben wollen, finde ich eher beängstigend.
Aber bei Martin wird ja nichts beschönigt. Da sind alle irgendwie grausam, und die, die es nicht sind, erleiden ein grausames Schicksal. Er hat sich da von den Rosenkriegen in England inspirieren lassen. Wenn ich also Martin oder ähnliche historische Sachen lese, dann, weil ich eben nichts beschönigt haben möchte, sondern eher einen realistischen Eindruck über diese Zeit. Im Gegenteil zu Beverly lese ich aber eben auch gerne Bücher, in denen nicht alles positiv ist.
Und er Junge wurde hingerichtet, weil er von der Nachtwache desertiert ist. Darauf steht die Todesstrafe. Eddard konnte also gar nicht anders, als dieses Urteil zu vollstrecken, obwohl er es sichtlich nicht gerne getan hat. Solche Fälle muss man aber im Kontext ihrer jeweiligen Zeit bzw. in der Fantasy im Kontext der dortigen gesellschaftlichen Umstände sehen. Wenn wir so etwas aus unserer heutigen moralischen Warte be- bzw. verurteilen, dann setzten wir uns auf ein hohes Ross, ohne zu bedenke, dass wir uns auf einer anderen Stufe im Prozess der Zivilisation befinden. Dass soll nicht heißen, dass ich solche Todesurteile gut finde, aber im Kontext des Buches bzw. der Serie waren sie notwendig um die Disziplin der Nachtwache aufrecht zuhalten, die das letzte Bollwerk gegen die Schrecken von jenseits der Mauer ist. Fällt die Nachtwache, fällt die Mauer, fällt der Norden und dann der Rest von Westeros (und das ist in diesem Kontext kein Dominotheoriequatsch).ö
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Re: "Game of Thrones" . warum sind Mittelalter-Remakes so to

Ungelesener Beitrag von Bungle »

Ich kenne die TV-Serie nicht, aber die Bücher. GRR Martin romantisiert das Mittelalter, bzw. seine mittelalterliche Welt nicht wie viele Fantasy-Autoren, er erzählt grrimmige Geschichten. Das gefällt mir, auch wenn es mir manchmal auch nicht behagt. Aber das ist realistischer als der Großteil der Fantasy, behaupte ich mal so frei. Und Martin ist einer der besten Erzähler innerhalb der Phantastik. In den Geschichten geht es auch um die Bewahrung der Menschlichkeit, um die Behauptung gegen die Anmaßungen und die Grausamkeit der Mächtigen. Das macht speziell dieses Werk so interessant.
Die Welt des Mittelalter war einfach (oder zumindest einfacher) und bietet sich für als Hintergrund für abenteuerliche Geschichte. Und bei Fantasy kommen noch andere Aspekte hinzu.
Geschichten so fern von unserem Alltag, das ist das was viele Leser und Leserinnen reizt. Das hat zumindest bei der Fantasy mit dem echten Mittelalter und seinen grausamen und harten Seiten möglicherweise wenig zu tun.

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Re: "Game of Thrones" . warum sind Mittelalter-Remakes so to

Ungelesener Beitrag von lapismont »

Pogopuschel hat geschrieben: Aber bei Martin wird ja nichts beschönigt.
Naja, ganz so stimmt das nicht. Es gibt kaum Krankheiten, zumindest in den ersten beiden deutschen Bänden fehlt so etwas wie Zahnschmerz oder Blinddarmentzündung. Ich etwa wäre im Mittelalter schon tot. Gestorben als Kind.

Martin schreibt in erster Linie über einen romantisierten Mittelalteradel, aber das weiß man vorher. Man braucht nur kurz darüber nachdenken, ob seine Welt wirtschaftlich funktioniert und man würde den ganzen Potemkinschen Schein umstoßen.

Aber darum geht es in dieser Fantasyreihe gar nicht. Sondern um klassische Figurenkonstellationen, Liebe, Hass, Krieg und Frieden. Man darf Games of thrones nicht an der historischen Welt messen, denn sonst hätte er gleich ein Geschichtswerk schreiben können.

