Gene-Wolfe-Lesezirkel Teil 4: The Citadel of the Autarch

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g. b. corner
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Re: Gene-Wolfe-Lesezirkel Teil 4: The Citadel of the Autarch

Ungelesener Beitrag von g. b. corner »

Hoi Kollegen - hab auch viel zu tun aber jetzt kapitel 4:

- "A weapon of a friend's" ist tatsächlich seltsam.

- die schwammigen erinnerungen des soldaten, speziell mit der sonne, sollen denke ich an nahtod-erfahrungen erinnern (das thema war in den 70ern und 80ern recht beliebt)

-"I lost it somewhere along the way. That's what the jaguar said, who had promised to guide the goat."
das ist ein sehr klarer hinweis auf Jonas; wenn auch bis zum schluss nicht klar bleibt wie die beziehung genau aussieht.

- eine der fragen bei Severians fiebertraumsequenz ist, wie stark sie von tatsächlichen erinnerungen geprägt ist, also ob z.b. tatsächlich die Cumaean und Merryn an Malrubius' totenbett waren (was wohl auch ein hinweis wäre dass es noc hweiterreichende kontakte gegeben hätte). Merryn nennt Severian "sister"; ich denke man kann sie problemlos als Severa identifizieren (Borski würde natürlich argumentieren, dass das zu durchsichtig oder offensichtlich sei, aber meienr ansicht nach spielt Wolfe meistens fair).

-"When we sleep," Merryn told me, "we move from temporality to eternity."
"When we wake," the Cumaean whispered, "we lose the facility to see beyond the present moment."
in wirklichkeit würde ich das mit dem träumen ein bisschen anders beschreiben; dass man in träumen einen anderen zeitbegriff hat als im wachzustand ist richtig - diesen umstand als "move to eternity" zu umschreiben ist eine recht mystische betrachtungsweise finde ich. genauso "lose the facility" - in wirklichkeit verliert man eben umgekehrt im traum die fähigkeit, kausal bzw. überhaupt bewusst zu denken.
(einige jahre später hat übrigens Neil Gaiman, der ja ein großer Wolfe-fan ist, einen sehr ähnlichen dialog in seiner "Sandman"-serie untergebracht)

- dass Severian hier gestorben ist kommt mir nicht recht wahrscheinlich vor ... er hatte das "übliche" fieber; eher glaube ich (wenn man die vorherigen aussagen über träume berücksichtigt) dass die fieberträume eben dazu dienen sollen, ein bisschen aus dem "zeitlichen" rahmen auszusteigen.

- Hethors rede ist "echt" insofern als sie die ihm eigenen alliterationen und sprechrhythmen aufweist; wenn Severian sich hier nicht an ein tatsächliches gespräch erinnert dann ist die rede zumindest sehr "sauber" imaginiert. also 3 möglichkeiten:
a) Severian träumt wirklich und bildet sich Hethor sehr "realistisch" ein
b) Severian erinnert sich im traum an ein echtes gespräch (zeit genug mit Hethor war dazu sicher)
c) das gespräch entstammt einem äußeren einfluss; also z.b. telepathisch.

- Malrubius in der frauenhand: die querverbindung bzw. symbolik ist mir nicht ganz klar. riesige frauenhände haben wir natürlich (z.b. die der Undinen) aber wie bringt Severian diese mit Malrubius in verbindung? evtl. über die wasser-symbolik? man bedenke dass nach dem kommen der "Neuen Sonne" die meeresspiegel stark steigen werden, siehe auch der wasserfall aus dem auge. das eisige wasser scheint in der realität jedenfalls schlicht mit der eispackung zu korrespondieren, mit der Severian behandelt wird.

alles in allem wohl eines der schrägsten kapitel im buch; allein stilistisch aber natürlich hervorragend: wie anders sollte sich wohl ein kapitel lesen, das mit "Fever" überschrieben ist ?! und kein wunder dass wir uns nicht auskennen ...

Georg

grüße,
Georg
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Nessuno
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Re: Gene-Wolfe-Lesezirkel Teil 4: The Citadel of the Autarch

Ungelesener Beitrag von Nessuno »

Ahoj, Kameraden!

IV 5: The Lazaret / Das Lazarett

“I do not believe”: Runnig gag …

“but the moment seemed inappropiate”: das Gollum-Syndrom mal wieder. Es ist erstaunlich, mit wie vielen wiederkehrenden Motiven GW arbeitet, ohne dass man sie (meistens) beim ersten Lesen erkennt.

„Correct Thought“: ob GW hier neben der „Mao-Bibel“ noch auf weitere historische „Denkschulen“ anspielt? Man könnte an Dianetik/Scientology, Ouspensky und Graf Korzybski denken, die auf A.E. van Vogt, Wilson und James Blish in der SF Eindruck gemacht haben.

