Mal anders gefragt: Warum wünscht man sich eigentlich, einen Roman verfilmt zu sehen?
Ich stell' die Frage auch mal anders: vielleicht sind es nicht die Leser, die einen Film wollen, sondern die Produzenten, die ein gutes Buch für ihren Film brauchen? Möglicherweise sind es zwei Zielgruppen: die Leser und die Zuschauer?
Offensichtlich ist, dass Filmgucken weniger anstrengend als Lesen ist. Und Filmgucken ist häufig ein sozialer Vorgang: man geht zusammen ins Kino und schaut zusammen einen Film. Der Film nimmt einem Bild und Ton im Kopf ab. Fast möchte man sagen: der Film ist auswärts essen gehen, ein Buch lesen ist selber kochen. Im einen Fall wird man bewirtet, im anderen erfreut man sich an eigener Leistung. Ein Buch bedeutet Rückzug in die Privatzone, in der man alleine sein möchte, und ist damit sowohl ein anderes Medium als auch ein anderes Erlebnis. Man redet natürlich auch über die gelesenen Bücher, das Lesen selbst ist jedoch einzeln und abgekoppelt, und die Bilder in jedem Kopf sind anders. Man redet bei Büchern also über individuelle Unterschiede, bei Filmen über Gemeinsamkeiten (weil die Darbietung bei jedem gleich ist). Der Film wird als Eichmaß für die individuellen Vorstellungen der Zuschauer verstanden, die vorher beim Lesen der Vorlage entstanden sind. Da Menschen beim Begriff der "Ähnlichkeit" äußerst großzügig sind, konnten die Abweichungen sehr stark sein und dennoch wurde die Story wiedererkannt. Sobald die Trigger und Assoziationen richtig eingefangen wurden, waren die visuellen Eindrücke gar nicht so wichtig. Zudem verändern sich die eigenen Bilder durch die Überlagerungen aus dem Film, und am Ende glaubt man, man habe sich diesen Charakter oder diese Szene exakt genauso vorgestellt (was natürlich nicht stimmt). Das menschliche Gehirn ist da sehr, sehr, sehr flexibel...
Dann gibt es noch die, die das Buch gar nicht kennen, sondern nur den Film. Das ist bei mir bei "Harry Potter" der Fall; ich habe die Bücher nie gelesen, aber alle Filme mit Freunden gesehen. In diesem (zugegeben ungewöhnlichen) Fall konnte ich den Film immerhin als integre, eigenständige Einheit verstehen, das heißt: konnte er mir eine plausible Geschichte rüberbringen, ohne dass ich Insider sein muss? Nein, es war nicht vollständig gelungen... die Filme erwarteten vom Zuschauer häufig, dass er den Vergleich mit dem Buch unwillkürlich vornimmt, und sie erklärten viele Situationen für Uneingeweihte nur unzureichend? Was mich dazu brachte, den Film als "Belohnung" für den emsigen Leser zu sehen... Der Film war sozsagen "Fanfiktion" für den leser, das heißt, er baut auf einer Welt auf, die nicht lange vorgestellt werden muss - sie existiert bereits in den Köpfen der Leser, und Zuschauer. Das Vergleichen und das Finden der "Fehler", Abweichungen oder Auslassungen war dann auch die größte Gaudi der Fans.
Ich glaube, dass den meisten Menschen klar ist, dass Buch und Film nie übereinstimmen können. Aber das stört in den meisten Fällen nicht. Die Toleranz ist ziemlich groß. Wenn es absolut nicht zusammenpasst, wird zwar geschimpft, aber dabei wird nicht dem Medium Film angekreidet, dass er nicht gut umgesetzt wurde, sondern dem Regisseur, dass er das Buch missinterpretiert hat. Der Film als solcher wird nicht in Frage gestellt. Also ist der Gedanke, dass der Film offenbaren soll, wie andere Menschen das Buch verstehen und wie sie die Bilder umsetzen, vielleicht nicht mal abwegig. Am Ende ist der Film quasi eine Rückmeldung der eigenen Vorstellung; eine Bestätigung des eigenen Leseverständnisses.