Jürgen Heinzerling ist tot.

Science Fiction in Buchform
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Frank Böhmert

Jürgen Heinzerling ist tot.

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Ich las es gerade in den HJB-News vom 8.4.:

"Juergen Heinzerling (1959 - 2003)

Der fruehere ABENTEURER-Autor Juergen Heinzerling ist am Freitag im
Alter von nur 44 Jahren ueberraschend verstorben. Laut einer Meldung
von Phantastik.de erlag er den Folgen einer Gehirnblutung. Heinzerling
veroeffentlichte die Romane "Der Maestro" und "Karl May und der Wet-
termacher" und gehoerte zum Autorenteam der erfolgreichen Buchserie
DIE ABENTEURER, wofuer er vier Romane schrieb.
Juergen Heinzerling hinterlaesst eine Frau und zwei Kinder."

Jürgen war auch hier im Forum aktiv, wie einige sicher wissen, und ich hatte das Glück, ihn auf der letzten Frankfurter Buchmesse kennenlernen zu können.

Morgen erzähle ich darüber noch was. Heute bin ich dafür zu fertig.

In Trauer,
Frank B. aus B.
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Frank Böhmert

Der barocke Typ auf der Perry-Party. Ein Nachruf

Ungelesener Beitrag von Frank Böhmert »

Frankfurter Buchmesse 2002, Restaurant im Hauptbahnhof, Pabel-Moewig lädt geladene Gäste zur Perry-Rhodan-Party. Mir fällt während des Quatschens hier und dort immer wieder ein Typ auf. Nicht besonders groß, aber wuchtig. Dunkler, gut geschnittener Anzug, offene Haare bis über die Schultern, ständig eine Zigarette in der Hand. Ein barocker, brennender Typ, immer für einen Lacher oder einen dröhnenden Ausruf gut. Gefällt mir. Zumal er kein Zwanzigjähriger ist, sondern in seinen Vierzigern sein dürfte.

Irgendwann, der Abend ist schon fortgeschritten, drehe ich nach einem amüsanten Gespräch mit Rhodan-Redaktionsmitarbeiterin Miriam Hofheinz, die leider abdüsen muss, mal wieder eine Runde. Der barocke Typ sitzt inzwischen, zusammen mit W. K. Giesa und einigen anderen, mir noch nicht bekannten Gesichtern, an einem Tisch und erklärt lautstark, X. aus dem Verlag Y. habe ja überhaupt keine Ahnung - worauf ihn jemand leise darauf aufmerksam macht, dass X. aus dem Verlag Y. sich am Nebentisch befinde. Ja und, sagt der barocke Typ noch einen Tick lauter, das sei doch noch lange kein Grund, mit seiner Meinung hinterm Berg zu halten. Dabei sieht er mich an, der gerade (mehr oder weniger zufällig, ähem) vor dem Tisch steht, und fragt etwas wie: Oder?!

Ich weiß nicht mehr genau, was ich geantwortet habe. Ich trage mein Schriftstellerherz jedenfalls auch gern auf der Zunge - das erleichtert auf Dauer ungemein das Arbeiten, weil ich nicht aus lauter Höflichkeit weiterhin mit Leuten zusammenarbeite, mit denen ich gar nicht zusammenarbeiten kann. Ich habe also gegrinst und ihm, mit welchen Worten auch immer, zugestimmt. Und mich dazu gesetzt. Klaus Frick zischte auf den anderen freien Platz und machte eine Vorstellungsrunde, ganz der gute Party-Gastgeber, und so erfuhr ich den Namen des barocken Polterers: Jürgen Heinzerling. Der Name sagte mir nichts.

Aus der Nähe war er eine noch schillerndere Figur. Das lag zum einen an dem beeindruckenden Exzem, das sein eines Ohr, einen Teil des Halses und die eine Hand bedeckte - ihm war nicht anzumerken, ob er sich dafür irgendwie schämte oder so: es war einfach da. Und zum anderen lag es an seinen Augen, die mal sehr warm und aggressiv glommen und, wenn er lachte, ängstlich blitzten.

Diese Beschreibung seiner Augen klingt bemüht, aber es handelt sich um keine Stilblüten, sondern ich meine es so, wie ich es sage. Darum sage ich es noch einmal: Warm und aggressiv. Ängstlich blitzend, wenn er lachte.

Dieser Typ, den ich nie richtig kennenlernte, hatte eine Bandbreite innerhalb einer Sekunde, die manche Leute an einem ganzen Tag nicht haben. Was red ich: in einem Monat nicht!

Wir quatschten, lachten, tratschten, und irgendwann war Fränkie müde und betrunken und musste ins Bett. Und Fränkie wusste: von dem will ich was lesen!

Wieder zuhause in Berlin klickte ich mich zu seiner Homepage durch und fand in einer Selbstbeschreibung folgenden Satz: "Humor und Angst spielen in meinen Geschichten eine ziemlich gleichberechtigte Rolle."

Seine Augen: ängstlich blitzend, wenn er lachte.

Diese Augen haben sich mir bei dieser einen persönlichen Begegnung am meisten eingeprägt, ungeachtet seiner barocken, polterigen Erscheinung und seines ins Auge springenden Exzems.

Und schaust du in den Abgrund, dann schaut der Abgrund auch in dich. Dieser bekannte Satz, frei nach Nietzsche, kommt mir in den Sinn, wenn ich an Jürgen Heinzerlings Augen denke. Ich habe keine Ahnung, in welchen Abgrund Jürgen einmal hat schauen müssen. Aber dass es einen Abgrund gegeben hat, dessen bin ich mir sicher. Und Jürgen hat in den Abgrund geschaut, und der Abgrund hat in ihn geschaut, und dann haben sie beide gelacht. Dessen bin ich mir auch sicher.

