Aufgrund der
Phantastik - Lesechallenge 2025 habe ich dieses Buch gelesen und schreibe hier im Thread einiges dazu.
»Bereue, Harlekin!«, sagte der Ticktackmann (1965)
Eine Welt, in der alles nach Zeitplan pünktlich ablaufen muss, unpünklich sein ist ein Verbrechen und wird bestraft. Der Harlekin ist ein Rebel und versucht, zeitlich alles durcheinander zu bringen. Der Ticktackmann ist der oberste Zeitbewahrer und erwischt schlussendlich den Harlekin. Dieser bekommt eine Gehirnwäsche verpasst und ist danach ein folgsamer Anhänger der herrschenden Verhältnisse.
Naja, kann man lesen. Man muss ja keinen ganzen Roman durchhalten. Ich musste an den Film "Moderne Zeiten" von Charlie Chaplin denken (auch wenn ich den Film nie gesehen habe). Es geht wohl in der Geschichte, wenn man an das Zitat am Anfang denkt, vor allem darum, dass man nicht zu staatshörig sein und rebellieren sollte, wenn Gesetze und Anordnungen und der Mainstream dem eigenen Gewissen widersprechen und der Staat (die Gesellschaft) völlig aus dem Ruder läuft. Koste es was es wolle. Naja. Das Problem dabei ist, dass jeder etwas anderes darunter versteht, was "richtig" und was "falsch" ist.
Die Stadt am Rande der Welt (1967)
Jack the Ripper wird aus dem London des Jahres 1888 in eine/die Stadt des Jahres 3077 gebracht. Acht Bewohner nisten sich gedanklich in ihm ein und erfreuen sich beim Beobachten seines nächsten Mordes im 1888er London. Jack erkennt seine wahren Gefühle und Beweggründe für die Morde. Er gerät nach der Rückkehr ins Jahr 3077 in Raserei und mordet sich durch die Stadt. Bis seine Beobachter sich nicht mehr amüsieren und das Spiel beenden. Jack ist nun auf ewig in der Stadt gefangen und ein Spielball ihrer unsterblichen Bewohner.
Die Stadt der Zukunft ist sauber und reinigt sich auch selbst und ist dadurch immer steril. Ein Utopia. Wenn nur nicht die Bewohner wären. Diese sind moralisch völlig verkommen, erfreuen sich am Leid anderer und denken, sie könnten mit anderen Menschen (aus der Vergangenheit) machen was sie wollen. Also keine geistige und moralische Weiterentwicklung des Menschen zwischen 1888 und 3077. Deprimierende Erkenntnis. Aber wohl eine realistische.
Ich muss schreien und habe keinen Mund (1967)
Rund hundert Jahre nach dem Dritten Weltkrieg leben fünf Menschen in den sich weltweit erstreckenden unterirdischen Stollen und Kavernen, in denen auch der sich selbst bewusste Supercomputer AM untergebracht ist. Drei AM (amerikanisch, russisch, chinesisch) wurden gebaut, um den komplexer werdenden Krieg führen zu können. Jedoch erwachte AM und vernichtete alle Menschen bis auf fünf. Diese fünf wurden von AM praktisch unsterblich gemacht, damit er sie auf ewig quälen kann. Jedoch bei einer dieser Torturen gelingt es einem der fünf, die anderen vier endgültig zu töten um den Preis, dass er jetzt für immer allein dem Hass von AM ausgesetzt ist.
Ich frage mich, warum sich die fünf Leute nicht schon früher zusammen selbst umgebracht haben. Die beschriebenen tödlichen Veletzungen wären jederzeit möglich gewesen. Und warum hat der fünfte sich nicht auch selbst umgebracht bzw. es nicht zumindest versucht, die Zeit hätte er wohl gehabt. Allerdings wäre dann kein Ich-Erzähler mehr dagewesen.
Zauberhafte Maggie Moneyeyes (1967)
Maggie stirbt beim Spielen an einem einarmigen Banditen und ihr Geist wird in dem Spielautomaten gefangen. Bis ein neuer Spieler kommt, mehrmals hintereinander den Jackpot gewinnt und beim letzten Spiel den Geist von Maggie befreit. Allerdings stirbt der neue Spieler und sein Geist ist nun im Spielautomaten gefangen.
Die Bestie, die im Herzen der Welt ihre Liebe hinausschrie (1968)
Ein Massenmörder, der zum Tode verurteilt wird und dessen Ausdruck im Gesicht auf einem Standbild von Menschen in einer fernen Galaxie gefunden wird. Weitere zukünftige Menschen, die irgend etwas (das Böse? das Verrücktsein?) aus Lebewesen drainieren.