Ich schau mir zum Beispiel die Serie Merlin nicht an, obwohl der Rest meiner Familie sie abgöttisch liebt. Und der Grund ist so trivial wie blöd. In einer der ersten Folgen wird Merlin an den Pranger gestellt und mit Gemüse beworfen.
Es sollte lustig sein.
Aber nun ja, das war mir dann doch zu viel Mittelalterromantik.
Weder gab es damals Tomaten, noch Leute, die Lebensmittel so einfach anderen an den Kopf warfen. Damals flogen Steine.Merlin hätte den Tag wenn überhaupt, dann nicht gesund überstanden.
Jedoch ist das nur ein Detail. Auch bei Merlin sind es die Figuren, die im Zentrum stehen. Das Ambiente ist nur Zierwerk ohne wissenschaftliche Basis.
(Außerdem ziehe ich mittwochs mit Kumpels durch Mittelerde. Mein Pony steckt in meinem Rucksack und aufs Klo musste meine Figur auch noch nie)
:mad:
Beverly
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Re: "Game of Thrones" . warum sind Mittelalter-Remakes so to

Ungelesener Beitrag von Beverly »

Pogopuschel hat geschrieben:Aber bei Martin wird ja nichts beschönigt. Da sind alle irgendwie grausam, und die, die es nicht sind, erleiden ein grausames Schicksal. Er hat sich da von den Rosenkriegen in England inspirieren lassen.(...)
Gegen einen gut gemachten historischen Roman oder Film, der im "echten" Mittelalter spielt, habe ich auch nichts. Da gab es meines Erachtens Höhen und Tiefen, mal Fortschritt und mal Rückschritt und mal zugleich Fortschritt und Rückschritt.
Was ich aber bei Martin, den ich als SF-Autor sehr schätze, nicht verstehe, ist, wie er als Weltenbauer sich eine Epoche zur Vorlage nimmt, die deinen Worten zufolge nicht anders als grauslich sein konnte, weil die Voraussetzungen für Besseres noch nicht oder nicht mehr vorhanden waren.
Es braucht nicht immer positiv zuzugehen, damit ich einen Roman lese oder einen Film sehe. Aber bei Erzählungen, die in fiktiven Welten spielen, erwarte ich von den Weltenschöpfern eine andere Art von Verantwortung als bei Autoren historischer Romane. Ich will über den Weltentwurf nachdenken können, er soll Fragen aufwerfen, Lösungen aufzeigen, Bestehendes hinterfragen ... ein reiner "Nachbau" kann das nicht. Was ein fiktives Mittelalter betrifft, ziehe ich da "Die Schrecken des Jahres 1000" von PM und und die "Hammer und Kreuz"-Trilogie von Harry Harrison vor, weil sie Frage stellen "wäre es auch anders gegangen"?
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Re: "Game of Thrones" . warum sind Mittelalter-Remakes so to

Ungelesener Beitrag von Montag »

lapismont hat geschrieben: Aber darum geht es in dieser Fantasyreihe gar nicht. Sondern um klassische Figurenkonstellationen, Liebe, Hass, Krieg und Frieden. Man darf Games of thrones nicht an der historischen Welt messen, denn sonst hätte er gleich ein Geschichtswerk schreiben können.
Volle Zustimmung dafür meinerseits. Das sehe ich auch so. Klar, Martin hat sich vom Mittelalter inspirieren lassen. Aber die Annahme, dass es sich um einen realistischen "Nachbau" handelt, geht in die irre. Es ist eben kein Geschichtsbuch und kein Historienroman, sondern eine fiktive Welt. Und diese finde ich sehr gut beschrieben. Ich finde sie schlüssig. Ich weiß nicht, welches Wirtschaftssystem jetzt gemeint war, das so nicht funktionieren würde. Aber solche Fragen habe ich mir bei der Lektüre auch nie gestellt (was immer ein gutes Zeichen ist). Bei Herr der Ringe z.B. gab es schon Punkte, die ich Tollkien jetzt so nicht abgekauft habe.
Martin muss sich in meinen Augen nicht dafür rechtfertigen, dass er nicht irgendwelche Gadgets erfunden hat, die es im Mittelalter nicht gab (obwohl es sicher auch dafür Beispiele, die mir jetzt aber nicht einfallen). Ich finde Martins Leistung beim Weltenbau beeindrucken genug. Und ich finde auch das Autoren niemandem Rechenschaft schuldig sind.

