Science Fiction am Ende?

Science Fiction in Buchform
Benutzeravatar
Thomas Wawerka
SMOF
SMOF
Beiträge: 1640
Registriert: 22. Oktober 2010 10:53
Bundesland: Saxonia
Land: Deutschland
Liest zur Zeit: Komödien, aktuell: Charleys Tante (Brandon Thomas), zwischendurch immer wieder Nietzsche, mit den Kindern: Eine Reihe betrüblicher Ereignisse (Lemony Snicket) - mittlerweile Band 4 von 13 ...

Re: Science Fiction am Ende?

Ungelesener Beitrag von Thomas Wawerka »

Jörg Isenberg hat geschrieben:Und wenn es mir bisher nur gelungen ist, Varianten zu produzieren, schmälert das nicht meine Hartnäckigkeit bei der Suche.
Den Satz unterschreibe ich von Herzen. Mir gehts so, dass ich mir was ganz anderes wünsche, was aber nach dem Schreibprozess rauskommt, nimmt sich doch verdächtig ... konventionell aus. Ärgert mich so sehr, dass ich dauernd überlege, es ganz zu lassen.
Viele andere Bemerkungen würde ich ebenfalls unterschreiben.
:prima:
"Hilfreich wäre es, wenn wir die, die sich dem Leistungsdruck widersetzen, bewundern, anstatt sie als Loser anzusehen." -
Svenja Flaßpöhler
Benutzeravatar
Naut
SMOF
SMOF
Beiträge: 2837
Registriert: 2. Februar 2012 08:29
Land: Deutschland

Re: Science Fiction am Ende?

Ungelesener Beitrag von Naut »

Thomas Wawerka hat geschrieben:
Jörg Isenberg hat geschrieben:Und wenn es mir bisher nur gelungen ist, Varianten zu produzieren, schmälert das nicht meine Hartnäckigkeit bei der Suche.
Den Satz unterschreibe ich von Herzen. Mir gehts so, dass ich mir was ganz anderes wünsche, was aber nach dem Schreibprozess rauskommt, nimmt sich doch verdächtig ... konventionell aus. Ärgert mich so sehr, dass ich dauernd überlege, es ganz zu lassen.
Viele andere Bemerkungen würde ich ebenfalls unterschreiben.
:prima:
Wenn "uns" als literarischer Avantgarde die Vereinsmeierei nicht so zuwider sein müsste, dann könnten wir glatt einen Club gründen und uns gemeinsam auf die Suche nach den obskuren Novitäten machen :)

Das gefühl kenne ich nur zu genau: Da schreibt man vor sich hin und sieht die ganze Zeit das Ziel so klar vor Augen, aber auf dem Papier kommt dann nur noch ein hohles Echo von Clarke oder Bradbury an.

Den Club gibt's schon, er hieß "New Wave", aber ob die damals "alles" entdeckt haben ...
Benutzeravatar
Bungle
SMOF
SMOF
Beiträge: 2814
Registriert: 23. Mai 2003 22:01
Land: Deutschland
Liest zur Zeit: Torsten Scheib "Götterschlacht"
Wohnort: Flussfahrerheim

Re: Science Fiction am Ende?

Ungelesener Beitrag von Bungle »

Jörg Isenberg hat geschrieben:...Irgendwann wurde die SF durch einen „literarischen Flaschenhals“ (den Mainstream) gezwängt, und was seither ausgeschenkt wird, hat nur noch verdünnte Wirk- und Inhaltsstoffe. Die Dinge, die den Geschmack verursachen, müssten nochmals unter die Lupe genommen werden. Das ist mein Blickwinkel als Autor bezüglich des Schreibens von SF, und daraus ziehe ich mein persönliches Vergnügen. Und wenn es mir bisher nur gelungen ist, Varianten zu produzieren, schmälert das nicht meine Hartnäckigkeit bei der Suche. Der Weg ist das Ziel. :D
Die Indgredienzien sind alle bekannt, würde ich sagen, aber es geht um das Verfahren. SF ist auch eine Perspektive, ein Art, die Welt zu betrachten. Das wurde mir klar, als ich "Elemantarteilchen" von Houellebecq las. Das ist für mich SF, auch wenn hier die Gegenwart im Fokus ist. Es ist der befremdende Blick, der neue Wege eröffnet. Mir fällt als weiteres Beispiel auch eine Story von Connie Willis über den Physiker Schwarzschild im ersten Weltkrieg ein. Aber sich frei zu machen von den konventionellen Sehweisen auf die Welt, das ist sehr schwer.
Noch schwerer ist es freilich, keinen Sinn in Geschichten hineinzulegen. Immer wieder schleicht sich dieser in die Geschichten hinein - oder gar noch schlimmer eine versteckte Moral. :-?, habe ich beim Schreiben festgestellt. Aber ich will nicht noch mehr Sinn produzieren, das haben die Autoren vor mir schon fast zu viel getan. Im Ernst, was machte "Die Haarteppichknüpfer" so interessant? Das groteske Element. Die "Sinnlosigkeit".

