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Töten Netflix und Co. das Buch?

Verfasst: 10. Oktober 2017 19:56
von breitsameter
Von einbrechenden Buchverkäufen spricht Felicitas von Lovenberg, seit 2016 verlegerische Geschäftsführerin des Bonnier-Verlags Piper, und sagt wieder einmal das Sterben eines Kulturgutes voraus:
https://www.buchreport.de/2017/10/09/fe ... -bewahren/

Popopuschel, alias Markus Mäurer, hat dazu einen Blogbeitrag verfasst, den ich hier gerne zur Diskussion stellen würde:
https://translateordie.wordpress.com/20 ... zum-lesen/

Wie seht ihr das?

Re: Töten Netflix und Co. das Buch?

Verfasst: 10. Oktober 2017 21:21
von Naut
Ich gehe so gut wie gar nicht mehr ins Kino, Serien gucke ich eher sporadisch und ausgewählt (Star Trek ist Pflicht, aber sonst ...), Filme eher aus der Konserve, sobald die DVD billig wird.

Aber Bücher müssen sein. Eines alle 1-2 Wochen, davon etwa 50-70% Phantastik.

Re: Töten Netflix und Co. das Buch?

Verfasst: 10. Oktober 2017 21:33
von lapismont
Ich behaupte mal, dass der Buchmarkt sich überfressen hat. Die riesige Anzahl von Neuveröffentlichungen bildete eine Blase, die nun am Platzen ist.
Vermutlich hat das Mehr an Bücher auch eher nicht zu einer größeren Anzahl guter Bücher geführt. Aber das dürfte der geringste Grund sein.

Klar ist das goldene Zeitalter von Fernsehserien, Steam, Spotify und Smartphone überhaupt, eine Konkurrenz zum Buch. Aber so ging es alles Medien in Zeiten neu hinzukommender Medien.
Der Minnesänger fand den Buchdruck bestimmt auch geschäftsschädigend.

Re: Töten Netflix und Co. das Buch?

Verfasst: 10. Oktober 2017 21:57
von Guido Latz
Es ist sicher richtig, dass Netflix und Amazon dazu gekommen sind. Watchever hat aber bereits das Zeitliche gesegnet, und dass das Angebot von Maxdome genau so gut ist wie meinetwegen vor einem Jahr noch, würde ich nicht unterschreiben. Es ist ein Stochern in Nebel, solange man nicht weiß wieviele Zugriffe Netflix oder Amazon haben.

Und: Früher hat man die Serie bei den ÖR oder den Privaten geguckt - gibt es da überhaupt noch ein Angebot? (Was mich betrifft: Nein)

Und: Früher hatten die meisten Serien 22 Folgen pro Staffel. Viele Serien haben heute 13. Oder 10. Oder 8.

Was Verlage betrifft: Das Angebot von Lübbe z.B. in Sachen Phantastik ist im Vergleich zu "früher" doch gar nicht mehr messbar - wenn man fast keine SF, Famtasy etc. verlegt, hat man auch fast keine Verkäufe.

Re: Töten Netflix und Co. das Buch?

Verfasst: 10. Oktober 2017 22:09
von lapismont
Guido Latz hat geschrieben: 10. Oktober 2017 21:57 Was Verlage betrifft: Das Angebot von Lübbe z.B. in Sachen Phantastik ist im Vergleich zu "früher" doch gar nicht mehr messbar - wenn man fast keine SF, Famtasy etc. verlegt, hat man auch fast keine Verkäufe.
Es ging ja um alle Genres . Frau Lovenberg behauptet ja sogar, dass der Deutschen Buchpreis den Lesern die Freude verdirbt. Und dort gab es gar keine Phantastik.

Es ist eine alte Schallplatte, die da leiert. Bestimmt auch bald auf Spotify zu hören.

Re: Töten Netflix und Co. das Buch?

Verfasst: 10. Oktober 2017 22:11
von Guido Latz
Ich denke, das Beispiel lässt sich übertragen.

Re: Töten Netflix und Co. das Buch?