Die Einordnung, dass das Mittelalter "grauslich" finde ich vom Geschichtsverständnis her sehr fragwürdig. Und ich sehe auch nicht, dass in Game of Thrones alles "grauslich" ist.
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Bully
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Re: "Game of Thrones" . warum sind Mittelalter-Remakes so to

Ungelesener Beitrag von Bully »

Wenn man über das (europäische) Mittelalter oder mittelalterliche Szenarien in Fantasy, SF oder sonstiger Fantastik schreibt, kriegt man immer entweder einen drüber, dass man die Vergangenheit verklärt und "anti-modern" ist, oder dass man das Mittelalter basht, weil man es so finster und hart beschreibt.

Wobei man mit "Mittelalter" etwa das meint: Feudale Strukturen, mitunter zweigeteilt in Adel und Klerus, Regierungsform ist standardmäßig die Monarchie (Adelsrepubliken, Freistädte oder auch Clangesellschaften werden für gewöhnlich als völlig exotisch und gelegentlich vorbildlich modern dargestellt), die allerdings gelegentlich wiederhergestellt werden muss oder soll, oder deren moralisch verkommener Monarch durch einen besseren ersetzt werden soll (und nicht etwa durch eine andere Regierungsform), was dann oft der zugrunde liegende Konflikt ist; die nicht-adeligen Menschen sind oft in Gilden, Zünften, Orden oder ähnlichen Gemeinschaften organisiert, wenn es auch meist keine Sklaverei gibt, gibt es recht häufig Leibeigenschaft oder Hörigkeit, bei nicht SF-settings gibt es Schießpulver höchstens als Feuerwerk oder Bomben (HdR), aber selbst Hakenbüchsen/Arkebusen sind meist einfach nicht trve (Rosenkriege?), und wenn in einem SF-Setting hocheffektive Fernkampfwaffen an sich existieren, denkt man sich eben Gründe aus, warum die entweder doch besser nicht benutzt werden (Dune), verboten sind (Darkover) oder mit Herablassung betrachtet werden (Obiwan Kenobi - wobei der das nicht so dogmatisch sah).
Starke gesellschaftliche Schichtung, die nur schwer durchbrochen werden kann (wobei das oft das Thema der Geschichte ist, schon im Mittelalter selbst die ganzen Müllerstöchter, die reiche Prinzen heiraten, oder umgekehrt), Aberglaube und Ungebildetheit, sowie in religiösen Fragen Fanatismus, Dogmatismus und/oder Heuchelei (in der Name der Rose prallen die tatsächlich alle aufeinander, wie es auch logisch ist) sind fast schon obligatorisch.
Dafür sind Kommunismus vs. Kapitalismus-Kämpfe recht selten.

Der Vorteil dabei ist, dass, wenn man als Autor ein paar von den Elementen einbringt, den Rest nicht noch extra erwähnen muss, weil die durchschnittliche Leserschaft sich den Rest einfach dazu denkt.
Der doppelte Vorteil ist, wenn man mal was total anderes machen will, man das dann einfach tun kann und den Leser völlig überrascht. Meinetwegen: bedeutender Adelssprößling schwängert Milchmädchen, Eltern des Milchmädchens reden mit den adeligen Eltern, adelige Eltern verdrehen genervt die Augen, Adelssprößling und Milchmädchen heiraten. Übliche Enden wie "Milchmädchen kriegt eine Abfindung/Mitgift, um jemanden in mehr als zwei Tagesreisen Entfernung zu heiraten", "Milchmädchen kriegt gar nichts und geht aus Schande ins Wasser, bzw. aus Liebeskummer, bzw., weil die Adeligen jemanden haben, der da nachgeholfen hat", "Milchmädchen kriegt Alimente, das Kind wird mit den anderen Bastarden aufgezogen", "Milchmädchen stirbt beim Versuch, das Kind abzutreiben" und "Milchmädchen kriegt gar nichts und zieht das Kind auch so groß, welches dann Abenteuer erlebt" werden umgangen.
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Re: "Game of Thrones" . warum sind Mittelalter-Remakes so to

