Kir Bulytschow: Oktoberrevolution 1967

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Algernon
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Kir Bulytschow: Oktoberrevolution 1967

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Kir Bulytschow: Oktoberrevolution 1967 (Science-Fiction-Erzählungen)
Memoranda-Verlag, März 2024

Der Autor
Kir Bulytschow (eigentlich Igor Moshejko, 1934-2003) war ab den frühen 1970er Jahren einer der beliebtesten Science-Fiction-Autoren der Sowjetunion. Auch in deutscher Übersetzung sind neben diversen Erzählungen in Zeitschriften und Anthologien im Zeitraum von 1976 bis 1995 im SF-Bereich neun Bücher und ein Heft von ihm veröffentlicht worden, von denen einige unter dem Namen Kirill Bulytschow erschienen sind.

Die Textauswahl
Nach einer Pause von einem Vierteljahrhundert hinsichtlich der deutschen Buchveröffentlichungen ist der Memoranda-Verlag 2020 mit dem einen Roman und drei Erzählungen enthaltenden Band »Der einheitliche Wille des gesamten Sowjetvolkes« auf diesen wichtigen und noch immer sehr lesenswerten Autor der sowjetischen und russischen SF zurückgekommen. Mit »Oktoberrevolution 1967« ist nun ein zweiter Band mit bisher nicht deutsch veröffentlicht gewesenen SF-Geschichten Kir Bulytschows bei Memoranda erschienen. Während »Der einheitliche Wille des gesamten Sowjetvolkes« sich auf von 1986 bis 1991 entstandene Texte konzentriert hatte, lässt sich das Auswahlprinzip von »Oktoberrevolution 1967« so zusammenfassen: Die besten kürzeren Texte, die zu keinem Zyklus gehören, die noch nicht deutsch erschienen sind und die bis 1977 entstanden sind. Resultat dieser Auslese sind neben der Titelnovelle noch zwei Kürzestgeschichten und sechs Erzählungen. Die vier ältesten Texte, zu denen auch die Titelnovelle aus dem Jahr 1968 gehört, sind sämtlich ›vor der Zeit‹ verfasste, was heißen soll, dass sie bei ihrer Entstehung in der Breshnew-Zeit euphemistisch ausgedrückt, keine Chance auf Veröffentlichung gehabt hatten.

Das vernichtete Manuskript
Tatsächlich hätte der Text der satirischen Titelnovelle in den falschen Händen im besten Falle wohl das vorzeitige Ende der gerade erst beginnenden Autorenkarriere bedeutet. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass Kir Bulytschow das Manuskript recht bald nach der Fertigstellung der Novelle wieder vernichtete, als er aus einem anderen Grund von einer bevorstehenden Durchsuchung seiner Wohnung ausgehen musste. Im Unterschied zum Beispiel zum verbrannten zweiten Teil von Gogols »Toten Seelen« wusste später natürlich kaum jemand, dass es »Oktoberrevolution 1967« überhaupt gegeben hatte, so dass sich das diesbezügliche Bedauern bei Bulytschows großer Leserschaft und der Literaturwissenschaft in Grenzen hielt. Während jedoch im Falle Gogols galt: »Fort ist fort«, war das bei »Oktoberrevolution 1967« anders. Gut zwei Jahrzehnte nach der Vernichtung des Manuskripts, als schon keine Gefahr mehr von der Novelle ausging, tauchte plötzlich im Nachlass eines Freundes von Bulytschow ein Durchschlag bzw. eine Abschrift auf. Umgehend wurde auf der Basis der Novelle ein zweiteiliger Fernsehfilm produziert, der noch einige Jahre lang jeweils zum Jubiläum der Erstürmung des Winterpalais gezeigt wurde. Die Novelle bekam den SF- und Fantasy-Preis »Großer Drache« des Jahres 1996, mit dem ein russisches Werk ausgezeichnet wird, das bei seinem Erscheinen ein Ereignis war und auch Jahre später seinen Zauber nicht verloren hat. Und Kir Bulytschow schrieb eine Bühnenfassung von »Oktoberrevolution 1967«, die auch veröffentlicht wurde.

