Dystopien sind reaktionär!

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Flossensauger
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Re: Dystopien sind reaktionär!

Ungelesener Beitrag von Flossensauger »

Genug Dystopien!
Kriege, Krisen, Zukunftsangst: Viele haben genug von schlechten Nachrichten. Wir stellen Science-Fiction vor, in der die Welt der Zukunft eine bessere ist.

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Badabumm
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Re: Dystopien sind reaktionär!

Ungelesener Beitrag von Badabumm »

Ich habe eine Broschüre über die Erfindung des Kibbuz gelesen (Deutsch-israelische Gesellschaft). Ist ja schon so etwas wie in Richtung „Utopie“. Aber auch hier gilt: nicht jeder will sie. In der Blütezeit waren ungefähr 7-10% der Israelis in Kibbuzim organisiert. Nach und nach wurde der rigorose Charakter (kein Eigentum, Arbeitspflicht, Agrarschwerpunkt, getrennte Kindererziehung, zionistisches Weltbild) „aufgeweicht“, vermutlich um mit der Zeit mitzugehen. Aber selbst wenn die Mitgliedszahlen nicht exakt stimmen sollten, so ist es nicht die Mehrheit, die so leben möchte.

Ein ähnliches Problem empfinde ich bei positiven Utopien, die mehr oder weniger einen „Sekten“charakter haben. Im allgemeinen sind kommunistische Weltanschauungen „utopischer“ (hört sich alles toll an: wenn es kein Eigentum gibt, kann nicht darum gestritten werden? Wirklich?), aber wie es bei allen Gesellschaftsformen ist: wie groß ist der Anteil derer, die nicht mitgenommen werden oder nicht reinpassen? Man spricht gerne vom „glücklichen Wilden“ in einer „paradiesischen Ur-Kultur“. Dieses Paradies wird aber mit einer rigorosen Gleichschaltung erzielt, die sich im Inneren manifestiert. Jeder muss mitmachen und alles wird durch innere und äußere Tabus geregelt. Paradiesisch ist es nur für akzeptierende Mitglieder dieser Gesellschaft, - so ähnlich, wie das Landleben attraktiver scheint, weil die Menschen offener zu sein scheinen, sich gegenseitig helfen, gemeinsame Unternehmungen machen, usw.. Ja, das stimmt. Aber eben NUR FÜR DIE, die reinpassen. Außenseiter, die sich querstellen, werden abgelehnt. Diejenigen, welche eine andere Anschauung haben, müssen das System verlassen, weil sie sonst kein Bein auf den Boden kriegen. So paradox das klingt: aber „Freiheit für jeden“, so wir sie definieren wollen, ist das eher nicht. Und daran scheitern offenbar auch die Kibbuzim. Es ist nicht so „paradiesisch für alle“. Solche Utopien sind einer Religionsgemeinschaft ähnlich, auch wenn diese nicht offen zutage tritt.

Ich befürchte, dass es also niemals eine Utopie für alle geben wird. Individualisten haben es in diesen kommunistischen Utopien generell schwerer. Der Gegenpart „Neoliberalismus“, der jedem fast alles erlaubt, gehört aber nicht zu den utopischen Vorstellungen und funktioniert auch nicht auf Dauer. Dann halte ich es für durchführbarer, wenn man verschiedene „Inseln“ aufbaut, in der diejenigen sich wohl fühlen, die mit dem innewohnenden System liebäugeln. Hat leider bisher auch nie funktioniert.
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Harald Lesch
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Flossensauger
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Re: Dystopien sind reaktionär!

Ungelesener Beitrag von Flossensauger »

Ich wollte eigentlich nur @WeepingElf auf den aktuellen link verweisen, habe ihn über Musik kennengelernt und nur 2x persönlich getroffen, jeweils sehr kurz (beides mal seine Entscheidung) und habe die sehr geringe Hoffnung, das er sich vielleicht damit besser aufgenommen fühlt.

Soll deinen Eintrag Bada nicht schmälern, aber ich habe den Magdeburg-Tatort geschaut, 2 Bier getrunken und verfolge gerade die Charlie Kirk Weimar Festivitäten und fühle mich wirklich nicht in der Lage seriös oder nüchtern zu posten.
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Badabumm
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Re: Dystopien sind reaktionär!

Ungelesener Beitrag von Badabumm »

War eigentlich auch keine direkte Antwort. Aber wie das oft so ist: wenn mal ein Faden aktiv nach vorne kommt, schreibt man auch was dazu, denn prinzipiell hast du Recht: NOCH mehr Sch... brauchen wir jetzt nicht auch noch in der SF. Die ganzen SF-Dystopien wirken regelrecht dilettantisch gegen das, was gerade real passiert. Ich hoffe, mich kneift mal endlich einer wach...