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lapismont hat geschrieben: Martin schreibt in erster Linie über einen romantisierten Mittelalteradel, aber das weiß man vorher. Man braucht nur kurz darüber nachdenken, ob seine Welt wirtschaftlich funktioniert und man würde den ganzen Potemkinschen Schein umstoßen.

Aber darum geht es in dieser Fantasyreihe gar nicht.(...)
Für mich muss ein Weltentwurf eine innere Logik haben. Die Welt muss nicht den Regeln unserer Welt folgen, diese können erweitert oder durch andere Regeln ersetzt werden. Ob sich das nun Wissenschaft oder Magie nennt, ist vielleicht nicht einmal so wichtig - die Wissenschaft in Ferne-Zukunft-SF wirkt nur zu oft wie Magie und für Magie kann es auch rationale Erklärungen geben, z. B. eine Welt die wie ein Computer funktioniert und in der Zaubersprüche den Befehlen in Programmiersprachen entsprechen.

Dass es bei Weltentwürfen Ungereimtheiten gibt, lässt sich wohl nicht vermeiden. Schließlich soll sogar die wirkiche Welt "Baufehler" haben, etwa, dass man die Bahnen der Planeten nur für einige Millionen Jahre sauber berechnen kann, obwohl sie schon seit 4,5 Milliarden Jahre um die Sonne kreisen.

Aber eine Welt, deren Schöpfer sich nicht mit den Widersprüchen auseinandersetzt, reizt mich nicht.
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Re: "Game of Thrones" . warum sind Mittelalter-Remakes so to

Ungelesener Beitrag von Sam Spade »

Ich stimme Beverly zu, dass ein Weltentwurf eine gewisse innere Logik aufweisen sollte. Allerdings allzu genaue Beschreibungen/Erläuterungen könnten Romanen durchaus ihre Spannung nehmen und gehören (wie ich denke) in RPG-Hintergrundbände.
Zum Thema "finsteres Mittelalter" (sei es im Bezug auf Kultur oder die Quellenlage) wurde ja schon erwähnt, dass man dies heute differenzierter sieht. Interessant finde ich den Beitrag zur Steinzeit. Die Sesshaftwerdung war schon ein Segen, als die Bevölkerung nun wachsen konnte und dies auch tat. Das Leben als Jäger und Sammler mag in paradisiescher Umgebung schön und leicht gewesen sein, aber wo sprang das Wild einem schon freiwillig in die Lanze oder wuchsen essbare Wurzeln und Beeren in riesigen Mengen direkt am Lagerplatz? Das Jagen an sich war eine mühsame und gefährliche Tätigkeit und auch das Sammeln kostete Zeit und Kraft. Ich vermute, dass auch das notwendige Umherziehen kein Zuckerschlecken war (Transport der Kranken und Alten war wahrscheinlich sehr schwierig bis unmöglich, tierische Höhlenbewohner mussten wieder vertrieben werden etc.). Auch diese Epoche hatte vielleicht ihre guten Seiten, aber auch negative Aspekte.
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Re: "Game of Thrones" . warum sind Mittelalter-Remakes so to