Worum geht es?
Die Titelnovelle geht von der Prämisse aus, die Partei hätte anlässlich des 50. Jahrestages die revolutionären Ereignisse von 1917 detailliert nachspielen und per Fernsehen in den Rest der UdSSR und ins daran interessierte Ausland übertragen lassen. Höhepunkt ist natürlich die Erstürmung des Winterpalais in Lenin- bzw. nun vorübergehend wieder Petrograd zum Zwecke der Absetzung der dort residierenden Provisorischen Regierung. Die Verteidiger des Winterpalais werden von den Mitarbeitern des in diesem Gebäudekomplex ansässigen Kunstmuseums Ermitage gespielt. Bulytschow zeigt, dass diese wie auch die vielen anderen Laienschauspieler in diesem riesigen Quasi-Rollenspiel nicht allein von der ihnen vorgeschriebenen Rolle geleitet werden, sondern auch von ihrem jeweiligen Charakter und von der Rolle, die sie im realen Leben spielen. Auf das Handeln der Museumsmitarbeiter zum Beispiel hat das professionelle Verantwortungsbewusstsein, die Sicherheit der ihnen anvertrauten Kunstschätze zu gewährleisten, großen Einfluss. Da auch an vielen anderen Stellen Sand ins Getriebe der riesigen Inszenierung gerät, tauchen beim Leser allmählich Zweifel daran auf, ob es der Generation der Enkel der – je nach Sichtweise – Revolutionäre oder Putschisten wohl noch gelingen wird, zumindest im Spiel das nachzuvollziehen, was einigen ihrer Großeltern im realen Leben gelungen war. Jedenfalls nimmt das Geschehen einen aberwitzigen Verlauf, und wem die Prämisse noch nicht ausreicht, um die Novelle zur SF zu zählen, der muss sie eben bis zum Schluss lesen.

In den anderen Geschichten werden durchaus etablierte SF-Elemente benutzt wie z. B. Zeitreise, Kommunikation über Zeiten hinweg oder Parallelwelten, den Wert der Erzählungen, von denen noch eine weitere preisgekrönt ist (für »Von der Angst« erhielt Bulytschow die nach dem alleinigen Urteil von Boris Strugazki vergebene »Bronzene Schnecke«) macht jedoch anderes aus. Siehe Abschnitt Fazit.

Ausstattung
Das Buch ist mit, wie ich finde, sehr ansprechenden Textillustrationen, die von Dimitrij Makarow speziell für diese Zusammenstellung geschaffen wurden, ausgestattet und enthält ferner ein Nachwort des Herausgebers. Die reguläre Variante ist als Klappenbroschur ausgeführt. Nur direkt beim Memoranda-Verlag orderbar ist eine auf 100 Exemplare limitierte gebundene Ausgabe für Buchliebhaber (Pappband, Fadenbindung, Lesebändchen, farbiger Vor- und Nachsatz sowie ein Selbstporträt des Autors). Außer den gedruckten Büchern ist auch eine E-Book-Variante erhältlich.

Fazit
Da ich selbst der Herausgeber bin, habe ich naturgemäß eine durchaus positive Meinung von den vorgestellten Texten und verweise hinsichtlich der Beurteilung lediglich auf andere Personen. Maxim zum Beispiel schrieb am 23.03.2024 bei Amazon:

»Die hier vorliegenden Storys sind kein literarisches Fast Food, es sind Geschichten, über die man noch länger nachdenken kann. Sie sind unterhaltsam, phantastisch, manchmal satirisch, aber auch reich an Emotionen, und sie sind auch Geschichte … Ein interessantes, lesenswertes Buch ...«

Hinsichtlich weiterer Meinungen und Informationen verweise ich auf die spezielle Seite zum Buch »Oktoberrevolution 1967« auf meiner Homepage, von wo aus auch ein Link auf die Seite zum Buch »Der einheitliche Wille des gesamten Sowjetvolkes« führt, die auch allgemeine Informationen zum Autor enthält.
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