Ich blicke da nicht durch.
Ein Junge und sein Hund (1969)
Nach dem Dritten Weltkrieg streunt der Junge Vic und sein telepathischer Hund Blood in einer Stadt herum, die von einzelnen Gruppen beherrscht wird und in der eine gewisse Ordnung existiert. Im Kino bemerkt der Hund, dass eine junge Frau inkognito anwesend ist. Vic verfolgt sie (zusammen mit Blood) bis zu ihrem Unterschlupf in einem Haus, überwältigt und vergewaltigt sie. Da taucht eine Bande Burschen auf, die das Mädchen Quilla June Holmes ebenfalls bemerkt haben, und die drei müssen nun um ihre Leben kämpfen und töten einige der Burschen. Schlussendlich müssen sie das Haus selbst niederbrennen und in einem Boiler Schutz vor den Flammen suchen. Die restliche Bande denkt, dass alle drei im Haus verbrannt sind und ziehen ab. Quilla June kann Vic niederschlagen und entkommen, hinterläßt jedoch eine Identitätskarte, die Vic entgegen dem Ratschlag Bloods dazu nutzt, allein in die Unterregion Topeka zu gelangen. Dort wird Vic gefangen genommen und erfährt, dass es Quilla Junes Aufgabe gewesen ist, einen Jungen nach Topeka zu locken, damit er den Genpool der Bewohner auffrischt. Vic ist zuerst begeistert, verträgt das Leben in Topeka jedoch nicht und flieht zuletzt zusammen mit Quilla June wieder an die Oberfläche. Dort hat Blood auf Vics Rückkehr gewartet, ist jedoch fast verhungert und verletzt. Vic ergreift extreme Massnahmen, um Blood zu retten. Denn ein Junge liebt seinen Hund.
Bei der Geschichte musste ich sofort an Don Johnson denken (Miami Vice, Nash Bridges). Denn in jungen Jahren spielte er den Jungen Vic in einer Verfilmung dieser Erzählung. Wobei ich mich nur noch wegen Don Johnson an diese Verfilmung erinnere. Zitat daraus: "Sie hatte einen guten Geschmack."
Hilflos Wind und Wellen ausgeliefert vor der Küste der Langerhansschen Inseln: 38° 54’ Nördliche Breite, 77° 00’ 13’’ Westliche Länge (1974)
Der Werwolf Lawrence Talbot will den Wolf in sich loswerden mit Hilfe einer riesigen technischen Maschinerie.
Das Winseln geprügelter Hunde (1973)
Beth beobachtet von ihrer Wohnung im siebten Stock aus einen Mord im Hof des Gebäudes. Dabei bemerkt sie einen unwirklichen, geisterhaften Beobachter. Beth geht mit Ray, dem Bewohner der Wohnung genau gegenüber ihrer eigenen, eine kurze Beziehung ein. Eines Nachts erwischt Beth einen Einbrecher in ihrer Wohung. Dieser greift sie an und ist dabei, sie umzubringen. Da bemerkt Beth wieder den unwirklichen, geisterhaften Beobachter und erkennt seine wahre Natur. Er ist ein neu entstandener Gott, entsprungen aus der in der Stadt existierenden Gewalt. Seine Anhänger überleben und müssen die Gewalt beobachten, und die Opfer sterben. Was ihr Ray die ganze Zeit über klarmachen wollte. Beth fleht den Gott an, sie am Leben zu lassen und das Wunder geschieht. Der Einbrecher stirbt auf grausame Weise und Beth ist eine neue Jüngerin des Gottes.
Der Todesvogel (1973)
Das Ende der Erde, erfolgt durch den letzten Menschen Nathan Stack.
Ich suche Kadak (1974)
Nichtmenschliche Juden sitzen Schiv'a für ihren Planeten, der bald untergehen wird. Es stirbt einer der Juden, weshalb sie nun zuwenige für das Schiv'a sitzen sind. Deshalb wird einer von ihnen, Evsise, auf die Suche nach Kadak geschickt. Kadak war ein Mitglied ihrer Gemeinde gewesen, bevor er sie verließ. Evsise folgt nun Kadak, der eine verrückte Religion nach der anderen ausprobierte. Evsise hat dabei viel zu erdulden, bis er es schließlich doch noch schafft, dass Schiv'a gesessen werden kann.
Diese in manchen Momenten lustige Erzählung hat mir von allen bisherigen am besten gefallen. Sie ist klarer geschrieben und wirkt nicht so altmodisch wie so manche der vorherigen.