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Sam Spade hat geschrieben:Interessant finde ich den Beitrag zur Steinzeit. Die Sesshaftwerdung war schon ein Segen, als die Bevölkerung nun wachsen konnte und dies auch tat. Das Leben als Jäger und Sammler mag in paradisiescher Umgebung schön und leicht gewesen sein, aber wo sprang das Wild einem schon freiwillig in die Lanze oder wuchsen essbare Wurzeln und Beeren in riesigen Mengen direkt am Lagerplatz? Das Jagen an sich war eine mühsame und gefährliche Tätigkeit und auch das Sammeln kostete Zeit und Kraft. Ich vermute, dass auch das notwendige Umherziehen kein Zuckerschlecken war (Transport der Kranken und Alten war wahrscheinlich sehr schwierig bis unmöglich, tierische Höhlenbewohner mussten wieder vertrieben werden etc.). Auch diese Epoche hatte vielleicht ihre guten Seiten, aber auch negative Aspekte.
@Sam Spade: Mir ist durchaus klar, dass ich die steinzeitlichen Bedingungen - wie auch die mittelalterlichen - differenziert sehen muss. In den wenigen Steinzeitkulturen, die sich bis in unsere Zeiten retten konnten, gibt es Bräuche und Rituale, die uns ganz fürchterlich grausam und unmenschlich vorkommen (etwa das Aussetzen von Neugeborenen, wenn deren Ernährung in schlechten Zeiten nicht gewährleistet ist). Auch das Hochstilisieren der Steinzeitmenschen (auch der heutigen) zu naturverbundenen Muster-Ökologen, wie es in den 1980er Jahren gern gemacht wurde, hält den Fakten nicht stand. Wenn es ums eigene Überleben geht, wird eben auch das letzte überlebende Mammut geschlachtet.
Dass ich den Übergang zur Sesshaftwerdung trotzdem nicht nur als Fortschritt sehen kann, liegt daran, dass die Vor- und Nachteile des nomadischen Jäger- und Sammlerlebens den menschlichen Instinkten eher gerecht wird. Das heißt, das, was die Menschen tun mussten, entsprach stärker dem, was sie aus ihrem Trieb heraus tun wollten. Später, und ganz besonders heute, ist ein riesiges Schul-, Bildungs- und Erziehungssystem ganz intensiv damit beschäftigt, die Menschen zu einer Lebensweise hinzubiegen, die nicht ihrer Natur entspricht, auch wenn sie für Wohlstand und Lebensstandard unerlässlich ist. Als Lehrer weiß ich, wie schwer es ist, Kinder zum Stillsitzen zu bringen, obwohl diese Arbeit mir heutzutage teilweise von den Computerspielen abgenommen wird. Im späteren Jugendalter ist diese Umfunktionierung dann vollzogen, die Jugendlichen haben zu einem guten Teil verlernt,ihrem Bewegungsdrang nachzugeben und hängen lieber cool in der Gegend herum. Die Lebensphase, in der der natürliche Spieltrieb die Kinder automatisch zum Lernen der für das heutige Leben relevanten Kompetenzen hinführt, wird immer kürzer. Wir haben Bedingungen geschaffen, die das Überleben immer besser für immer mehr Menschen sichern, aber um den Preis, uns von unseren ursprünglichen Grundbedürfnissen zu entfernen. Das Jagen z. B. ist ja bei weitem nicht nur beschwerlich, sondern auch ein Vergnügen, das im Mittelalter den hohen Herren vorbehalten war und heute bestenfalls darauf reduziert ist, dass 22 Sportler einem runden Lederball nachjagen.
Die Sehnsucht nach diesen ursprünglichen Herausforderungen spiegelt sich in der Beliebtheit von Abenteuergeschichten, von Robinson Crusoe angefangen bis zu den heutigen Survival-Camps. Zumindest ein wohldosiertes Stück Steinzeit kann also etwas ganz Nettes sein, nach meinem Geschmack wesentlich eher als ein wohldosiertes Stück Mittelalter.
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Re: "Game of Thrones" . warum sind Mittelalter-Remakes so to