“He's a friend of mine, more or less.” Auch das ist fast schon ein rg und kontrastiert stark zu Baldanders´ Bezeichnung als Freund kurz vorher.

„prisoner“: warum sind die nicht extra untergebracht? Weil die Pelerinen hier nicht unterscheiden?

“and they know, really, that it will never be won”: nur ideologisches Geschwätz, oder weiß sie mehr?

“Only he did something wrong and had to go back to the ranks." Ein weit hergeholte Vermutung, wie ich finde. Sie mag schon deshalb richtig sein.

„huzzar“ = Husar = leichte Kavallerie.

“I was of the Blue Huzzars, he a hoplite." / "You shouldn't talk nonsense," Melito growled. "I am a hoplite. You are a huzzar." Der Witz scheint in dem “was” zu liegen (die deutsche Übersetzung vermurkst hier alles). Auch wenn ich dann Severians Bemerkung „I thought he appeared much nearer death than she” nicht so recht kapiere.

“I suppose actually tens or hundreds of thousands—of those tags memorized." / "That's impossible," I said.” Der rg zum zweiten.

“If they admitted—even to themselves—that such talk meant something, then it would be possible for them to hear disloyal remarks, and even to make them. That would be extremely dangerous.” Perfekt konditionierte Bürger. Allerdings bin ich skeptisch, ob so etwas möglich ist. Der Gefangene hat offenbar überhaupt keine Verständnisschwierigkeiten, dem Gespräch zu folgen, allerdings ist sein Artikulationsvermögen in „unserer“ Sprache gleich Null. Man fragt sich: Wie will er so als Dolmetscher Gefangene befragen?

„There are long periods of silence, I found, in such a place, where almost everyone is ill.” Hier mag der im Korea-Krieg verwundete GW in eigener Person sprechen.

„matross“: „a guild in charge of the large energy canons inthe Citadel“ (LU2)

“dying belt of tropical vegetation”: dying wohl wegen des seit Typhon einsetzenden Klimawandels durch die sterbende Sonne.

Nach dem mystisch-mysteriösen Kapitel IV 4 nun ein eher bodenständiges Kapitel IV 5. Unklar bleibt mir hier nur die Figur/Rolle "Loyal to the Group of Seventeen".

Nessuno
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g. b. corner
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Re: Gene-Wolfe-Lesezirkel Teil 4: The Citadel of the Autarch

Ungelesener Beitrag von g. b. corner »

Hallo Kollegen,
Kapitel 5:
“and they know, really, that it will never be won”: nur ideologisches Geschwätz, oder weiß sie mehr?
später wird Severian mit einem forscher sprechen der die einschätzung teilt - die Ascians sind offenbar ständig am rande ihrer leistungsfähigkeit, während der Commonwealth kaum mehr als seine regulären truppen ins feld führt. der konflikt erinnert anscheinend an den kalten krieg, den die Sowjetunion samt vasallenstaaten auch nur unter großen wirtschaftlichen opfern (bzw. letztlich zusammenbruch der wirtschaft) so lange aufrechterhalten konnte.
„Correct Thought“: ob GW hier neben der „Mao-Bibel“ noch auf weitere historische „Denkschulen“ anspielt? Man könnte an Dianetik/Scientology, Ouspensky und Graf Korzybski denken, die auf A.E. van Vogt, Wilson und James Blish in der SF Eindruck gemacht haben.
mein erster gedanke, schon bei der erstlektüre, war ebenfalls die Mao-bibel ... Wolfe wäre aber nicht Wolfe wenn man das nicht breiter sehen könnte. Dianetics hast du erwähnt; wesentlich näher würde ich aber "klassische" religionen sehen; ich weiß ja nicht ein wie eifriger kirchgänger Wolfe war aber wenn man einige christliche messen miterlebt (ja, ich war einmal ministrant :-P ) dann wird einem ebenfalls die sehr formelhafte sprache aller sakramente auffallen. in ihrer leersten form ist religion dann tatsächlich nur eine solche ansammlung von formalismen. Wolfe wird das auch in seinem späteren "Book of the Long Sun" aufgreifen, wo oft aus den "Chrasmologic Writings" zitiert wird und dann z.b. eine zufallspassage daraus auf ihre relevanz für die gegenwart gedeutet wird. extrem ist in diesem zusammenhang auch teilweise der koran; an den sogenannten "koranschulen" lernen die knaben tatsächlich nur genau das: das lesen der einzelnen "suren" des heiligen buchs. und das ende des kapitels mit seinem frage-antwort-monolog erinnert dann sehr stark an die sprüche der TV-prediger in den staaten:
"How shall the state be most vigorous? It shall be most vigorous when it is without conflict. How shall it be without conflict? When it is without disagreement. How shall disagreement be banished? By banishing the four causes of disagreement: lies, foolish talk, boastful talk, and talk which serves only to incite quarrels. How shall the four causes be banished? By speaking only Correct Thought. Then shall the state be without disagreement ..."
ich kann mir nicht vorstellen dass diese parallele nicht beabsichtigt war ... aber als hauptinspiration gehe ich von der Mao-bibel aus.
die ganze idee so einer sprache ist aber natürlich satirisch (erinnert ein wenig an Lem; so eine episode hätte in die sterntagebücher gepasst); in der realität ist der mensch stets anpassungsfähig genug. der gefangene wird später mit seinen formalismen eine geschichte erzählen; ich habe keine zweifel dass die menschen auch trotz "Correct Thought" jederzeit möglichkeiten finden ihre wünsche zu artikulieren. mit sprache kann man keinen menschen unterdrücken; man muss schon tatsächlich einen "bewacher" neben ihn setzen oder ein system von gegeseitiger überwachung/angst wie im 3. reich oder der DDR installieren.

