Zu Gedankenstrich eins:Thomas Wawerka hat geschrieben:Ming der Grausame hat geschrieben:Für Tolkien ist das Streben zum Guten immer nur das Streben zur Entsagung. Ich habe nie verstanden, dass ausgerechnet Linke dieses rückwärtsgewandte Märchen immer mit so großem Vergnügen gelesen haben.
Er propagiert z.B. die Entsagung der kleinen Leute, obwohl ein jeder weiß, dass dies die Basis des Wohlstandes der Mächtigen ist. Bei Tolkien sind manche Menschen böse, jedoch nicht als Endprodukt von ungerechten Verhältnissen, sondern weil sie per se böse sind. Er überhöht die Idylle, obwohl eine Idylle immer nur das Produkt von gegenseitiger Unterdrückung und Ungerechtigkeit sein kann.![]()
Das trifft kurz und knapp gesagt genau meine Analyse des HDR.
- Die Idylle ist The Shire ("Auenland"), der "Augapfel Gottes", der um keinen Preis angetastet werden darf. Mögen auch rundum Königreiche fallen und tausende Menschen niedergemetzelt werden, mögen auch Helden erstehen - ihre Siege sind nur von kurzer Dauer. Die Welt rundum ist ohnehin schon des Teufels. All die Kriege, Schlachten, Ereignisse sind nur Tropfen in einem Fluss, der ewig fließt. The Shire ist die vorindustrielle, vormoderne englische Dorfgemeinschaft - keine Gesellschaft mit austarierten Rechten und Pflichten, sondern eine Gemeinschaft, in der jeder seinen unveränderlichen Platz einnimmt. Eine Gemeinschaft ohne Entwicklung. Diese Gemeinschaft braucht auch keine Regierung, Polizei oder dergleichen, weil die Tradition absolute Geltung hat. Sowas gibt es sonst auch gern bei Sekten und/oder hermetischen Gemeinschaften. Lass die Welt also getrost untergehen - Hauptsache, The Shire wird gerettet!
- Die Reinheit dieser Idylle muss bewahrt werden. Der Ring bedroht sie. Der Ring ist die Versuchung, und diese muss ausgeschlossen, abgesondert, weggeschafft werden. Frodo übernimmt die Funktion des Sündenbocks, der das "Unreine" hinaus in die Wildnis schafft. In einem Bildungsroman würde es darum gehen, dass Frodo nun die Macht des Rings kennenlernt und mit ihr umzugehen lernt, sprich: Dass er die Versuchung erfährt, besteht oder auch nicht, aber sich die Fähigkeit aneignet, sie am Ende zu integrieren. Tolkien jedoch verweigert Frodo diese Entwicklung. Er darf sich nicht ändern. Er IST The Shire. Er muss rein bleiben, damit The Shire rein bleibt; er muss entsagen, leiden, auf sich nehmen - aber um Gottes Willen nicht einmal den Ring ausprobieren. Seine Wanderung zum Schicksalsberg ist eine Art Kreuzweg, der Roman ein Anti-Bildungsroman. Wer aber die Versuchung nicht annimmt (nicht: nicht auslebt), kann sich nicht entwickeln und wird immer ein "kleiner Hobbit" bleiben - ein "Hinterweltler", der nicht "groß werden", "erwachsen werden" darf ... deshalb sind die Hobbits auch so klein.
- Die Figuren - um Gottes Willen! Die einzig interessanten Charaktere sind Saruman und Gollum - Charaktere, die ausnahmsweise nicht von vornherein gut oder böse sind. Was gut oder böse ist, ist ebenfalls nicht diskutabel, es steht quasi fest. Taste den Ring an, und schwupps! bist du auf der anderen Seite. Gollum ist aber auch nur entweder gut oder böse, er hat beide Seiten in sich, aber beide Seiten streng voneinander abgegrenzt.