MB

edit: habe gerade überlegt, dass man in meinem Posting oben das Wort "Sinn" durch "Bedeutung" ersetzen kann, dann wird es vielleicht klarer, was ich meine. "Sinn" ist ein positiv besetzer Begriff. Bedeutung ist neutraler, finde ich.
Benutzeravatar
Thomas Wawerka
SMOF
SMOF
Beiträge: 1640
Registriert: 22. Oktober 2010 10:53
Bundesland: Saxonia
Land: Deutschland
Liest zur Zeit: Komödien, aktuell: Charleys Tante (Brandon Thomas), zwischendurch immer wieder Nietzsche, mit den Kindern: Eine Reihe betrüblicher Ereignisse (Lemony Snicket) - mittlerweile Band 4 von 13 ...

Re: Science Fiction am Ende?

Ungelesener Beitrag von Thomas Wawerka »

Bungle hat geschrieben:Aber sich frei zu machen von den konventionellen Sehweisen auf die Welt, das ist sehr schwer.
Yeah, enorm schwer - und genau DAS ist es, was mich so fasziniert und wonach ich suche. Der Wahrnehmungsbruch.

Zum Thema Sinn/Bedeutung: Man kann nicht nicht kommunizieren. Man kann auch nicht nicht Sinn vermitteln, wenn man spricht/schreibt/spielt/bildet/künstlert.
"Hilfreich wäre es, wenn wir die, die sich dem Leistungsdruck widersetzen, bewundern, anstatt sie als Loser anzusehen." -
Svenja Flaßpöhler
Benutzeravatar
Naut
SMOF
SMOF
Beiträge: 2837
Registriert: 2. Februar 2012 08:29
Land: Deutschland

Re: Science Fiction am Ende?

Ungelesener Beitrag von Naut »

Thomas Wawerka hat geschrieben:
Bungle hat geschrieben:Aber sich frei zu machen von den konventionellen Sehweisen auf die Welt, das ist sehr schwer.
Yeah, enorm schwer - und genau DAS ist es, was mich so fasziniert und wonach ich suche. Der Wahrnehmungsbruch.

Zum Thema Sinn/Bedeutung: Man kann nicht nicht kommunizieren. Man kann auch nicht nicht Sinn vermitteln, wenn man spricht/schreibt/spielt/bildet/künstlert.
Ich würde sogar noch weiter gehen, dass jeder Text ohne Sinn sinnlos ist: Sinn konstituiert sich aus Anschlussfähigkeit des Lesers an einen Text, ist diese nicht ausreichend vorhanden, wird der Text als Rauschen, als bloße Nicht-information wahrgenommen. Dann verändert das Lesen nichts im Leser, es bleibt Folgen- und Spurenlos. Sinn ist also ein Effekt, der sich einstellt, wenn ein Leser genug Anknüpfungspunkte in einem Text findet, allerdings auch genug neue oder fremde Elemente, um darüber nachzudenken, sich eben selbst beim Lesen zu verändern.

Bungle, was Du meinst verstehe ich natürlich. Aber auch die von Dir erwähnte "Sinnlosigkeit" eines Textes ist eine Botschaft. Einen wirklich sinnleeren Text könntest Du gar nicht als Geschichte oder Gedicht anerkennen, weil Du ihn interpretieren musst, und das bei fehlender Anschlussmöglichkeit eben unmöglich ist.

Das interessante ist, eine Botschaft so zu transportieren, dass der Leser sie sich mit einem starken Eigenanteil erschließt und sie eben nicht einfach gesagt bekommt. Das ist die Kernidee "guter" Literatur: Den Leser als einen gleichberechtigten, mündigen Teilnehmer immer auf Augenhöhe des geschehens zu halten.
Ein guter Krimi gibt dem Leser immer genau so viele Informationen, dass er nahezu gleichzeitig mit dem Ermittler zu seinen Schlüssen gelangt, zu früh wäre langweilig, zu spät wird als deus ex machina oder schlicht Leserverarsche empfunden. In der SF ist es so, dass die Konstruktion der Welten wunderbar, aber folgerichtig erscheinen, die Balance aus Vertrautem und Extrapoliertem muss für den Leser stimmen. Und so geht es weiter: Magischer Realismus bildet einen großen Teil der Realität einfach 1-1 ab, um an bestimmten Stellen Metaphern durch das echte Bild zu ersetzen: Die Schwiegermutter ist nicht "wie ein Oktopus", sie ist eben ein Oktopus. High-Fantasy verkehrt die Proportionen von kleinen Konflikten ins Weltumspannende: Alle sind Könige, Schwerterben, dunkle Herrscher usw.

Der Trick dabei ist nur, den Leser nicht für blöd zu halten, und das ist so schwer, weil man selbst eben nicht der Leser ist und daher nicht genau weiß, was der nun wieder alles schon weiß.
Antworten