grüße,
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Re: Gene-Wolfe-Lesezirkel Teil 4: The Citadel of the Autarch

Ungelesener Beitrag von Nessuno »

Ahoj, Kameraden!

IV 6: Miles, Foila, Melito and Hallvard/Miles, Foila, Melito und Hallvard

“Although I had seen nothing of the monsters Hethor had brought from beyond the stars since little Severian and I had escaped from the village of the sorcerers”: In III 21/22. Wegen der Fieberszene in IV 4 ist wohl Hethors Erwähnung verständlich, aber trotzdem auffällig. Wir werden Hethor später noch kurz in Agias „Gesellschaft“ finden, ansonsten spielt er keine Rolle mehr. Wer Hethor für eine Variante des „Fliegenden Holländers“ hält, könnte vermuten, dass er bei Agia seine „Erlösung“ gefunden hat. Jonas könnte dann der vom Holländer ausgestoßene Steuermann sein. Richard-Wagner-Oper-Parallelen gibt es bei GW übrigens haufenweise.

“I had eaten I was weaker than I had ever been”/“ I woke feeling less than rested”: Für mich weitere Hinweise auf Severians früheren Tod.

“calling him Miles since I could think of nothing better”: Miles = lat. Soldat. In I 4 behauptet Severian, dass er keine anderen Sprachen kennt, aber er mag in seinem Unterricht einiges aufgeschnappt haben.

„A girl with hair like red gold and enormous eyes“. Obwohl in III 3 „enormous eyes“ (und blaue) Dorcas zugeschrieben werden, besteht für mich kein Zweifel, dass hier Jolenta gemeint ist. Im nächsten Satz wird es noch deutlicher: „the most beautiful woman in the world“: mit denselben Worten hat Severian Jolenta in I 32 bezeichnet (vgl. IV 18; ähnlich Dorcas in II 28). Später im Stück wird das explizit bestätigt. Das spricht nun angesichts der Tatsache, dass Jonas in Jolenta verliebt war, sehr für die Identität von Miles und Jonas (und nebenbei auch für die Verwandtschaft von Dorcas und Jolenta – letztere ist in meinem Stammbaum Dorcas´ zweites Kind nach Ouen). Oder genauer: für eine Teilidentität. Das „maybe flew through it“ (= a lot of darkness) könnte bedeuten, dass die Claw Jonas durch den Weltraum transportiert oder – für mich wahrscheinlicher, weil auch Jolenta verstorben ist – von den Toten zurückgeholt hat. Deutet die enge Beziehung zwischen Jolenta und Jonas auf mehr als eine Liebe hin? Sind die beiden verwandt?

„maybe flew through it“. Etwas anders wird es in IV 4 beschrieben: "Flying through the dark. Yes, I was with you, and we came to a place where the sun hung just above our heads. There was a light before us, but when I stepped into it, it became a kind of darkness." Auffällig ist die Ersetzung von Severian durch Jolenta.

„Blue eyes?“: Gemeint sind wohl nicht die der Frau (Jolentas Augen sind „clear green“), sondern die von Miles. Vgl. „looking into his honest blue eyes“. Ich bin nicht sicher: Hatte auch Jonas blaue Augen? (Mir fallen nur der Autarch, Dorcas, der Lustknabe in Baldanders Schloss und die Gefangene in IV 34 ein.)

"You just came here. Two nights ago, when I did." Wahrscheinlich hat Miles zuerst geglaubt, dass Severian den Pelerinen die Claw gestohlen hat.

„not by me“: technisch gesehen schon.