Falscher Pathos, mag sein. Aber keine Bange, ich kriege die Kurve. Ich las also die Homepage und bestellte mir beim Buchhändler meines Vertrauens Jürgens Roman "Karl May und der Wettermacher" und war auf buchstäblich alles gefasst. Horror! Erdbeben! Gelächter aus der Hölle! Und was fand ich, als ich das Buch las? Oder besser: verschlang? Innerhalb zweier Tage? Einen fein durchkomponierten klassischen Roman fand ich, den ich hier im Forum mal als "prächtig geruhsamen Thriller" bezeichnet habe - eine Beschreibung, die Jürgen anscheinend sehr amüsiert hat.

Bis gestern Abend, als ich von seinem Tod erfuhr, habe ich gehofft, Jürgen auf der nächsten Perry-Party wiederzusehen. Denn nachdem ich ihn kennengelernt hatte, passierte etwas Merkwürdiges, was ich ihm dann unbedingt hätte erzählen wollen: Egal wo ich hinging, Jürgen war schon da. Mir wird ein Buch von Herbie Brennan zur Übersetzung angeboten ("Pyrgus und die Elfen der Nacht", erscheint irgendwann bei dtv premium), und ich lese das Skript und stolpere über Nikola Tesla, der die zweite Hauptfigur in Jürgens "Wettermacher" ist, das ich gerade gelesen habe! Ich besorge mir wegen diverser grenzwissenschaftlichen Fragen zu dieser Übersetzung eine Fachpublikation, die ZEITSCHRIFT FÜR ANOMALISTIK, und wer ist Mitarbeiter? Jürgen. Ich stelle in diesem Forum hier ein paar Fragen zu dieser Übersetzung, und (unter anderem) welches Forumsmitglied antwortet? Jürgen.

Ich hätte ihn verdammt gerne wiedergesehen in Frankfurt, diesen barocken Typen mit der großen Bandbreite. (Hab ich schon erwähnt, dass er auch noch HiFi-Schrauber war und als solcher Ratgeberbücher geschrieben, dass er Musik gemacht hat?) Es gibt Menschen, die brennen und vergehen wie ein Feuerrad, hieß es einmal in Zusammenhang mit den Beat-Autoren. Ich glaube, Jürgen war so ein Mensch.

Aber ich habe diesen Ausspruch nicht vollständig zitiert. Es gibt Menschen, die brennen und vergehen wie ein Feuerrad, hieß er, und hinterlassen nichts als ein flackerndes Nachbild auf der Netzhaut.

Das ist nun wirklich pathetisch gesprochen. Denn Jürgen hat, wie natürlich auch jeder Beat-Autor, mehr hinterlassen. Seine Bücher nämlich. Lest sie! Sie werden euch prächtig unterhalten.

Und sie werden seiner Familie ein paar Mücken bringen. Denn Jürgen hat noch etwas hinterlassen - und das war das wichtigste in seinem Leben, wenn ich ihn richtig einschätze: seine Frau und seine beiden Kinder.

Jürgen Heinzerling, 44 Jahre, der barocke Typ von der Perry-Party letztes Jahr, hatte etwas von einer Naturgewalt. Und mit Naturgewalt kam auch sein Tod: Zusammenbruch während der Proben zu einem Musik-Literatur-Projekt, festgestellte Gehirnblutung, ärztlich eingeleitetes Koma, weitere Gehirnblutungen und dann: Schluss.

Ich werd ihn vermissen auf der nächsten Perry-Party. Ich vermiss ihn ja jetzt schon. Und dabei bin ich bloß ein Typ, der ihm mal übern Weg gelaufen ist.


Frank Böhmert, Berlin-Treptow, 10. April 2003
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Oliver
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Ungelesener Beitrag von Oliver »

Hi Frank,

ein sehr schöner Nachruf, muß ich sagen.

Ich habe Jürgen leider auch nur zweimal persönlich kennen gelernt (letztes Jahr auf dem MarburgCon und auf dem BuCon), hatte aber die letzten zwei Jahre fast täglich mit ihm, entweder über das "Gästebuchforum" http://www.foltom.de, oder per E-Mail kommuniziert.
Die Eindrücke, die Du von ihm gewonnen hattest, kann ich voll bestätigen, auch das mit den Augen. Exakt so.

Sag mal, da Du erst gestern davon erfahren hast, kennst Du die Seite http://www.phantastik.de nicht? Dort stand die Meldung schon wenige Stunden, nachdem sie offiziell war, letzten Samstag, und wurde auch in dem täglichen E-Mail Newsletter noch am selben Nachmittag verschickt.
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Frank Böhmert

wirklichkeit.de

Ungelesener Beitrag von Frank Böhmert »

Hey Oliver,

doch, phantastik.de kenne ich. Klaro. Aber ich war ein paar Tage unterwegs. Und wenn ich mal unterwegs bin, was selten genug vorkommt, dann schotte ich mich von allem ab - keine Nachrichten, keine Zeitungen, keine E-Mails, kein Internet. Was diesmal auch besonders gut so war. Es hagelte nämlich nur so schwere Erkrankungen und fiese Entscheidungszwänge um mich herum - da hätte mir die Nachricht von Jürgens Tod den Rest gegeben und mich niemandem eine Hilfe sein lassen.

Gruß, F.
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Frank Böhmert

Re: Jürgen Heinzerling ist tot.

Ungelesener Beitrag von Frank Böhmert »

Achter Todestag, wie mir heute während des Frühstücks aufging.
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