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Gernot hat geschrieben:
Sam Spade hat geschrieben:Interessant finde ich den Beitrag zur Steinzeit. Die Sesshaftwerdung war schon ein Segen, als die Bevölkerung nun wachsen konnte und dies auch tat. Das Leben als Jäger und Sammler mag in paradisiescher Umgebung schön und leicht gewesen sein, aber wo sprang das Wild einem schon freiwillig in die Lanze oder wuchsen essbare Wurzeln und Beeren in riesigen Mengen direkt am Lagerplatz? Das Jagen an sich war eine mühsame und gefährliche Tätigkeit und auch das Sammeln kostete Zeit und Kraft. Ich vermute, dass auch das notwendige Umherziehen kein Zuckerschlecken war (Transport der Kranken und Alten war wahrscheinlich sehr schwierig bis unmöglich, tierische Höhlenbewohner mussten wieder vertrieben werden etc.). Auch diese Epoche hatte vielleicht ihre guten Seiten, aber auch negative Aspekte.
@Sam Spade: Mir ist durchaus klar, dass ich die steinzeitlichen Bedingungen - wie auch die mittelalterlichen - differenziert sehen muss. In den wenigen Steinzeitkulturen, die sich bis in unsere Zeiten retten konnten, gibt es Bräuche und Rituale, die uns ganz fürchterlich grausam und unmenschlich vorkommen (etwa das Aussetzen von Neugeborenen, wenn deren Ernährung in schlechten Zeiten nicht gewährleistet ist). Auch das Hochstilisieren der Steinzeitmenschen (auch der heutigen) zu naturverbundenen Muster-Ökologen, wie es in den 1980er Jahren gern gemacht wurde, hält den Fakten nicht stand. Wenn es ums eigene Überleben geht, wird eben auch das letzte überlebende Mammut geschlachtet.
Dass ich den Übergang zur Sesshaftwerdung trotzdem nicht nur als Fortschritt sehen kann, liegt daran, dass die Vor- und Nachteile des nomadischen Jäger- und Sammlerlebens den menschlichen Instinkten eher gerecht wird. Das heißt, das, was die Menschen tun mussten, entsprach stärker dem, was sie aus ihrem Trieb heraus tun wollten. Später, und ganz besonders heute, ist ein riesiges Schul-, Bildungs- und Erziehungssystem ganz intensiv damit beschäftigt, die Menschen zu einer Lebensweise hinzubiegen, die nicht ihrer Natur entspricht, auch wenn sie für Wohlstand und Lebensstandard unerlässlich ist. Als Lehrer weiß ich, wie schwer es ist, Kinder zum Stillsitzen zu bringen, obwohl diese Arbeit mir heutzutage teilweise von den Computerspielen abgenommen wird. Im späteren Jugendalter ist diese Umfunktionierung dann vollzogen, die Jugendlichen haben zu einem guten Teil verlernt,ihrem Bewegungsdrang nachzugeben und hängen lieber cool in der Gegend herum. Die Lebensphase, in der der natürliche Spieltrieb die Kinder automatisch zum Lernen der für das heutige Leben relevanten Kompetenzen hinführt, wird immer kürzer. Wir haben Bedingungen geschaffen, die das Überleben immer besser für immer mehr Menschen sichern, aber um den Preis, uns von unseren ursprünglichen Grundbedürfnissen zu entfernen. Das Jagen z. B. ist ja bei weitem nicht nur beschwerlich, sondern auch ein Vergnügen, das im Mittelalter den hohen Herren vorbehalten war und heute bestenfalls darauf reduziert ist, dass 22 Sportler einem runden Lederball nachjagen.
Die Sehnsucht nach diesen ursprünglichen Herausforderungen spiegelt sich in der Beliebtheit von Abenteuergeschichten, von Robinson Crusoe angefangen bis zu den heutigen Survival-Camps. Zumindest ein wohldosiertes Stück Steinzeit kann also etwas ganz Nettes sein, nach meinem Geschmack wesentlich eher als ein wohldosiertes Stück Mittelalter.
Ja, ja. Wenn ich an die trägen Schüler meiner Frau oder fußlahmen Studis aus meiner Unizeit denke :D
Allerdings erscheint mir der Sprung von der neolithischen Revolution ins multimediale Kommunikationszeitalter (wobei die Dritte Welt noch weit davon entfernt ist) etwas weit. Das Leben und Arbeiten der bäuerlich geprägten Bevölkerung (oder der Arbeiter) war noch lange mühsam. Bei der adligen "Lustjagd" arbeiteten auch in erster Linie die Treiber und heute versucht der Jäger nicht von seinem Hochsitz auf den 50.000 €-SUV zu fallen :D
Ernsthaft: Ich denke, es ist schon ein Unterschied, ob man sich freiwillig im Garten bewegt oder gezwungen ist, sein tägliches Brot durch harte körperliche Arbeit zu verdienen.
Eine gewisse Sehnsucht nach dem Ursprünglichen, der Natur und den alten, besseren Zeiten erkenne ich auch, allerdings weniger in den Dschungelcamp-Quoten (hier spielen wahrscheinlich andere Motive eine Rolle für die Zuschauer), als zum einen in dem Boom des Wander- und Aktivtourismus in allen Formen, Trendsportarten (Radfahren, Klettern etc.) und der Outdoor-Industrie bzw. -Mode und zum anderen in der Begeisterung der Massen für die Vergangenheit (besonders Mittelalter) in Form von Mittelaltermärkten, Römertagen und dem Reenactment.