Verfasst: 10. Oktober 2017 22:13
von Ming der Grausame
breitsameter hat geschrieben: 10. Oktober 2017 19:56Von einbrechenden Buchverkäufen spricht Felicitas von Lovenberg, seit 2016 verlegerische Geschäftsführerin des Bonnier-Verlags Piper, und sagt wieder einmal das Sterben eines Kulturgutes voraus:
https://www.buchreport.de/2017/10/09/fe ... -bewahren/
Das Kulturgut Lesen muss nicht vorm Aussterben bewahrt werden, da heute so viel wie noch nie gelesen wird. Die Smombies überall um uns herum lesen beständig irgendetwas. Was nur die alte Weisheit bestätigt: Man kann sehr viel lesen und trotzdem sehr wenig Verstand haben... :zombie:

Re: Töten Netflix und Co. das Buch?

Verfasst: 10. Oktober 2017 22:18
von Guido Latz
Wenn auch vielleicht niemand mehr Phantastik liest (was ich bestreite), muss ich an etwas ganz anderes denken. Phantastik ist ittendrin in dieem Feuilleton. Dirk van den Boom hat den DSFP gewonnen, Margaret Atwood kriegt den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und Kazuo Ishiguro den Literaturnobelpreis. Man jammert da auf sehr hohem Niveau, das ist schon beachtlich. Mal sehen, wann es so viel Geballtes demnächst noch mal gibt.

Re: Töten Netflix und Co. das Buch?

Verfasst: 10. Oktober 2017 22:21
von Guido Latz
Ming der Grausame hat geschrieben: 10. Oktober 2017 22:13 Das Kulturgut Lesen muss nicht vorm Aussterben bewahrt werden, da heute so viel wie noch nie gelesen wird. Die Smombies überall um uns herum lesen beständig irgendetwas. Was nur die alte Weisheit bestätigt: Man kann sehr viel lesen und trotzdem sehr wenig Verstand haben... :zombie:
Man weiß natürlich nicht, was "die Verlage" möchten - den Status quo der Zeit vor dem Internet, vor dem eBook? Bücher palettenweise in die Buchhandlung, sehen was zurück kommt, abrechnen? Die Zeiten sind vorbei. Ein Verlag sollte sich ein Stückweit sehen wie... meinetwegen Warner Bros. - Du musst den Kunden halt was geben, sei es als Film oder Serie egal ob im Kino oder bei Amazon oder The CW - vielleicht auch noch Comics, gedruckt und digital. Was früher anders war fällt halt weg, da muss man sich was überlegen.

Re: Töten Netflix und Co. das Buch?

Verfasst: 10. Oktober 2017 22:23
von Guido Latz
lapismont hat geschrieben: 10. Oktober 2017 22:09 Es ist eine alte Schallplatte, die da leiert. Bestimmt auch bald auf Spotify zu hören.
Dem Label muss doch egal sein - und dem ist es egal - , ob ich eine LP kaufe oder Du das bei dieser Frau Spotify kaufst (ja: hörst). Content finden, den Leute haben wollen. Darauf kommt es an.

Re: Töten Netflix und Co. das Buch?

Verfasst: 10. Oktober 2017 22:31
von Ming der Grausame
Guido Latz hat geschrieben: 10. Oktober 2017 22:18 Wenn auch vielleicht niemand mehr Phantastik liest (was ich bestreite), muss ich an etwas ganz anderes denken. Phantastik ist ittendrin in dieem Feuilleton.
Das grundsätzliche Problem der Science-Fiction ist, dass ihr schlicht die Zukunft ausgegangen ist. Der modernen Science-Fiction fehlt einfach das Je ne sais quoi, das früher immer irgendwie mitschwang. Zu mehr als zu noch einer müden Dystopie oder der ewigen Wiederkehr des Gleichen, wie z.B. bei Perry Rhodan oder den vielen Warhammer-Fantasy-Romanen, kann sie sich einfach nicht aufraffen – da verliert man als Leser automatisch jede Freude daran...

Re: Töten Netflix und Co. das Buch?

Verfasst: 10. Oktober 2017 22:48
von lapismont
Guido Latz hat geschrieben: 10. Oktober 2017 22:23
lapismont hat geschrieben: 10. Oktober 2017 22:09 Es ist eine alte Schallplatte, die da leiert. Bestimmt auch bald auf Spotify zu hören.
Dem Label muss doch egal sein - und dem ist es egal - , ob ich eine LP kaufe oder Du das bei dieser Frau Spotify kaufst (ja: hörst). Content finden, den Leute haben wollen. Darauf kommt es an.
Bloß wer sind diese ominösen Leute?