Croatoan (1975)
Nach einer illegalen Abtreibung zwingt eine Frau ihren amoralischen Liebhaber dazu, in die Kanalisation hinabzusteigen, um den in einen Plastikbeutel eingepackten und die Toilette heruntergespülten Embryo zurückzuholen.
Die bessere Welt (1976)
Willis Kaw denkt, dass er ein Außerirdischer ist und für ein Verbrechen auf die Erde verbannt wurde, um dort Qualen zu erleiden.
Jeffty ist fünf (1977)
Jeffty ist fünf Jahre alt und bleibt auch fünf. Er wird nicht älter, obwohl für alle anderen die Jahre vergehen und sie älter werden. Jeffty ist buchstäblich in der Vergangenheit verhaftet und holt diese in die Gegenwart. Er hört mit seinem Radio neue Hörspielepisoden, deren Serien seit Jahren nicht mehr produziert werden. Diese Hörspielepisoden sind jedoch neu, mit Begriffen aus der Gegenwart. Das gleiche gilt, wenn Jeffty neue alte nicht mehr produzierte Comicserien liest, oder er sich neue Kinofilme mit bereits gestorbenen Schauspielern ansieht. Alles endet, als sein gleichalteriger erwachsener bester Freund, der Erzähler, einen Fehler begeht. Die Gegenwart tötet die Vergangenheit.
Das Nachtleben auf Cissalda (1977)
Der Temponaut Enoch Mirren kommt aus einem Alternativuniversum zurück und bringt eine fremde Lebensform, einen Cissaldäer, mit, mit der man/frau den vollkommensten Sex haben kann. Enoch, der künstlich ernährt werden muss, und der Cissaldäer haben ununterbrochen Sex miteinander und können auch nicht einfach voneinander getrennt werden. Dies gelingt erst nach Monaten der Forschung. Daraufhin teleportieren alle Cissaldäer auf die Erde und haben ununterbrochenen Sex mit allen dortigen Lebewesen. Mit Ausnahme der Küchenschaben. Nach einer gewissen Zeit sind dann alle Erdbewohner verhungert und die Cissaldäer kehren auf ihren Heimatplaneten zurück.
Zähl ich den Glockenschlag, der Stunden misst (1978)
Ian Ross lebt sein Leben, gleichförmig, vergeudet seine Zeit. Bis er in das graue Nichts der verlorenen Zeit gesogen wird. Ian Ross existiert, benötigt keine Nahrung, wird nicht älter, kann sich an sein gesamtes Leben erinnern, wandert durch das Nichts, begegnet anderen auch dorthin verschlagenen Menschen und wohnt den schemenhaften Phantomen vergangener Ereignisse (Schlacht bei Waterloo, Untergang der Titanic, Schlacht in den Ardennen) bei. Bis er Catherine Molnar trifft. Die beiden verlieben sich ineinander, nutzen ihre gemeinsame Zeit und setzen sich Ziele. Sie verblassen im ewigen grauen Nichts und haben diesen Ort schlußendlich doch verlassen können.
Der Wächter der verlorenen Stunde (1985)
Billy Kinetta trifft auf dem Friedhof Caspar, der das Grab seiner verstorbenen Frau Minna besucht. Die beiden unterschiedlichen Menschen werden Freunde. Diese Begegnung führt auch dazu, dass Billy mit sich selbst im Reinen wird und eine wichtige Aufgabe von Caspar übernehmen kann.
Das weiche Äffchen (1987)
Die Obdachlose Annie beobachtet nachts einen Mord. Sie wird bemerkt und verfolgt, kann sich jedoch vor den Tätern verstecken und entkommen. Sie erfährt, dass zwei andere ihr ähnlich sehende obdachlose Frauen ermordet wurden. Sie kehrt an den Tatort zurück, um ihre Sachen zu holen, wird dabei jedoch von einem der Täter, der auf die Zeugin gewartet hatte, entdeckt und verfolgt. Sie kann sich verstecken, der Verfolger findet sie jedoch, aber sie kann ihn durch günstige Umstände ersticken. Sie kehrt erneut an den Tatort zurück und sammelt erfolgreich ihre Sachen ein. Nach einer Woche sind vier weitere obdachlose Frauen ermordet worden. Annie wird von einem weiteren Täter geschnappt, kann sich befreien und flieht in ein Hochhaus. Sie kann den Verfolger durch das Herunterwerfen eines Topfbaumes erschlagen. Monate später steht in der Zeitung, dass vier Männer wegen der sinnlosen Morde an mehr als einem Dutzend obdachlosen Frauen verhaftet worden sind.
Warum wir träumen (1988)
Lonny McGrath sieht nach dem Aufwachen etwas Merkwürdiges und kommt zu einer Therapiegruppe unter der Leitung von Anna Picket. Dort passiert dann etwas unerwartetes und grauenhaftes, das zu Toten führt. Er erfährt die wahre Bedeutung des Traumschlafes und findet Erlösung.
