Geschichte 1:
Semin Güven: Der Zwischenfall in der Aufwacheinheit (2 von 5 Sternen)
Mehrere tausend Jahre, nachdem sie schlafen gelegt wurden, wird eine Gruppe von Menschen wieder erweckt. Beim und nach dem Aufwachvorgang werden sie von einem Individuum begleitet, welches ihnen bei der Orientierung in der neuen Welt helfen soll. Eine Frau aus der Gruppe kommt mit dem Kulturschock nicht zurecht und begeht Suizid.
Die Autorin erzählt die Vorgänge aus Sicht des Begleiters, allerdings dermaßen unspannend und verschwommen (anders kann ich es nicht ausdrücken), dass ich selbst diese kurze Story beinahe abgebrochen hätte.
Geschichte 2:
Özgür Hünel (Heilige) Bestseller (3 von 5 Sternen)
Die Menschheit beherrscht das All. Eine junge Frau soll zusammen mit einem Androiden von der Raumstation Walhalla im Sektor thx-1138 (der Autor scheint Fan von George Lucas zu sein!) auf einen Planeten reisen, um die dortige Lebensform mit einer maßgeschneiderten Religion zu unterwerfen, nachdem dies bereits 76 Andere nicht geschafft haben. Um es vorwegzunehmen, auch ihr gelingt es nicht.
Die Auflösung dieser Geschichte habe ich nicht verstanden. Allerdings war sie bis zum Schluss ganz flott geschrieben.
Geschichte 3:
Funda Özlem Şeran: Über den Wolken (4 von 5 Sternen)
In einer perfekten Welt der Zukunft, in der jeder alles hat, was man braucht, begeht der Familienvater Mavi Bayraktar Selbstmord, indem er von einer Brücke springt. Da so eine Tat eigentlich undenkbar ist, ermittelt der Inspektor Engin Kurt, um die Hintergründe aufzuklären. Dabei kommt er unglaublichen Dingen auf die Spur.
Die Handlung ist eigentlich nicht neu, und erfahrene SF-Leseri sollten eigentlich schnell darauf kommen, in welche Richtung sich die Story entwickelt. Trotzdem setzt die Autorin den Stoff spannend und unterhaltsam um. Nett ist auch der Twist am Ende.
Geschichte 4:
Selin Arapkirli: Bitte nicht stören (2 von 5 Sternen)
Bei der Geschichte dieser Autorin handelt es sich um einen Monolog, in dem die Ich-Erzählerin ihre grausigen Erlebnisse der Zwangsprostitution im vermeintlichen Zukunfts-Paradies darlegt. Zum Schluss gesteht sie noch einen Mord und plant ihre Flucht. Ganz ehrlich, so etwas mag ich nicht lesen. Und der SF-Anteil hält sich auch in Grenzen.
Geschichte 5:
Onur Selamet: Die Ohrfeige (2 von 5 Sternen)
Der namenlose Ich-Erzähler hat mit 4 Jahren in einem Boot seinen Vater an einen riesigen Oktopus verloren. Er selbst überlebte die Begegnung, hat aber seitdem einen totalen Dachschaden, was der Autor mit seinem wirren Gefasel deutlich darstellt. Vielleicht hat aber auch der Autor einen Schaden. Erinnert ein bisschen an Geschichten aus dem Cthulhu-Mythos von Lovecraft (inhaltlich jedenfalls, nicht stilistisch). War überhaupt nicht mein Fall.
Geschichte 6:
Nur İpek Önder Mert: Nemesis (2 von 5 Sternen)
Die letzten Überlebenden der Menschheit reisen mit dem Schiff Nemesis zu der entlegenen Insel Anka und versuchen dort zu überleben. Es gibt die richtigen Menschen – die in Kokons schlafen – und deren Klone, die versuchen sollen, die unwirtliche trockene Landschaft für die Menschen vorzubereiten. Soweit der Hintergrund. Die vor diesem Hintergrund spielende Story habe ich nicht verstanden. Irgendwelche Personen – vermutlich die Klone – versuchen nach Jahren eine Rebellion. Danach gibt es noch gegen irgendjemand eine Gerichtsverhandlung, die mittendrin abbricht. Damit ist die Story zu Ende. Ich bin völlig ratlos, was die Autorin mit dieser Geschichte erzählen wollte.
Geschichte 7:
Tolga Aydın: Schlag aufs Herz (3 von 5 Sternen)
Ein interstellarer Kampfsportchampion soll die Menschheit bei einem Kampf auf Leben und Tod gegen die neu entdeckte Spezies der Ba’as vertreten. Während des Kampfes verliebt er sich in die Gegnerin und entscheidet sich dafür, sie leben zu lassen. Dies bedeutet das Ende seiner Karriere.
Die Story ließ sich relativ flott und flüssig lesen, war aber in Teilen sehr sprunghaft.
Geschichte 8:
Tuğrul Sultanzade: Der Geist (2 von 5 Sternen)
In einer dystopischen Stadt der Zukunft geht ein Prinz zu einem Wahrsager, der allerdings irgendwie von einem Geist besetzt wurde. Dieser Geist will dem Prinzen etwas Böses antun. Was folgt ist ein sinnloses, teilweise pseudo-psychologisches Geschwafel, welches ich mir nur aufgrund der Lesechallenge bis zum Ende angetan habe. Im Endeffekt scheint es irgendwie um Sex zu gehen. Verstanden hab ich die Geschichte nicht. Mit viel Wohlwollen gerade noch 2 Sterne.
Essay:
Özgür Tacer: Einheimische Science Fiction in der Türkei: Ein Kampf ums Überlebenden (ohne Wertung)
Der Autor gibt eine Überblick über die Entwicklung der Science-Fiction-Literatur in der Türkei, insbesondere von einheimischen Schriftstellern, im Zeitraum vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Er zieht dabei eine positive Bilanz der Entwicklung, zeigt aber auch auf, dass diese noch lange nicht abgeschlossen ist.
Fazit: Ein interessanter Ausflug in die unbekannte SF-Szene der Türkei. Leider fand ich nur eine Geschichte richtig gut, zwei weitere ganz ok, der Rest war leider absolut nicht mein Ding. Trotzdem ein riesiges Dankeschön an den Memoranda-Verlag und seinen Verleger Hardy Kettlitz, der mit seiner mutigen Entscheidung, den deutschen Leseri auch mal SF aus anderen Ländern zugänglich zu machen, sicherlich ein großes verlegerisches Wagnis eingegangen ist.
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