Thomas Wawerka hat geschrieben:Bungle hat geschrieben:Aber sich frei zu machen von den konventionellen Sehweisen auf die Welt, das ist sehr schwer.
Yeah, enorm schwer - und genau DAS ist es, was mich so fasziniert und wonach ich suche. Der Wahrnehmungsbruch.
Zum Thema Sinn/Bedeutung: Man kann nicht nicht kommunizieren. Man kann auch nicht nicht Sinn vermitteln, wenn man spricht/schreibt/spielt/bildet/künstlert.
Ich würde sogar noch weiter gehen, dass jeder Text ohne Sinn sinnlos ist: Sinn konstituiert sich aus Anschlussfähigkeit des Lesers an einen Text, ist diese nicht ausreichend vorhanden, wird der Text als Rauschen, als bloße Nicht-information wahrgenommen. Dann verändert das Lesen nichts im Leser, es bleibt Folgen- und Spurenlos. Sinn ist also ein Effekt, der sich einstellt, wenn ein Leser genug Anknüpfungspunkte in einem Text findet, allerdings auch genug neue oder fremde Elemente, um darüber nachzudenken, sich eben selbst beim Lesen zu verändern.
Bungle, was Du meinst verstehe ich natürlich. Aber auch die von Dir erwähnte "Sinnlosigkeit" eines Textes ist eine Botschaft. Einen wirklich sinnleeren Text könntest Du gar nicht als Geschichte oder Gedicht anerkennen, weil Du ihn interpretieren musst, und das bei fehlender Anschlussmöglichkeit eben unmöglich ist.
Das interessante ist, eine Botschaft so zu transportieren, dass der Leser sie sich mit einem starken Eigenanteil erschließt und sie eben nicht einfach gesagt bekommt. Das ist die Kernidee "guter" Literatur: Den Leser als einen gleichberechtigten, mündigen Teilnehmer immer auf Augenhöhe des geschehens zu halten.
Ein guter Krimi gibt dem Leser immer genau so viele Informationen, dass er nahezu gleichzeitig mit dem Ermittler zu seinen Schlüssen gelangt, zu früh wäre langweilig, zu spät wird als deus ex machina oder schlicht Leserverarsche empfunden. In der SF ist es so, dass die Konstruktion der Welten wunderbar, aber folgerichtig erscheinen, die Balance aus Vertrautem und Extrapoliertem muss für den Leser stimmen. Und so geht es weiter: Magischer Realismus bildet einen großen Teil der Realität einfach 1-1 ab, um an bestimmten Stellen Metaphern durch das echte Bild zu ersetzen: Die Schwiegermutter ist nicht "wie ein Oktopus", sie
ist eben ein Oktopus. High-Fantasy verkehrt die Proportionen von kleinen Konflikten ins Weltumspannende: Alle sind Könige, Schwerterben, dunkle Herrscher usw.
Der Trick dabei ist nur, den Leser nicht für blöd zu halten, und das ist so schwer, weil man selbst eben nicht der Leser ist und daher nicht genau weiß, was der nun wieder alles schon weiß.