Der Mann, der Christoph Kolumbus an Land ruderte (1991)
Es werden die Taten einer Person mit viel Macht zwischen dem 1. Oktober und dem 34. Oktober geschildert. Pro Tag eine Tat, verteilt über die Welt.
Hier drängt sich mir der Gedanke auf, dass Harlan Ellison viele Sachen, die ihn störten, und viele Schreibideen, die zu klein für eine Kurzgeschichte waren, einfach in eine Erzählung gepackt und mit einer Figur verbunden hat.
Mephisto in Onyx (1993)
Rudy Pairis, ein Telepath, wird von seiner alten Bekannten Allison Roche, die Erste Stellvertretende Bezirksstaatsanwältin ist, gebeten, den sechsundfünzigfachen Serienmörder Henry Lake Spanning gedanklich zu durchleuchten. Aus einem unerwarteten Grund. Wobei der wirkliche Grund erst später klar wird.
Zum Abschluss noch eine sehr interessante Geschichte, die aus der Sicht von Rudy Pairis erzählt wird. Wobei die Handlung noch mehrere Wendungen nimmt und ein überraschendes Ende hat. Ein guter Abschluss für das gesamte Buch. Übrigns steht in der englischen Wikipedia, dass Harlan Ellison, als er die Novella schrieb, für eine filmische Umsetzung Forest Whitaker als Rudy Pairis im Hinterkopf hatte.
Was bin ich froh, dass ich dieses Buch endlich beenden konnte.
Ich habe rund sechs Wochen für diesen Band gebraucht. Manchmal war es schon eine Quälerei. Es war von Vorteil, dass es eine Kurzgeschichtensammlung ist, denn so konnte ich hoffen, dass es besser wird. Was es auch manchmal tat, besonders bei den jüngeren Geschichten. Einen Roman hätte ich vermutlich abgebrochen. Ein weiterer Grund zum Weitermachen war, dass ich endlich einen weiteren Haken bei der Lesechallenge 2025 machen konnte.

Das Problem ist, dass manche Geschichten einfach zu nahe an der Entstehungszeit sind und heute altmodisch wirken. Sie spielen auch in der Vergangenheit, damals Gegenwart oder damals nahe Zukunft, und sprechen teilweise (Allgemein-)Wissen an, dass heute nur noch entsprechend alte Personen oder (Geschichts- bzw. Themen-)Spezialisten kennen.
Die Erzählung "Ich suche Kadak" hat mir am Besten gefallen, was vielleicht daran liegt, dass sie in einer unbestimmten Zukunft spielt und damit von der Entstehungszeit abgekoppelt ist, und von Außerirdischen handelt und damit keinerlei Bezug zu Menschen hat, vom Judentum mal abgesehen. Sie benötigt kein Vorwissen, ist zeitlos und ruht in sich.
Vielleicht ist auch einfach das Problem, dass man hier eine Kurzgeschichtensammlung genau eines Autoren hat. Bei mehreren Autoren käme mehr Abwechslung des Schreibstils, des Themas, des Lesegefühls und anderer Dinge zum Vorschein, die eine schlecht empfundene Geschichte eines Autoren durch andere besser gefallende Erzählungen anderer Autoren in den Hintergrund treten und einen freudig weiterlesen läßt. Wobei: Mit "Was aus den Menschen wurde" von Cordwainer Smith, ebenfalls eine Kurzgeschichtensammlung eines Autoren, hatte ich nicht solche Probleme. So weit ich mich erinnere, das Lesen ist schließlich auch schon einige Jahre her.

Also muss ich wohl eher sagen, dass mir Harlan Ellisons Erzählungen in diesem Buch zum großen Teil einfach nicht liegen.
P.S.: Ich habe das Gefühl, dass es bei einigen Erzählungen von Harlan Ellison um mehr geht.
Bei "Jeffty ist fünf" ist mein Eindruck, dass er kritisiert, dass man durch die vielen neuen technischen Entwicklungen die Errungenschaften der Vergangenheit vergisst, die manchmal sogar besser sind als die neueren und mehr Freude bereiteten.
Bei "Die bessere Welt" ist die Botschaft, dass man mit dem zufrieden sein sollte, was man hat, denn es könnte auch schlimmer sein. Und keine Luftschlösser bauen sollte.
In "Zähl ich den Glockenschlag, der Stunden misst" geht es wohl darum, dass man den Hintern hochkriegen und seine Träume leben sollte. Und wenn man keine hat, soll man sie suchen gehen.