Jay Kristoff: Nevernight

Science Fiction in Buchform
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Naut
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Jay Kristoff: Nevernight

Ungelesener Beitrag von Naut »

Also, ich stelle mir das ungefähr so vor: Da ist ein fast alter, weißer Mann, der mit Büchern von Weiss/Hickman und R. A. Salvatore aufgewachsen ist und in den letzten Jahren selbst mit einigem Erfolg Ähnliches verfasst hat.
Und dann drängen sich ihm nach und nach eine andere Art von Büchern ins Bewusstsein, solche, die eben nicht von muskelbepackten Typen und zarten Prinzessinnen handeln, sondern von ganz anderen, irgendwie echteren Menschen. Die aber trotzdem auch in abgefahrenen, magischen Welten leben. So Bücher von Becky Chambers oder Tamsin Muir. Da denkt er sich, dass er das auch will, und schreibt eine Trilogie über ein Gassenmädchen in einem Parallelwelt-Steamfantasy-Venedig, das über Schattenmagie verfügt und Assasine, Gladiatorin und Piratenkönigin wird, und Könige und Götter besiegt, und ganz viel Sex mit Männern und Frauen hat.

So ungefähr.

Das Resultat, fragliche drei "Nevernight"-Bücher sind in meinen Augen gleichzeitig gut und schlecht. Da haben wir:
- Venedig
- Römer und Latein
- Gladiatorenkämpfe
- Lustige Dämonen, die sarkastische Kommentare abgeben
- Drei Sonnen und keinen Mond
- Superschwerter
- Supersuperschwerter
- Starke Frauenrollen
- Einen diversen Cast
- Piraten
- Krakenmonster im Meer
- Krakenmonster an Land
- Geheime, unendliche Bibliotheken mit untoten Bibliothekaren
- Krakenmonster in Bibliotheken
- Perverse Blutmagier
- Und so weiter.

Klingt alles sehr gut, ist es auch, selbst, wenn man das alles schon mal so ähnlich irgendwo gelesen hat.

Auf der anderen Seite aber:
- Wirklich übel geschriebene, viel zu lange Sexszenen.
- Dialoge, die quasi nur aus Fantasy-Kalendersprüchen bestehen: "Es ist dein Schicksal!"
- Überlange Kämpfe
- Überlange Blablaszenen, in denen irgendwelche bösen Leute irgendwas Uninteressantes erklären.
- Fußnoten! Lange Fußnoten, die teils überhaupt gar nichts zu irgendwas beitragen.
- Amerikanische (oder australische) Flüche: Wie aus dem Klischeelexikon.
- Die Gewalt ist teils ziemlich drüber. Gar nicht mal, weil sie existiert - irgendwie ist das bei der geschilderten Welt plausibel - sondern eher, wie beiläufig das zuweilen geschildert wird. Da ist viel Ungleichgewicht drin.
- Wirklich übel geschriebene, viel zu lange Sexszenen. Ich weiß, ich wiederhole mich, aber das war echt das Schlimmste. Buch 1 fängt gleich mit so einem Rausschmeißer an, und in Buch 3 konnte ich tatsächlich drei ganze Kapitel in wenigen Minuten querlesen, weil nichts anderes passierte, als dass irgendwer jemand anderem irgendwo herumleckte. Gähn!

Wie habe ich das ausgehalten? Nur dadurch, dass dem Autor manchmal mitten in einer erschütternd schlechten Szene eben dies auffällt, und er es tatsächlich thematisiert. Da blitzt dann die so notwendige Selbstironie durch, ohne die das Ganze wirklich unerträglich wäre. Und dann wird es richtig gut: Dann "ruiniert" eine Gladiatorin die sich anbahnende Sexszene, indem sie bemängelt, dass man an genau diesen Szenen schon merkt, dass ein Mann das geschrieben hat. Oder die Protagonistin tritt vor einen wirklich richtig bösen Typen, und anstatt jetzt wie in jedem schlechten Film minutenlang zu palavern und zu verhandeln und zu kämpfen und zu verlieren, nutzt sie einfach die erstbeste Gelegenheit und murkst ihn ab.
Solche Highlights, und die spannende, recht gut konstruierte Geschichte und Welt retten das dann.

Tja, ich weiß nicht, ein Fan des Autors bin ich jetzt nicht. Aber ich habe schon langweiligere Bücher gelesen.
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Ender
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Re: Jay Kristoff: Nevernight

Ungelesener Beitrag von Ender »

Tjoa, diese Trilogie steht hier auch noch im Regal. So richtig motiviert hat mich deine Beschreibung jetzt nicht gerade.
Hinsichtlich der "Probleme" kann ich gut nachvollziehen, was du meinst. Ich habe gerade Houellebecq gelesen und der hat ja auch einen Hang zu unnötig detaillierten Sexszenen, was ich immer ziemlich nervig finde. In den Jahrzehnten zwischen Pubertäts- und Altherrenfantasien ist es ja irgendwie besonders peinlich, sowas zu schreiben.
Wenn Kristoff damit gelegentlich bricht, ist das einerseits zwar gut - aber andererseits zeigt es ja, dass ihm durchaus bewusst ist, was er da tut. Aber nun gut ... viele finden's vielleicht aufregend. Mir geht es da aber eher wie dir: der Gesamteindruck eines ansonsten ordentlichen Romans leidet darunter.
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Naut
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Re: Jay Kristoff: Nevernight

Ungelesener Beitrag von Naut »

Die gute Nachricht ist, dass Teil 2 nahezu frei davon ist. Daher hat mir der Mittelteil der Trilogie auch am besten gefallen, was ja durchaus selten ist. Quasi das "Empire Strikes Back"-Phänomen. :)
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