Ich könnte noch sehr viel dazu schreiben, aber das würde jeglichen Rahmen sprengen. Wenn man sich Tolkiens Arbeit näher anschaut, muss einem zwangsläufig deutlich werden, dass er mit dem HDR seine "dicke Bertha" gegen die Moderne in Stellung gebracht und abgefeuert hat. Der Mann vermittelt eine stockkonservative Botschaft, ich möchte sie gleichfalls reaktionär nennen. Die Vergötzung der Vergangenheit. Linke, genau - und vor allem auch die Hippies haben HDR zum Kultbuch gemacht. Leser, die Tolkien verachtete. Ich kapiers einfach nicht. Ich habe den Roman teilweise gelesen, bevor die Filme rauskamen, und ihn schon damals angewidert weggelegt. Es ist mir ein völliges Rätsel, was man daran gut finden kann. Ich finde ihn ehrlich gesagt noch nicht einmal sonderlich spannend.
Noch ein kurzes Wort zu Star Wars, weil Ming das als positives Beispiel angeführt hat (während ich es immer in einem Atemzug mit HDR nannte): Ich finde diese zunehmende Blutmetaphorik (ist es noch Metaphorik?) bedenklich.
Wenn das die Botschaft wäre, wäre es eine Botschaft gegen Königreich und Vasallenstaat. Weiterhin, eine Gesellschaft ohne austarierte Rechte und Pflichten, in der aber trotzdem jeder seinen festen Platz hat - wie soll das denn gehen? Drittens wird im HdR den Hobbits eine Menge gezeigt, was außerhalb ihres bisherigen Tellerrandes lag, und genauso Rettung verdient hat. Die Menschen, Elben und Zwerge kämpfen noch für anderes als für ein abgelegenes "Idyll", von dem kaum einer je gehört hat.
zu zwei:
Der Ring ist eben derartig gefährlich, dass schon sein Gebrauch dem Nutzer schadet. Tolkien hätte natürlich auch ein harmloseres Artefakt erfinden können, welches man tatsächlich gegen dessen Erschaffer und zum Wohle der Welt hätte einsetzen können. Dann wäre das Buch entweder deutlich kürzer, oder aber Sauron wäre zwar am Ende von Teil 1 besiegt worden und der Rest handelte von dem brutalen Krieg, den die übrigen Völker darum führten, wer denn dieses harmlosere Artefakt "zum Wohle Mittelerdes" benutzen dürfte. Wäre sicher auch eine spannende Geschichte, die vllt. ein anderer mal erzählen kann.
Dass Frodo keine Entwicklung durchmacht, stimmt auch nicht, aber er kann infolgedessen das idyllische Auenland nicht mehr genießen. Wahrscheinlich mögen die Linke das deswegen, weil die übrigen Hobbits für die Burgeosie stehen, die den Arbeiter Frodo ausnutzen. Oder Frodo ist der Bürger, der zur Abwechslung von der arbeitenden Bevölkerung ausgebeutet wird. Ja, das wird's sein.
zum dritenn Gedankenstrich:
ja, so richtig ausgefeilt sind die Figuren wirklich nicht. Mich stört das nicht, aber andere mögen Figuren mit mehr Charakterentwicklung, Charakterhintergrund und Charakterproblemen, die die Aufgaben der Charaktere zwar schwerer zu bewältigen machen, aber eben der ganzen Bande Tiefe verleihen.
Dass es modern sein soll, Versuchungen auszuleben statt ihnen zu widerstehen, ist jetzt Deine persönliche Auffassung. Dass dieses Nachgeben im RL zu Problemen von Übergewicht bis Drogensucht führen kann, oder im Kontext von Abenteuerromanen zu Feigheit und Verrat, muss ich wohl nicht weiter ausführen.
Wenn es schon eine Moral sein soll, dann suche ich mir folgende aus:
der Ring symbolisiert Drogen.
Gollum hat alle Anzeichen eines hochgradig Suchtkranken, außer dass die normalerweise eine eher reduzierte Lebenserwartung haben. (Ja, der Tabak- und Bierkonsum im HdR läuft der Botschaft schon etwas zuwider. Ist aber auch nicht widersprüchlicher als das, was ihr Euch so zusammenreimt.)