Die Frage, warum es so wenig positive Utopien gibt, ist in der SF sicher ähnlich wie bei der Tagesschau: schlechte Nachrichten verkaufen sich besser, und vielleicht verkaufen sich Dystopien auch besser? Aber ich glaube, der Grund der vielen Dystopien war eher ein Warnen vor dem, was kommen könnte, und nun hat all das Warnen nichts genutzt, denn wir haben es jetzt. Fast. SF lebt ja von Gedankenspielen „was wäre, wenn“ und nun müsste sie sich um 180° drehen (da das „Wenn“ gerade stattfindet...) und fragen, „was wäre, wenn alles gut wäre..“?

PS War der Magdeburg-Tatort so schlimm? Ich habe mich auf die Drehorte Dortmund, Kiel, Münster und Bremen, und früher Saarbrücken und Hamburg beschränkt, weil ich nicht ALLE Tatorte sehen kann und nicht möchte.
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Harald Lesch
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Flossensauger
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Re: Dystopien sind reaktionär!

Ungelesener Beitrag von Flossensauger »

Ja, der Polizeiruf war sehr, sehr düster und -untypisch- wurde der Weg zum Mörder erst mal dargestellt und man war live dabei. Sonst wird ja immer eine schöne Leiche gefunden und dann darauflos ermittelt.
A.S.7
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Re: Dystopien sind reaktionär!

Ungelesener Beitrag von A.S.7 »

Mh, ich bin nicht alt genug, um diese Werke bei ihrer Herausgabe miterlebt zu haben, weiß dementsprechend nicht, welchen Impact sie damals gehabt haben. Ich würde dennoch definitiv widersprechen. In der Schule war George Orwell Pflichtlektüre bei uns, und zwar um zum Nachdenken anzuregen. Dystopien beruhen ja auch oft auf bereits Geschehenem, wurden weiter bzw. zu Ende gedacht von den Autoren. Ich glaube, es ist sogar gewollt, dass sich die Leser bzw. Zuschauer denken: „Wow, was wäre, wenn?“ und „Wie weit sind wir davon entfernt?“. Bücher wie „1984“ empfinde ich persönlich als Warnung, bezogen auf Nationalsozialismus oder Totalüberwachung wie damals in der DDR. Mit Blick auf die USA und darauf, was auch in Deutschland politisch los ist, lohnt es sich, Dystopien gelesen zu haben. Es geht dabei nicht um Angst, sondern um Reflexion und kritische Wachsamkeit.
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Badabumm
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Re: Dystopien sind reaktionär!

Ungelesener Beitrag von Badabumm »

Exakt. Das schrieb ich ja. Diese Werke, allen voran die drei, vier Klassiker, waren als Warnung gedacht. Aber wenn es stimmt, dass man - zumindest in Deutschland - Orwell zu lesen hatte (ich hatte den auch in der Schule), so verhindert das wohl doch nicht die jetzige Situation. Auch die in Deutschland extreme Betonung auf die Gefahren des Dritten Reiches in Schule und Medien hält Menschen nicht davon ab, AfD zu wählen. Womöglich eher aus Trotz denn aus Überlegung...
Die USA waren immer das Vorbild für Freiheit und Demokratie, aber der Rassismus und die Vorbehalte gegen Minderheiten und das konservative Denken waren in den ländlichen Gebieten lange schon vorherrschend. Und Deutschland steht mit seinem unterschwelligen Rassismus dem kaum nach. Dass andere Länder auch ihre schwarzen Schafe haben, zeigt Europa deutlich. Die Weltentwicklung kann von SF-Dystopien nicht umgekrempelt oder gesteuert werden, da müssen ganz andere Kräfte im Spiel sein.

Ah, Polizeiruf, nicht Tatort. Den sehe ich fast nie... Aber ich glaube, Charly Hübner hat mal eine Zeitlang mitgespielt, oder?
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Harald Lesch
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Re: Dystopien sind reaktionär!

Ungelesener Beitrag von A.S.7 »

Sehr wahr... Interessant finde ich aber in Zusammenhang mit diesem Thema der Dystopien, dass gerade in Amerika Bücher wie 1984, Tribute von panem und sogar Anne Frank Tagebuch gerade verboten wurden. Ich denke, dass solche Bücher und generell politische Bildung eine Gefahr für Autokratie und Angstmache sind. Denn Autokratien gedeihen in einem Umfeld der Unwissenheit, der vereinfachten Narrative und der Kontrolle über Informationen. Ein Buch egal ob Fiktion oder nicht, ist nichts anderes als Information. Eine gute Dystopie komprimiert Jahrtausende der kollektiven menschlichen Erfahrung in eine Form, die das Bewusstsein eines einzelnen Lesers in wenigen Stunden revolutionieren kann. Deswegen finde ich sind sie, vor allem ohne Happy End so wichtig.
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