“as though he somehow doubted it”/”eventually”: Anspielung auf das Gollum-Syndrom.

korseke: vgl. IV 1.

“So I think you've been north longer than you'll admit, and maybe longer than you think yourself.” Irgendein versteckter Hinweis?

“I think you're two people, and that I know one of them”: Warum denkt Severian, dass es zwei Persönlichkeiten sind und nicht nur ein amnesischer Jonas? Weil Miles zwar Schiffsslang spricht, aber doch nicht ganz so richtig?

“I'm two people already”: Was mir hier Kopfzerbrechen bereitet, ist nicht die Aussage (Sev + Thecla), sondern das “already”.

“Perhaps more people are two than we know”: noch ein versteckter Hinweis?

“I will come back for her when I have been repaired. When I am sane and whole.” Jonas´ exakte Worte (die Interpunktion klammern wir mal aus) in II 18.

“It was I who revived you, and I had been wishing for his return—perhaps that had something to do with it." Meine persönlich Meinung ist, dass Severians Interpretation hier richtig. ist.

“That's what the jaguar said, who had promised to guide the goat." Vgl. IV 4.

“It was a time, I think, and not a place”. Wahrscheinlich beides, zuerst die Sprechweise von Robotern/Cyborgs aus der Zeit kurz nach unserer Gegenwart, dann der Slang der Raumfahrer, weil die Cyborgs in Schiffen lange Dienst taten.

“Perhaps she was too artificial”: Severian kann kombinieren, wie er hier wieder zeigt.

“So I have decided to marry the best storyteller. Don't look at me as if I were mad—it's the only sensible thing I've done in my life.” Geschickt schlägt GW hier einen neuen Ton in seiner Erzählung an.

“Listen and judge“: Gerade das zweite tun die torturers ja angeblich nie. Severian gibt nicht einmal sein Einverständnis hier kund.

Ein relativ langes Kapitel mit einigen intensiven Stellen. Die Überschrift ist mal wieder nicht ganz passend oder zumindest wenig aussagekräftig, eines der wenigen Dinge, die mich an TBotNS stören, dass sie nicht immer so sorgfältig gestaltet sind wie der „normale“ Text (was wohl bedeutet, dass ich bisher nicht hinter dem „Dreh“ gekommen bin – möglicherweise will ja GW demonstrieren, dass die Überschriften vom „Übersetzer“ stammen).

Nessuno
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Re: Gene-Wolfe-Lesezirkel Teil 4: The Citadel of the Autarch

Ungelesener Beitrag von Lichtspruch-an-TRAV »

Hallo Leute!

IV 6: Miles, Foila, Melito, and Hallvard

- Severian befürchtet, dass Hethor und Agia neue Anschläge auf ihn planen könnten. Sein desolater Zustand würde den beiden eine gute Gelegenheit bieten.
Nessuno hat geschrieben:Jonas könnte dann der vom Holländer ausgestoßene Steuermann sein.
Keine schlechte Idee! Außerdem würfeln in der Sage ein Engel und der Satan um die Seele des Holländers - ein weiterer (möglicher) Hinweis auf Hethors Zerrissenheit?
Nessuno hat geschrieben:Richard-Wagner-Oper-Parallelen gibt es bei GW übrigens haufenweise.
Vor allem im Hinblick auf den Ring und auf Parsifal. Eine Anspielung auf Lohengrin meine ich auch schon ausgemacht zu haben :kopfkratz:

- Nach einer fiebrigen Nacht bekommt Severian Besuch vom auferstandenen Soldaten. Er kündigt seine Abreise an.

Die nun folgende an Inires Kabinett erinnernde "Spiegelszene" bleibt seltsam unklar. Versuchte der zurückgekehrte Jonas Jolentas Gesicht (fehlerhaft) zu kopieren? Wie kommt Severian zu dieser spontanen Eingebung? Vermutlich geht da die Klaue mal wieder ihrem Wunderwerk nach...

- Miles scheint Severian nicht so recht einschätzen zu können: offensichtlich hat er Zweifel an seiner Ehrlichkeit. Er erzählt die Geschichte eines kleinen Jungen, der bei der Abwehr eines Angriffs der Ascier zum "Massenmörder" wurde.

"It seems to me you might be like that."

Eine zutreffende Aussage. Severian hört Einschätzungen dieser Art nun wirklich nicht zum ersten Mal. Auch wenn er (aus Schamgefühl?) nur selten darüber reflektiert, so sind ihm seine Dämonen mehr als bewusst. Speziell auf Severian gemünzt, meinte Wolfe einmal in einem Interview "auch Jesus Christus habe als erstes Werkzeug eine Peitsche angefertigt" - interessante Feststellung.

