Moin Annubiz
Anubizz hat geschrieben:
Da stellt sich doch die Frage, warum man so einen ausgrenzenden Blödsinn überhaupt gemacht hat, ...
Und genau das war es doch, was bis dahin in dieser Werkshalle mit Publikumsverkehr geherrscht hat! Blödsinn, Frotzeleien, gegenseitiges Aufziehen und gutmütiges Frotzeln. Gora selber hatte sich z.B. gerne als menschenfressender Kannibale und schwarzer König gegeben. Wenn man den rauen und herzlichen Umgangston nicht selber erlebt hat, kann man ihn Außenstehenden auch sehr schlecht erklären. Stell dir einfach das berühmte gallische Dorf aus den Comics vor.
Ständig wird gegeneinander gemosert und gefoppt. Aber wehe ein Außenstehender macht einen blöden Spruch in die Richtung eines dieser Kollegen!
Dann stand diese Mannschaft wie eine 1 zusammen.
Kurz bevor dieses Unternehmen dicht gemacht wurde (Umzug der Produktion an einen anderen Standort) kam ein neuer Teamleiter dazu. Der bekam diese Sprüche mit dem "blonden Riesen / Arier", "dem schwaren Menschenfresser" und dem "krummbeinigen Osmanen" mit.
Drei Tage später kam ein Erlass aus seinem Büro, dass diese Sprüche untereinander ab sofort zu unterlassen seien.
Daher auch die Verwirrung, die ich in dem Posting beschrieb, dass du zitiert hast. In der Truppe waren wenn es hoch kommt vielleicht 5 Ur-Deutsche, der Rest hatte seine Wurzeln quer durch die Welt verteilt.
Da ist nie jemand auf die Idee gekommen, irgendwelche Diskriminierung zu vollziehen! Wenn Achmed Ramadahn hatte, dann haben alle darauf Rücksicht genommen und ihn teilweise auch gedeckt, wenn die Arbeit zu hart für ihn wurde. Wenn Goras Frau Spezialitäten aus ihrer Heimat (Senegal) zubereitet hat, dann wurde bei Geburtstagen im Aufenthaltsraum nicht die Nase gerümpft, dann wurde probiert und nach Rezepten gefragt. Ebenso wurde darauf geachtet kein Schweinefleisch zu verarbeiten, wenn ein deutscher Kollege was zum feiern hatte.
Das ist es, was ich mit gelebter Antidiskriminierung meine.
Ja, da herrschte ein infantiler Umgangston, in der Halle. Gora tanzte um Farbkesel Kriegstänze, Erich gab den blonden Vorzeigearier ... und als ein Neuling (ein Kollege aus meiner Zeitarbeitsfirma
)meinte, er müsse schräge Sprüche in Richtung der Kollegen ablassen ("Wo ist der Kanacke? Wo ist der Bimbo?") konnte er sich ganz schnell einen neuen Einsatz suchen
Anubizz hat geschrieben: ... wenn man doch einfach weiterhin die bereits bekannte und gebräuchliche Eigenbezeichnung Schwarzer hätte verwenden können. Vor allem, wenn in diesem Gespräch tatsächlich Ausdrücke wie »Afro-Germano« oder »Maximalpigmentierter« benutzt worden sein sollten, die dein Kollege wohl schwerlich anders denn als dümmliche Veräppelung seiner Person verstehen konnte.
Wir sind nie auf die Idee gekommen, Gora als Schwarzen zu sehen! Das wurde uns erst von oben aufgepropft, weil der neue Teamleiter auch zwei neue Leiharbeiter mitbrachte (deutsche) die sich davon auf den Schlips getreten fühlten, dass sie mit dem "schwarzen Kannibalen" arbeiten sollten, oder dem "krummbeinigen Osmanen", oder mit "Bruce Lee, dem Mann mit der goldenen Kimme"
Gora war einer von uns, und fertig.
