Das ist sowieso eine andere Baustelle. Hier geht es um den Anspruch. Dass der Regisseur daraus was ganz anderes machen dürfte, ist richtig, wenn der Autor sich kein Mitspracherecht eingeräumt hat.
Da die meisten die theoretisierende Grundlage hier zum Anlass nehmen, alles in Grund und Boden zu verdammen, wähle ich jetzt mal ein konkretes und überhaupt nicht anoymes Beispiel: Eschbachs "Aquamarin", bei dem ich bis zu folgendem Satz gekommen bin:
Andreas Eschbach hat geschrieben:Mein Blick fällt auf ein Segelschiff, das gerade die Hafenmauer passiert. Es ist ein schlankes, prachtvolles Schiff mit einer schwarzen Fock und einem hellblauen Großsegel: die Farben der Familie Thawte.
Weiterhin wurde im Text davor erwähnt, dass viele Jachten im Hafen liegen und dass die Schule und die reichen Familien solche Segelschiffe dort ankern haben. Jachten gelten aber gemeinhin als Boote (warum, weiß ich übrigens auch nicht...). Es ist ein Roman, bei dem es um Wasser geht, mit einer wasserversessenen Schule und ebensolcher Thematik. Außerdem ist es das Jahr 2151, spielt also in der Zukunft. Wie diese Zukunft aussieht und was für Materialien verwendet werden, dient nun als Grundlage für meine Szene. Als Regisseur habe ich völlige Freiheit, bis auf die beiden Farben und die Begriffe "prachtvoll" und "schlank". Als erstes stolperte ich über das Wort "Segelschiff". Ich habe keinerlei Hinweise darauf, wie dieses Segelschiff aussieht (jedenfalls bis jetzt, vielleicht kommt das noch). Da so gut wie alle Segelschiffe aus westlichen Breiten eine Fock und ein Großsegel haben, kann ich den Habitus nur schätzen. Auch rahgetakelte Viermaster haben mindestens eine Fock und ein Großsegel, davon können zwei farbig sein, - ich
glaube also nur, dass Eschbach eine einmastige Bermuda-Takelung meint, weil das die heute verbreitete Jacht-Takelung ist. Aber ist sie es auch im Jahr 2151? Sicher kann ich mir nicht sein. Er spricht nicht von
mehr Segeln, aber das muss ja nichts heißen. Vielleicht ist es auch eine Zweimast-Ketsch oder eine Yawl! Oder sogar eine nachgebaute elisabethianische Galeone, weil die 2151 gerade Mode ist! Gäbe es da nicht vielleicht andere Rigg-Formen, und aus Materialien, die wir heute noch nicht kennen? Als Regisseur erlaube ich mir einen subjektiven Blick in die Zukunft. Das einzige, das ich als Regisseur zu respektieren habe, sind die konkreten Farben der Segel. Denn diese haben eine Bedeutung: es sind die Hausfarben einer Familie (daraus folgt übrigens, dass dieses Schwarz und Hellblau auch immer gleich sein sollte). Der Eindruck von "reich" und die Tatsache, dass man auf dem Deck Personen sieht, schränken die Freiheit weiter ein (vom Kai muss man aufs Deck schauen können). Das war's dann aber auch. Und genau das möchte ich sagen. Es könnte auch ein Katamaran mit steifen Alusegeln sein. Was nicht beschrieben steht, kann man nicht falsch interpretieren.