"You were hit by rock splinters"

Stimmt - allerdings stammen die von Baldanders Keulenschlägen und nicht (wie Miles unterstellt) vom Fronteinsatz.
Nessuno hat geschrieben:Warum denkt Severian, dass es zwei Persönlichkeiten sind und nicht nur ein amnesischer Jonas?
Als sich Jonas damals aus den organischen Beständen des Schiffes "ergänzte" hat er möglicherweise mehr Persönlichkeit von seinem unbekannten, biologischen Spender aufgeschnappt, als ihm bewusst war...
Nessuno hat geschrieben:“I'm two people already”: Was mir hier Kopfzerbrechen bereitet, ist nicht die Aussage (Sev + Thecla), sondern das “already”.
Das dürfte eine Anspielung auf die spätere, lange Reihe seiner Autarchen - Kollegen sein. Severian schreibt das Buch aus der Rückschau. Könnte ihm da die Erinnerung (erneut) einen Streich gespielt haben?

- Wie Miles als Jonas "enttarnt" wird, gehört sicherlich zu Severians Glanzleistungen. Natürlich ist keineswegs gesagt, dass die ausgesprochene Unterstellung auch zutrifft. Im Vergleich zu den vorherigen Bänden haben wir es aber mit einem deutlich "gereiften" Severian zu tun.

- Die umliegenden Soldaten bitten unseren Helden den Schiedsrichter in einem Erzählwettbewerb zu geben.


Grüsse,

Gerd
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g. b. corner
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Re: Gene-Wolfe-Lesezirkel Teil 4: The Citadel of the Autarch

Ungelesener Beitrag von g. b. corner »

Hallo Kollegen!

kapitel 6:

- bezüglich der seltsamen Jonas/Miles-verwirrung (Janus??) ist mir noch folgendes eingefallen:
tatsache scheint dass Jonas ursprünglich eine art roboter war und nach einem unfall mit organischen teilen "repariert" wurde. tatsache ist weiterhin dass Jonas vor und nach diesem unfall im "meta-raum" von Briah unterwegs war; es ist also zumindest nicht denkunmöglich dass es sich beim "organspender" um unseren Miles handelt. demzufolge hätte Jonas seine seltsame sprechweise von Miles und nicht umgekehrt. gegen diese theorie spricht aber natürlich die "erinnerung" an Jolenta (wenn es eine ist).
wenn die erinnerung echt ist dann müssen wir eine art "seelenwanderung" annehmen, was ja im rahmen der handlung nichts komplett unerhörtes wäre. in diesem fall wirken Severians heilungen und wiederbelebungen offenbar auf eine art die in naher verwandtschaft zu Inire's spiegeln steht; also via meta-raum. das ist dann auch Severians erklärung ein paar absätze weiter. und als Severian erklärt dass Jolenta tot ist, geht Miles wie betäubt davon. das macht die "seelenwanderung" zur wahrscheinlichen theorie; der witz ist aber dass erstere vermutung gleichzeitig zutreffen könnte; die beiden schließen einander ja nicht aus 8-)

- "I'm two people already" - der satz bedeutet schlicht dass es bereits ein beispiel für eine solche "doppelte" seele gibt wie er sie Miles gerade erklären will. hätte er bezug auf seine späteren wesentlich mehr seelen nehmen wollen, dann hätte der satz "already, I'm two people" lauten müssen.

- der Geschichtenwettbewerb passt ideal in dieses verzweigte buch; beispiele dafür gibt es ja mehrere in der literatur - speziell natürlich die "Canterbury Tales".

grüße,
Georg
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Scott Lynch- The Lies of Locke Lamorra

Ja, ich habe was abzuarbeiten.

Re: Gene-Wolfe-Lesezirkel Teil 4: The Citadel of the Autarch

Ungelesener Beitrag von Rafael »

Guten Tag,

ich hoffe es ist erlaubt, dass ich hier einfach so reinposte, aber ich wollte Folgendes sagen: Ich liebe euren Lesezirkel :) !

Ich verfolge ihn jetzt seit glaube ich drei Jahren und bin immer wieder erstaunt, was ihr alles zu Tage fördert und ihr habt mich sogar dazu gebracht die Reihe (auf deutsch) erneut zu lesen. Da ich mich in den letzten Tagen nochmal durch die ersten beiden Threads gelesen habe, überlege ich mir jetzt sogar mir englische Ausgaben zu besorgen :D .

Vielen, vielen Dank, dass ihr mir indirekt ans Herz gelegt habt Wolfe's Werk nochmal zu probieren (ich liebe inzwischen Pirate Freedom und The Knight/Wizard) und weiterhin viel Glück und Spaß beim vierten Band und auch beim fünften.

Jetzt nur nicht schlapp machen :prima: !