Nachtrag:
Zum Thema Öko-Steinzeitmenschen bzw. deren umwälzende Eingriffe in ihre Umwelt empfehle ich die entsprechenden Kapitel in: Weisman, Alan: Die Welt ohne uns.
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Pogopuschel
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Re: "Game of Thrones" . warum sind Mittelalter-Remakes so to

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Beverly hat geschrieben:
Pogopuschel hat geschrieben:Aber bei Martin wird ja nichts beschönigt. Da sind alle irgendwie grausam, und die, die es nicht sind, erleiden ein grausames Schicksal. Er hat sich da von den Rosenkriegen in England inspirieren lassen.(...)
Gegen einen gut gemachten historischen Roman oder Film, der im "echten" Mittelalter spielt, habe ich auch nichts. Da gab es meines Erachtens Höhen und Tiefen, mal Fortschritt und mal Rückschritt und mal zugleich Fortschritt und Rückschritt.
Was ich aber bei Martin, den ich als SF-Autor sehr schätze, nicht verstehe, ist, wie er als Weltenbauer sich eine Epoche zur Vorlage nimmt, die deinen Worten zufolge nicht anders als grauslich sein konnte, weil die Voraussetzungen für Besseres noch nicht oder nicht mehr vorhanden waren.
Es braucht nicht immer positiv zuzugehen, damit ich einen Roman lese oder einen Film sehe. Aber bei Erzählungen, die in fiktiven Welten spielen, erwarte ich von den Weltenschöpfern eine andere Art von Verantwortung als bei Autoren historischer Romane. Ich will über den Weltentwurf nachdenken können, er soll Fragen aufwerfen, Lösungen aufzeigen, Bestehendes hinterfragen ... ein reiner "Nachbau" kann das nicht. Was ein fiktives Mittelalter betrifft, ziehe ich da "Die Schrecken des Jahres 1000" von PM und und die "Hammer und Kreuz"-Trilogie von Harry Harrison vor, weil sie Frage stellen "wäre es auch anders gegangen"?
Da ist Martin als Fantasy Autor eben nicht für dich. Ich finde seine Reihe besonders erfrischend, weil sie sich stark von den sonst so typischen romantisierenden Heldenfantasygeschichten abhebt. Martin soll ja das ganze nur in einer Fantasywelt angesiedelt haben, weil er zu faul war, über die Rosenkriege zu recherchieren. Ich mag an seinem Weltenentwurf, dass sich die Magie dezent zurückhält, und die Welt, der unseren stärker ähnelt, als es sonst der Fall in der Fantasy ist. Außerdem läuft seine Dramturgie im Laufe der Reihe schön gegen die üblichen Konventionen und die Handlung nimmt immer wieder Wendungen, mit denen man wirklich nicht gerechnet hat. Da werden auch keine Hauptfiguren verschont.
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Beverly
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Re: "Game of Thrones" . warum sind Mittelalter-Remakes so to

