Theodore Sturgeon -- fast vergessen?

Science Fiction in Buchform
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Andreas Simon
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Theodore Sturgeon -- fast vergessen?

Ungelesener Beitrag von Andreas Simon »

Während der nur drei Jahre nach ihm gestorbene Robert Heinlein nach wie vor im Fandom-Gespräch präsent ist und seine Bücher (sogar in den vampirüberfluteten Bahnhofsbuchhandlungen) erhältlich sind, ist mir in letzter Zeit aufgefallen, dass der meiner Meinung nach ähnlich bedeutsam wie er und Philip Dick einzustufende Theodore Sturgeon fast vergessen ist; nicht nur hier in Deutschland, sondern auch auf der anderen Seite des großen Teichs. Die von Paul Williams seit 1994 herausgegebene Gesamtanthologie hat meines Erachtens daran wenig geändert; ich begegne immer häufiger SF- und Phantastikfans, die seinen Namen nie gehört haben.
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Das ist ungewöhnlich, und ich kann es mir nicht erklären. Als ich zum ersten Mal diesen ^ Nachruf auf ihn las (insbesondere die dritte Spalte), hatte ich nasse Augen bekommen, weil Sturgeons Schreibe auf mich wie anscheinend auf den Verfasser stets diese Wirkung hatte -- die eines Autors mit dem intensivsten Blick für die "conditio humana" in der SF, mit einer Empathie für seine Charaktere, die ich nirgendwo anders bisher gefunden habe.

Dass er sozusagen zu den Urgesteinen und Giganten der SF zählen würde, stand für mich außer Zweifel -- aber ich scheine mich geirrt zu haben. Woran könnte das liegen?
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Doop
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Re: Theodore Sturgeon -- fast vergessen?

Ungelesener Beitrag von Doop »

Wenige Romane, selbst "More Than Human" ist -glaube ich- aus Erzählung(en) entstanden. Und Erzählungsautoren haben es schwer. Siehe Tiptree oder Cordwainer Smith oder auch Sheckley. Das ist schade, aber es fehlt bei ihm (außer More Than Human, und auch das nur eingeschränkt) das eine oder andere Hauptwerk. Da sind keine großen Sturgeon-Verfilmungen und auch ein Werk wie Stranger in a Strange Land, Foundation und Roboterzyklus, Dunezyklus oder 2001 lässt er vermissen. Er war vielleicht zu nett und zu nahe am Mensche in seiner Schreibe und zu wenig in den Sternen, um heute noch den Erfolg zu haben wie andere SF-Dinos. Ich mochte More Than Human übrigens sehr gerne und ja, Sturgeon ist ein wichtiger Klassker.
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muellermanfred
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Re: Theodore Sturgeon -- fast vergessen?

Ungelesener Beitrag von muellermanfred »

Äh, nie einen gelesen …

Was würdet ihr mir denn unbedingt empfehlen? Und warum?
heino
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Re: Theodore Sturgeon -- fast vergessen?

Ungelesener Beitrag von heino »

Ich habe von ihm nur die Geschichte "Killdozer" gelesen und weiss nicht mal mehr, worum es geht. Von daher kann ich nicht beurteilen, ob er zum Pantheon der grossen SF-Autoren zählt.
Lese zur Zeit:

Martin Sonneborn - Herr Sonneborn bleibt in Brüssel
Torsten
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Re: Theodore Sturgeon -- fast vergessen?

Ungelesener Beitrag von Torsten »

Ich hatte im September unter Leseempfehlungen/Cordwainer Smith spontan die Frage gestellt, ob es neben einer Gesamtausgabe der Werke von Ballard, Tiptree oder Smith eine deutsche Gesamtausgabe der Erzählungen von Theodore Sturgeon gibt und damals keine Antwort erhalten. Darauf hin habe ich mir dann die beiden Sturgeon-Sammlungen "Lichte Augenblicke" und "Die Goldene Helix" aus dem Shayol-Verlag besorgt...
Würde gerne lesen: Einen neuen Roman von Caroline Janice Cherryh
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Re: Theodore Sturgeon -- fast vergessen?