Seine Hautfarbe, oder die Nationalität von Achmed, oder die von Cheng (den ich hier noch gar nicht erwähnt habe, und den wir den kleinen Bruder von Bruce Lee nannten, weil er gerne mal mit einem hohen, kreischenden Kampfschrei zwischen Paletten voller Farbeimer hervorsprang um Kollegen zu erschrecken) war vollkommen wumpe für uns. Das war im Foppen untereinander eher wie ein Karnevalskostüm, mehr aber auch nicht. Da kocketierte jeder mit seinem Aussehen oder seiner Nationalität, oder sprang auf die Steilvorlagen des entsprechenden Kollegen an, ohne sich etwas dabei zu denken.
Anubizz hat geschrieben:Wenn du »zwanghaftes Aufpfropfen von künstlichen Wörtern« als problematisch empfindest: Mach es einfach nicht, benutze statt dessen die Wörter, die von der betreffenden Person selbst als höflich und respektvoll empfunden werden. Ist nicht immer einfach, ist aber auch längst nicht so schwer, wie viele es unbedingt glauben wollen. Im Alltag geht ohnehin kein einigermaßen empathiefähiger Mensch ernsthaft davon aus, dass die Wahl meiner Worte keinen Einfluss auf die Beziehung zu dem Menschen haben wird, dem gegenüber ich sie gebrauche. Das gilt im Falle diskriminierender und menschenverachtender Sprache nicht weniger, sondern nur um so mehr.
Und genau das tue ich doch auch.
Und das ist es, was ich auch als sinvoller erachte, als das von oben verordnete "Neusprech".
Um bei meinem Beispiel aus meiner Zeit als Produktionshelfer in einer Farbenfabrik zu bleiben:
Als mir am ersten Tag gesagt wurde, ich solle zu dem "krummbeinigen Osmanen" gehen, war ich erstmal baff. Und ich fühlte mich unwohl, weil ich so einen Scheiß absolut nicht mag. Dann fragte ich Achmed in der Frühstückspause zaghaft, wieso er das denn zulassen würde, dass man ihn so nennt. Daraufhin hat der sich vor Lachen bald am Kaffee verschluckt, und mich erstmal aufgeklärt, wer der Arier ist, etc. Innerhalb von wenigen Tagen habe ich dann herausgefunden, welch ein Zusammenhalt in der Truppe auch
außerhalb des Tores herrschte. Ich durfte nämlich als "Gastmafiosi" (ich bin halber Italiener) mit auf einen "Betriebsausflug" (Euphemismus für gepflegte Kneipentour nach einem Essen beim "Chinamann") an einem Samstag. (und den Muskelkater vom Ablachen werde ich nie mehr los, das ist mal sicher- Gora tanzte zum Besipiel in einer bekannten Aufreisserbude voller einsamer Herzen den "Weißer-Mann-im-Suppentopf-Tanz"
)
Das halbe Jahr, dass ich als Leiharbeiter dort verbringen durfte, war das abslout härteste in Sachen Arbeit, aber auch das perfekteste in Sachen Zwischenmenschlichkeit. Bei keinem anderen Einsatz davor oder danach wurde ich jemals wieder als Leiharbeiter von einer Truppe so aufgenommen, wie dort. Und auch heute sehe noch ab und zu einen der damaligen "Kollegen" (sie waren ja Festangestellte) die diser Zeit und vor allem dieser Truppe nachweinen.
Diskriminierung lebt man durch Taten, aber nicht durch Worte.
Und um sich durch Worte diskriminiert zu fühlen, braucht es zum Einen ein ziemlich dünnes Fell, und zum Anderen auch immer jemanden, der in Gestik und Mimik seine Worte entsprechend unterstreicht.
Ein Wort oder eine Bezeichnung ist in erster Linie neutral.
Erst die Tat macht sie zu einer Diskriminierung.
Und solange sich an den Taten nichts ändert, werden auch Worte nichts ausrichten.
Nachtrag:
Halt, da ist mir ein Fehler unterlaufen!
Ich war der "Quoten-Ithaker" auf dem Ausflug
Mann, was war ich dikriminiert
Als "Gastmafiosi" wurde ich bezeichnet, wenn ich in der dritten Etage die Kessel ausspülte. "Sei lieb, sonst verpasst dir unser Gastmafiosi Zementschuhe und versenkt dich in der Weißen auf der Drei"