Gruß Rafael :)
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Re: Gene-Wolfe-Lesezirkel Teil 4: The Citadel of the Autarch

Ungelesener Beitrag von Lichtspruch-an-TRAV »

Hallo Rafael!

Rafael hat geschrieben:ich hoffe es ist erlaubt, dass ich hier einfach so reinposte
Selbstverständlich - wäre ja noch schöner, wenn Du da fragen müsstest! :D

Willkommen im Forum und danke für die netten Worte! :bier: Wer weiß: vielleicht hast Du ja Lust dauerhaft hier im Zirkel mit den Wölfen zu heulen?

Viele Grüsse,

Gerd
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g. b. corner
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Re: Gene-Wolfe-Lesezirkel Teil 4: The Citadel of the Autarch

Ungelesener Beitrag von g. b. corner »

hi Rafael,

schön wenn man wen dazu bringen kann Wolfe "wieder" zu lesen; er zählt tatsächlich zu den wenigen autoren deren bücher man regelmäßig wieder mit dem selben oder sogar noch größeren vergnügen lesen kann. ich habe gerade die 3 bände des "Book of the Short Sun" wiedergelesen; jedesmal wieder ein erlebnis.
und die englische ausgabe muss ich dir dringend ans herz legen; die probleme mit der deutschen Übersetzung betreffen ja nicht einfach schlechten stil, sondern an manchen stellen ist dem übersetzer schlicht und einfach der sinn des textes entgangen. das buch wird heute meist in einer 2-bändigen ausgabe verlegt (shadow & claw; sword & citadel) die ohne probleme bei amazon.de zu haben sein sollte. und wenn du im englischen text anfangs viele worte nicht verstehst - nicht wundern; den amerikanern (und engländern) geht's da nicht anders; Wolfe verwendet ja absichtlich viele antiquierte begriffe - entweder schlägt man online nach (z.b. http://dictionary.reference.com/) oder hat ein gutes wörterbuch daneben - ich verwende das New Penguin English; das Oxford Dictionary of English ist sicher auch ok.

Georg
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Ja, ich habe was abzuarbeiten.

Re: Gene-Wolfe-Lesezirkel Teil 4: The Citadel of the Autarch

Ungelesener Beitrag von Rafael »

Ehrlich gesagt würde ich schon gerne mitmachen und mein Gedäctns ist zwar nicht so unfehlbar wie Severians( :wink: ), aber da es glaube ich nur knapp fünf Monate zurückliegt dass ich den fünften Band gelesen habe, könnte ich nochmal den vierten Anfangen :) .

Ich muss aber gestehen, dass mir der Wizard/Knight und Pirate Freedom auch stilistisch und von der Handlung her besser gefallen und man The Book of the new Sun eine gewisse Hanfdlunglosigkeit vorwerfen kann(was wohl auch am "ehrlichen" Erzähler Severian liegt) und ich mag Severian auch als Held nicht. Trotzdem was ihr zhier zu Tage fördert ist toll und vielleicht kann ich ja noch aufholen, dann aber zunächst nur in der deutschen Ausgabe, vor allem da ihr gerade bei meinen Lieblingsabschnitt in Band IV seit :) .

Trotzdem, weiterhin viel Glück :) .
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Re: Gene-Wolfe-Lesezirkel Teil 4: The Citadel of the Autarch

Ungelesener Beitrag von g. b. corner »

ja, im vergleich mit Sir Able ist Severian natürlich kein besonders erfreulicher charakter (er bemüht sich allerdings, das muss man ihm zugestehen). BotNS ist ja eines von den nicht gerade vielen büchern die sich eines ausgesprochenen nicht-sympathieträgers als protagonisten bedienen ... es fallen einem spontan nicht viele beispiele ein; erwähnt habe ich glaube ich schon einmal den fürchterlichen "Cugel" aus "Eyes of the Overworld" von Jack Vance.

Georg

(ich sehe übrigens, du liest gerade "Voice of the Fire" ... wie gefällt's dir? ich war sehr enttäuscht, hatte mir von Moore mehr erhofft, aber prosa ist wohl doch ein anderes paar schuhe)
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Re: Gene-Wolfe-Lesezirkel Teil 4: The Citadel of the Autarch

Ungelesener Beitrag von Nessuno »

Ahoj, Kameraden!

IV 7: Hallvard´s Story – The Two Sealers / Hallvards Geschichte: Die beiden Robbenjäger

„Dies ist eine wahre Geschichte“: GW spielt mal wieder mit den Stereotypen der Erzählkunst.

„though perhaps the made up ones were true in times everyone has forgotten“: einige Beispiele haben wir ja schon kennengelernt, z. B. „The story of the lost archives“.