Ungelesener Beitrag von Bungle »

Muss sagen, seit ich einige Kurzgeschichten von ihm gelesen habe und sie nicht verstanden, aber angeregt wurde, wurde er zu einem meiner Lieblingsautoren. Sie berühren, weil bei ihnen der Mensch die Figuren wie fremde Planeten erscheinen, die es gilt kennenzuelernen.
Er macht sehr neugierig auf Menschen.
Und er ist nicht nur ein Science Fiction-Autor. Er schreibt auch unheimliche und bizarres Geschichten.

MB
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Gast

Re: Theodore Sturgeon -- fast vergessen?

Ungelesener Beitrag von Gast »

Ich habe die beiden Bände glaube ich in 2009 gelesen und kann die nur wärmstens empfehlen.
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Andreas Simon
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Re: Theodore Sturgeon -- fast vergessen?

Ungelesener Beitrag von Andreas Simon »

muellermanfred hat geschrieben:Äh, nie einen gelesen … Was würdet ihr mir denn unbedingt empfehlen? Und warum?
Wie ist Dein Englisch? Zwei seiner mMn besten Kurzgeschichten gibt es, unterbrochen von Musikclips, hier gelesen von Spider Robinson als Podcast kostenlos unter dem Titel "Suicide Prevention Kit"*: "A Saucer Of Loneliness" und "Suicide".
Sturgeon arbeitet so fein mit der Sprache auch in Sachen Rhythmus und Metrum, dass es, wenn es vom Verständnis irgendwie möglich ist, sich immer lohnt, ihn im Original zu lesen (oder in diesem Fall zu hören). Die erste Geschichte ist SF, die zweite überhaupt nicht. Beide sind dennoch sehr gute Beispiele für die Menschlichkeit seiner Stories.

Warum sollte man was von ihm lesen? Siehe Ellisons Zitat oben (meine Übersetzung): "er war im Schreiben so gut, wie man es sein kann, und keiner, der je Die Lebenden Steine oder Die Ersten Ihrer Art oder Es gelesen hat, ist ungeschoren davongekommen, weil er dir das Herz quetschen konnte, bis du nicht mehr weiterwußtest."

Je eine komplette Kurzgeschichte gibt's auch online beim Shayol-Verlag hier und hier.

(* = ja, als legale Lesung)
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Spezies 125
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Re: Theodore Sturgeon -- fast vergessen?

Ungelesener Beitrag von Spezies 125 »

...es ist zwar schon lange her, aber ja, an "More than human" und "Venus plus X" erinnere ich mich gut. Wobei mich "More than human" wirklich beeindruckt hat. Aber Achtung, wer SF mit Raumschiffen, Aliens und anderen Welten sucht, ist hier verkehrt.

Das Buch gab es vom Heyne Verlag in der weissen Serie, "Bibliothek der SF-Literatur" (Nr. 44). Ich werde mir aber - angeregt durch diesen thread - die englische Ausgabe besorgen, da ich noch nicht die Gelegenheit hatte diese zu lesen.

--Spezies 125
Hartnäckig weiter fließt die Zeit, die Zukunft wird Vergangenheit.» W. Busch
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Andreas Simon
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Re: Theodore Sturgeon -- fast vergessen?

Ungelesener Beitrag von Andreas Simon »

Habe mir gerade antiquarisch "Hinter dem Ende der Zeit" besorgt, um die Übersetzung einer meiner Lieblingsgeschichten von ihm zu lesen: "Need" (deutsch: "Bedürfnisse"). Leider erschließt sich ihr Reiz in der Übersetzung praktisch gar nicht. Das muss am Einsatz des Englischen liegen, der sich wohl nicht in eine andere Sprache übertragen lässt.
Here you might find dried flowers under a glass dome, a hand-cranked coffee mill, a toy piano, a two-volume, leather-bound copy of Dibdin’s Journey, a pair of two-wheel roller skates or a one tube radio set — the tube is a UX-11 and is missing — which tunes with a vario-coupler. You might — you probably would — also find in such a place, a proprietor who could fix almost anything and has the tools to do it with, and who understands that conversation is important and the most important part of it is listening.
In den letzten zehn Jahren hat mich kein SF-Autor so bewegt wie TS es getan hat. Es ist jammerschade, dass es derzeit so wenig von ihm auf dem deutschen Markt gibt ... weiß ein Sturgeon-Kenner, wie gut die Übersetzungen der Anthologien sind, die bei Shayol erschienen sind?
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Re: Theodore Sturgeon -- fast vergessen?