Re: Töten Netflix und Co. das Buch?

Verfasst: 10. Oktober 2017 22:54
von Guido Latz
Die ominösen Leute kann jeder sein.
Aber im Ernst. Solange Piper nicht sagt, wieviel man früher wovon verkauft hat bei welcher Titelanzahl etc. im Vergleich zu heute, und bei Netflix vielleicht viel, viel weniger die erste DSICOVERY-Folge geguckt haben als eine SUPERGIRL-Folge mitten in der Nacht bei ProSieben (?) stochern wir doch im Nebel.
CBS hat die TV-Filme mit Tom Selleck als Jessie Stone abgesetzt, also sie 10-13 Mio. Zuschauer hatten. AGENTS OF SHIELD ist wo? 3 Mio.?

Re: Töten Netflix und Co. das Buch?

Verfasst: 10. Oktober 2017 23:03
von Lensman
lapismont hat geschrieben: 10. Oktober 2017 21:33 Vermutlich hat das Mehr an Bücher auch eher nicht zu einer größeren Anzahl guter Bücher geführt.
Gefühlt stimme ich dem zu. Aber ich bin auch ein Vielleser, genauer ein Vielbücherleser.

Ein weiterer Punkt ist, dass durch die Allgegenwart von Kurztexten - Facebook, Messenger, Tweets, usw - eine Häppchen-Mentalität eingekehrt ist, die eher gegen die Ausdauer wirkt, ein laaanges Buch zu lesen. Lesen in mangelnder Übung wird damit anstrengend.

Ein dritter Punkt ist nach meiner Beobachtung an jungen Menschen eine Dreiteilung: ein Teil dieser Menschen hat seit der Schule kein Buch mehr gelesen (und dort auch nur widerwillig); manche sind fast stolz darauf. Ein weiterer Teil schafft so ein bis zwei Bücher im Jahr, tendenziell eher leichte Belletristik, oft Fantasy, ansonsten max. eine Zeitschrift. Der dritte, imho kleinste Teil, liest durchaus viel und gemessen am Alter 18-21 Jahre auch vielfältig. Wenn meine Beobachtung stimmt, sind das fast immer Abkömmlinge aus dem Bildungsbürgertum.

Was ich aus eigener Beobachtung sicher feststellen kann, ist die Tatsache, dass die sprachlichen Fähigkeiten bei jungen Erwachsenen im Durchschnitt abnehmen. Wortschatz und Sprachkomplexität sind erkennbar reduziert. Das betrifft natürlich nicht alle jungen Erwachsenen, aber der Anteil scheint zu steigen. Über die Ursachen kann ich auch nur spekulieren.

Ich denke wohl, dass Lesen als Kulturtechnik einfach mehr Konkurrenz bekommen hat. Die Vielfalt alternativer Formen der internetbasierten Freizeitgestaltung hat nun einmal zugenommen. Unter den Kategorien der Aufmerksamkeitsökonomie betrachtet, sind die Angebote im Internet - Youtube, Netflix usw. - auch einfach besser geworden als die allgemeinen Fernsehangebote.

(OT Persönlich glaube ich, das die soziale Spaltung in Deutschland durch Bildungsdistinktion eher zunehmen wird -trotz der immens angestiegenen Studentenzahlen).

Es grüßt
Lensman

Re: Töten Netflix und Co. das Buch?

Verfasst: 11. Oktober 2017 00:35
von Pogopuschel
Töten ist sicher etwas überspitzt formuliert. Ich würde eher von einer Marktverschiebung sprechen. Klar, in den letzten Jahrzehnten sind immer mehr neue Freizeitbeschäftigungen und Medien dazugekommen, die dem Buch Konkurrenz machen. Mein subjektiver Eindruck ist es aber, dass gerade Anbieter wie Netflix und Amazon Prime mit der Fülle an hochwertigen Serien und den technischen Möglichkeiten (ständige Verfügbarkeit, Smartphone/Tablet + Downloadfunktion) genau jene Menschen ansprechen, die sonst im Zug/Flugzeug oder im Bett zum Buch gegriffen hätten. Und seit Serien wie »The Sopranos« oder »The Wire« und dem sogenannten Quality TV sprechen sie nicht nur reine Unterhaltungsleser an, sondern auch jene, die vor allem zu komplexen und anspruchsvollen Romanen gegriffen haben.