Glacies = Eis. Die südlichsten zu Südamerika gehörenden Inseln sind Südgeorgien und die Südlichen Sandwichinseln. Falls die Identifizierung richtig ist, käme Hallvard vielleicht von den Sandwichinseln und das „big island“ wäre Südgeorgien. Allerdings ist das (heute) sehr weit von Südamerika entfernt. Vielleicht ist hier eher die „Staaten-Insel“ (Isla de los Estados) gemeint, auch wenn dann nicht ganz klar wäre, was mit „big island“ gemeint ist (der südamerikanische Kontinent? Vgl. auch später „mainland law“). Die Benennung wäre wegen des Gegensatzes zum heutigen „Feuerland“ einer der kleinen gags von GW.

Anskar: „spear of God“ (LU2). Das LU2 nennt keinen christlichen Heiligen. Gemeint ist aber wohl der Apostel der Skandinavier (und Norddeutschen) (auch Form: Ansgar). Wie meistens ist ein direkter Bezug zu TBotNS nicht herstellbar. Oder ist das wieder ein böser joke? Anskar ist einer der wenigen frühen Heiligen, die nicht als Martyrer starben. Bei Anskar in TBotNS ist es umgekehrt.

Gundulf: LU2 verweist auf den gallischen Bischof. Angesichts des Tolkien-Faibles von GW (und der englischen Aussprache) sollte man eher den Bezug zu Gandalf berücksichtigen. Er war streng genommen der erste „oath breaker“ in LotR: „Gandalf broke tryst and did not come when he promised“.

“grandfather´s land“: da die Brüder in der Reihenfolge “Anskar, Hallvard, and Gundulf” genannt wurden und Hallvard, der älter ist als sein Bruder, nach seinem Vater benannt ist, hieß der Großvater vermutlich auch Anskar.

„the only valley that never felt the ice wind“: Anspielung auf den verbreiteten utopischen Topos, dass es in der Arktis bzw. Antarktis eine blühende „Oase“ gibt.

„called all the men of our family together—that was my father, my two uncles, and myself”: da Hallvards Bruder nicht genannt wird, war er wohl sehr viel jünger als jener. Wahrscheinlich war der erste Bartwuchs das Zeichen des Eintritts in das Erwachsenenalter, wie das bei vielen Kulturen der Fall ist.

“Her family hat no more claim on it .. has the portion that came to him from his wife”: offenkundig bringt die Braut das Land als Mitgift mit in die Ehe (vgl. auch später: “my unmarried sisters will have some part too for their marriage portions”). Wie soll man dann das “no more” interpretieren? Ich vermute, dass das Land „unter Vorbehalt“ übertragen wurde und bei Scheidung wieder an die ursprüngliche Familie zurückfiel. Mit dem Tod von Bega gehört das Land aber endgültig Hallvards Großvater. Allerdings gibt es später einen kleinen Widerspruch: einerseits „it shall be diveded among his sons“, andererseits: „my unmarried sisters will have some part too for their marriage portions and only what remained would be divided between my brother and myself“. Vielleicht kann uns ja Gerd aufklären.

„Omnipotent“ (fehlt in LU2): anscheinend anderer Name von Increatus bzw. Theocenter.

Erebus: einer der prominenten 17 megatherions. Greifen wie die Ascanier aus dem Norden auch Truppen von Erebus aus dem Süden den Commonwealth an?

“This is a tale my Uncle Gundulf told”: Streng genommen also die Geschichte innerhalb einer Geschichte einer Kopie einer Geschichte …

“The lights that spirits make in the ultimate south flamed all night”: Anspielung auf Vorstellung, dass die Sterne die „Wohnungen” der Verstorbenen sind? Aber warum dann ultimate south? Wegen der Tatsache, dass die Tage immer länger werden, wenn man zum Südpol kommt?

„Radbod´s End“: nicht in LU2. St. Radbod war Bischof von Utrecht in Holland, der vor den Dänen nach Frankreich floh.

„I don´t understand“. Eine der wenigen Fälle, wo ich mal schneller als Severian kombiniert hatte – das „cut“ und „only a few spans from his body“ war ein Hinweis zuviel ...

Eine hübsche Geschichte, zweifellos, aber eigentlich viel zu geradlinig für GW. Ob da noch etwas unter der Oberfläche schwelt? („Melito believes me much cleverer than I am “, “murderous family” und „This is a true story“ lassen mir die Haare im Genick sträuben …) Merkwürdig erscheint mir zum einen, dass Gundulf bereits kurz nach dem Schwur (wohl anderhalb Jahre) Nennoc heiraten will, die ihren Mann erst „the winter before“ (also wohl allenfalls wenige Monate vorher) verloren hat. Zum anderen erfahren wir nichts darüber, warum Hallvard eigentlich den Süden verlassen hat. Eigentlich war er ja langfristig Nutznießer des Streites zwischen den Brüdern.