Ungelesener Beitrag von Beverly »

Bully hat geschrieben:Wenn man über das (europäische) Mittelalter oder mittelalterliche Szenarien in Fantasy, SF oder sonstiger Fantastik schreibt, kriegt man immer entweder einen drüber (...)
Frank Herbert hat von mir für den "Wüstenplaneten" keinen übergebraten bekommen und vom "Imperium" des Simon R. Green mit seinen schwertschwingenden Investigatoren und psychopathischer Löwenstein XIV. war ich sogar regelrecht begeistert.

Vielleicht regt sich aber Unmut, wenn das, was bei Herbert und Green (oder auch "Der Name der Rose") noch innovativ war, zu einer immer wieder durchgenudelten Masche wird.
Sam Spade hat geschrieben:Zum Thema "finsteres Mittelalter" (sei es im Bezug auf Kultur oder die Quellenlage) wurde ja schon erwähnt, dass man dies heute differenzierter sieht.
Vieles spricht für die Theorie, dass in ganz Eurasien einem "goldenen Mittelalter" ab dem 13. Jahrhundert das "finstere Mittelalter" folgte.

Im "goldenen" Mittelalter vom 8. bis zum 13. Jahrhundert war das Klima relativ mild, Ostasien und die arabisch-islamische Welt waren Zentren der Hochkultur. Europa war weniger bedeutend, aber immerhin entdeckten die Wikinger Grönland und Amerika.
Im "finsteren" Mittelalter ab dem 13. Jahrhundert brach die islamische Hochkultur unter Invasionswellen aus Zentralasien - zuerst der Mongolen, später Tamerlan - sowie innerer Erstarrung zusammen. China isolierte sich nach 1400 von der Welt, Japan nach 1600.
In Europa begann die so genannte "kleine Eiszeit", in Russland entwickelte sich durch die Mongolenherrschaft eine extrem autoritäre Herrschaftstradition und auch in anderen Teilen Europas ging es mit den Lebensbedigungungen eher bergab als bergab. IMHO entstand eine Schere zwischen Fortschritten in Wissenschaft und Technik - etwa die Erfindung des Buchdrucks - und gesellschaftlichen Rückschritt. Vieles, was gern als Beispiel für das finstere Mittelalter genannt wird - etwa Inquisition oder Hexenwahn, Ghettos der Juden - gab es im Hochmittelalter noch nicht, sondern es wurde erst im späten Mittelalter oder der Neuzeit eingeführt etc. etc. etc.

Solche Gedanken führen zu der Frage, wie man sich literarisch damit auseinander setzt. Auch wenn das Mittelalter nicht durchweg finster war, so war es selbst an seinen besten Zeiten und Orten alles andere als ein Abenteuerspielplatz für Zivilisationsmüde und Kulturpessimisten. So hatte ich bei der Verfilmung von "Die Säulen der Erde", der meines Erachtens dem Mittelalter aufgeschlossen gegenüberstand, den Eindruck, dass die meisten Menschen da - nach unseren Maßstäben - in Lumpen gekleidet waren. Ich denke, das war sie damals ganz normal, aber wenn sie gekonnt hätten, hätten sie doch besser gelebt.
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Re: "Game of Thrones" . warum sind Mittelalter-Remakes so to

Ungelesener Beitrag von Sam Spade »

Wenn du schon Russland erwähnst, dann sollte man auch auf den mittelalterlichen Aufschwung Polen(Litauens) der Jagiellonen zu einer Großmacht erwähnen, der in der Adelsrepublik samt Wahlkönigtum in der frühen Neuzeit seinen Gipfel und Ende fand. Das Mittelalter meinte es gar nicht so schlecht mit den Nachbarn in Mittelosteuropa. Wie gesagt ein differenziertes Bild. Aber war das Leben im 16. Jahrhundert so viel besser für die breite Masse? Oder vorher in der Antike (Stichwort: Sklaverei)?
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