Ungelesener Beitrag von lapismont »

Es sind unterschiedliche Übersetzungen, soweit ich weiß auch einige extra für die Shayol-Ausgabe gefertigte. Beide Sammlungen erweckten jedoch damals den Eindruck mit Liebe zum Autor erstellt worden zu sein. Wenns Dich brennend interessiert, kannst Du Hannes ja direkt fragen. Bin mir sicher, dass er Dich da freudig informiert.

Ich hatte mir damals auch gleich Die Ersten Ihrer Art in der Übersetzung von Walter Brumm aus dem Argument-Verlag besorgt und war sehr begeistert. Die Kurzgeschichten festigten dann den Eindruck, dass Sturgeon zu den Autoren gehört, die einen sehr menschenbezogenen Blick auf SF haben. Und es sind zumeist sehr tolle Geschichten.
:prima:
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Re: Theodore Sturgeon -- fast vergessen?

Ungelesener Beitrag von Jernau »

lapismont hat geschrieben:Die Kurzgeschichten festigten dann den Eindruck, dass Sturgeon zu den Autoren gehört, die einen sehr menschenbezogenen Blick auf SF haben. Und es sind zumeist sehr tolle Geschichten.
:prima:
Stimmt, Sturgeons Sachen sind oftmals sehr bewegend und wirklich lesenswert. Vergessen werden sollte er auf keinen Fall! Prima, daß sich Verlage trotz 800-Seiten-Mehrband-Wälzer-Wahn immer wieder auch an tolle Autoren erinnern und diese würdigen.
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Re: Theodore Sturgeon -- fast vergessen?

Ungelesener Beitrag von stolle »

Andreas Simon hat geschrieben:Habe mir gerade antiquarisch "Hinter dem Ende der Zeit" besorgt, um die Übersetzung einer meiner Lieblingsgeschichten von ihm zu lesen: "Need" (deutsch: "Bedürfnisse"). Leider erschließt sich ihr Reiz in der Übersetzung praktisch gar nicht. Das muss am Einsatz des Englischen liegen, der sich wohl nicht in eine andere Sprache übertragen lässt.
Here you might find dried flowers under a glass dome, a hand-cranked coffee mill, a toy piano, a two-volume, leather-bound copy of Dibdin’s Journey, a pair of two-wheel roller skates or a one tube radio set — the tube is a UX-11 and is missing — which tunes with a vario-coupler. You might — you probably would — also find in such a place, a proprietor who could fix almost anything and has the tools to do it with, and who understands that conversation is important and the most important part of it is listening.
In den letzten zehn Jahren hat mich kein SF-Autor so bewegt wie TS es getan hat. Es ist jammerschade, dass es derzeit so wenig von ihm auf dem deutschen Markt gibt ... weiß ein Sturgeon-Kenner, wie gut die Übersetzungen der Anthologien sind, die bei Shayol erschienen sind?
Das bringt mich jetzt doch tatsächlich dazu, mir mal ein paar US-Originale zu besorgen. Hab vor 30 Jahren praktisch alle Goldmann-Bände gelesen und war begeistert, ich Jungspund, ich.
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Mort
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Re: Theodore Sturgeon -- fast vergessen?

Ungelesener Beitrag von Mort »

Sturgeon ist auch für mich einer der Autoren, bei denen ich so langsam aber sicher darüber nachdenke, die US-Ausgaben zu importieren. Ich würde sogar glatt erwägen, mir eigens so 'n e-Reader Dingens anzuschaffen, falls es sein Werk auch digital gibt. So sehr weiß ich ihn zu schätzen.

More Than Human - ist schon Jahre her, seit ich das gelesen habe - habe ich seinerzeit als ausgezeichneten Schmöker empfunden.
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Andreas Simon
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Re: Theodore Sturgeon -- fast vergessen?

Ungelesener Beitrag von Andreas Simon »

Darf ich nochmal die Frage stellen: kennt jemand hier die Übersetzungen in den Shayol-Büchern und die Originale gut genug, um einzuschätzen, wie gut sie sind? Siehe oben, Sturgeons Prosa hat so einen besonderen Fluss, der sicher nicht einfach aus dem Englischen zu transferieren ist.
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