Vorbilder der Geschichte? Vielleicht Herodots “Ring des Polykrates”.

Nessuno
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Re: Gene-Wolfe-Lesezirkel Teil 4: The Citadel of the Autarch

Ungelesener Beitrag von Nessuno »

Rafael hat geschrieben:Jetzt nur nicht schlapp machen :prima: !

Gruß Rafael :)
Hi Rafael! Nach dieser netten Aufforderung kann ich nur sagen: "mache ich". Und wenn hier noch einer (oder mehrere) einsteigen, macht´s auch mehr Spaß ... :wink:

Zu Thecla meint Georg m.E. zu Recht, dass es sich um die "echte" Thecla handelt, die Severian verspeist hat. Neben Eis und den kryogenischen Kapseln kommt als "Konservierungsmittel" übrigens auch noch das Wasser im See des Botanischen Gartens in Frage ("property of preserving corpses").

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Re: Gene-Wolfe-Lesezirkel Teil 4: The Citadel of the Autarch

Ungelesener Beitrag von Nessuno »

g. b. corner hat geschrieben:ja, im vergleich mit Sir Able ist Severian natürlich kein besonders erfreulicher charakter (er bemüht sich allerdings, das muss man ihm zugestehen).
Interessante Aussage, Georg. Beim zweiten Teil stimme ich dir voll zu - Severian macht einen Wandel zum Guten durch, wenn man es platt ausdrücken will, oder vielleicht besser: er übernimmt Verantwortung für sein Tun und lernt dadurch moralische Maßstäbe zu akzeptieren. Sir Able ist mir allerdings an einigen Stellen als unsympathischer "bully" aufgefallen, etwa bei der Sache mit den beiden Jungen oder bei seiner selbstherrlichen Einquartierung in die Kabine des Kapitäns. Ähnlich bei Latro. Selbst bei Silk zweifle ich, ob er ein "durchweg positiver" Charakter ist. (Gibt´s den bei GW überhaupt?)

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Re: Gene-Wolfe-Lesezirkel Teil 4: The Citadel of the Autarch

Ungelesener Beitrag von g. b. corner »

hmmm ... also das thema "Wolfe's helden" wäre wahrscheinlich einen eigenen thread wert, aber um kurz zu bleiben:
- Able ist ein "Bully" in der phase der geschichte wo er innerlich noch ein ca. 10-jähriger knabe, äußerlich aber ein kräftiges mannsbild ist. ich habe da irgendwie viel verständnis für sein verhalten ... ich war selbst immer der kleinste in der schule und habe mit in der phantasie durchaus öfter ausgemalt was ich mit den anderen anstellen könnte wenn ich "allmächtig" wäre :evil: - kommt mir also sehr realistisch vor; sehr sympathisch finde ich dann in der folge Able's ringen um gerechtigkeit im umgang mit seinen mitmenschen - nicht immer einfach, nicht immer erfolgreich, zugegeben.

- Latro ist ein eigener fall; ich muss gestehen dass mir zwar der literarische kniff des tagebuchs als gedächtnis gefällt (wenn es auch nicht auf Wolfe's mist gewachsen ist) aber dass mir durch sämtliche bücher Latro doch als sehr distanzierter protagonist begegnet ist. also: wenn Latro etwas schlimmes geschieht, dann nimmt mich das nicht so mit wie wenn Able etwas zustößt. ähnlich geht es mir mit Severian; ich mache mir meist mehr sorgen um die leute in seiner umgebung (Dorcas, Klein-Severian ...) als um ihn selbst.

- Silk (und in folge Horn) ist wohl tatsächlich Wolfe's versuch, "heiligkeit" fassbar zu machen. Silk ist tatsächlich SO "gut" dass er manchmal (ehr-)furcht einflößt. diese meinung wird übrigens am ende von BotSS von den autoren wiederholt. das heißt nicht, dass Silk deshalb unbedingt komplett sympathisch ist - er steht oft derart weit über den dingen dass wir seine handlungen und motivationen zwar intellektuell "verstehen", aber innerlich kaum nachvollziehen können. ab und zu möchte man ihn an den schultern packen und betteln, das ganze doch etwas lockerer zu nehmen - aber Silk nimmt nichts locker; das ist wohl die last der heiligkeit. die erlösendste szene im BotLS ist für mich, wenn er sich endlich mit seiner Hyacinth für ein paar stunden in ein zimmer verabschieden kann und ein bisschen mensch (mann) sein!

anmerkungen zum aktuellen kapitel folgen morgen oder übermorgen ^^

Georg
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