Dann hätte der Autor immer noch die Freiheit, die Geschichte zu verwerfen.Ob ein Autor wirklich immer die Freiheit hat, den Protagonisten auszuwählen, der seine Geschichte erzählt? Manchmal diktiert die Geschichte, wo es langgeht.
In der Literaturwissenschaft hat sich allerdings inzwischen herumgesprochen, daß man da vorsichtig sein sollte. Thomas Mann war ganz offensichtlich nicht Felix Krull, obschon er "Ich" schreibt. Beim Ziljak VERMUTE ich nur etwas; dazu unten mehr.In der Literaturkritik wird der Text eines Autors manchmal mit dem Autor gleichgesetzt.
Das schränkt einen Schriftsteller stark ein, würde er das immer im Hinterkopf haben. Er müsste dann höllisch aufpassen, was er schreibt, damit nicht irgendjemand eine Psychose bei ihm diagnostizieren kann.
Generell würde ich sagen, ein Autor tut gut daran, sich eine gewisse Wurschtigkeit zuzulegen, so daß er im Falle des Falles nicht einen f*ck darauf geben wird, was irgendein Tintenbube da hingeschmiert hat. Aber ebenso würde ich einem Autor empfehlen, kontrolliert zu arbeiten. Das "Aus-dem-Bauch-heraus-Schreiben", écrire automatique usw. führt doch nur selten zu überzeugenden Ergebnissen.
So etwas tun Schriftsteller für gewöhnlich aber nicht. Man schreibt die Geschichte so auf, wie man glaubt, es wäre sinnvoll. Und wenn man dafür einen verbrecherischen Protagonisten auswählen muss - okay. Dass man sich als Autor in die Lage dieses Kerls dann versetzen kann, zeugt eher von Phantasie und verrät nicht den potentiellen Ganoven, der in seinem Unterbewusstein schlummert.
1.) Ziljak wählt als alleinige Erzählperspektive seiner KG diejenige eines "unwürdigen" Menschen.
2.) Beleg der Unwürdigkeit des "Helden": Verletzung der Privatsphäre anderer Personen aus Gewinnsucht; Befriedigung perverser Interessen seiner Kunden; Inhumanität: Frauen sind Schnecken und Schlampen, mal mehr, mal weniger geil.
3.) Wie wäre es erklärbar, daß ein erwachsener, gereifter Mensch (Autor) eine Geschichte aus der Perspektive der Inhumanität erzählt? Doch nur so, daß seiner Motivation ein kritischer Impetus inhärent ist. Unterstellen wir einen solchen dem Autor, so sehen wir: Der längst angebrochene Abend des Abendlandes hat sich prospektiv zur Nacht vefinstert. Trauer und das Gefühl des Abschieds von einer langenlangen kulturellen Tradition; das Ideal der Aufklärung, der Emanzipation des Menschen geht zum Teufel.
4.) Für den erwachsenen, gereiften Menschen (Autor) kann dies nur ein Ernstes Thema sein. Dies verbietet meiner Ansicht nach nicht, komische oder sogar zynische Elemente in die literarische Ausführung zu mischen. Der erwachsene, gereifte Mensch (Leser) wird spüren, daß diese Elemente, die sich bis zum Grotesken steigen können, auf dem Boden von Trauer, Verlust, auch Wut erwachsen sind. Wo nicht, da findet man lediglich die Oberfläche von Comedy und stumpfer Degoutanz.
5.) Ist der (humanoide) Sexualverkehr mit einem Baumstumpf, einem Strandball auf zwei Entenbeinen, kleinen grünen Männchen, einer Riesenschnecke oder einem kleinen rosa Elefanten komisch oder sogar grotesk? Zum Grotesken fehlt diesen Mätzchen die Tiefe der Erschütterung, die durch die disperaten Elemente bewirkt wird. Sex mit Aliens ist ein alter Hut und hat somit die Kraft des Grotesken eingebüßt. Sind diese Spielchen dann immerhin komisch? Würden wir die Frage nach Maßgabe der Wirkung - nämlich des Lachens - beantworten, so müßten wir sagen: Ja. Aber wer lacht denn da? Zum einen der bürgerliche Spießer, der sich habituell gerne die lauen Pikanterien aus dem TV einpfeift, feierabendlich schmunzelt oder sich feixend auf die Schenkel klopfend. Zum anderen -: der Jugendliche, der Pubertierende. Im Gegensatz zum bürgerlichen Spießer, der vielleicht eine Entwicklung zum Erwachsenen hätte nehmen können, ist ein Bedauern beim Jugendlichen ganz unangebracht: Das ist ja alles ganz "normal", die Hormone rasen mit 300.000 km/s durch dieses frische kleine Universum, die ästhetische Urteilsfähigkeit ist längst nicht entwickelt, überhaupt ist Alles noch nicht fertig. Es gibt einen sexuellen Humor, der eigentlich nur in dieser Lebensphase einsehbar ist: Die erwachende Sexualität ist das allesbeherrschende Thema, die permanente Anspannung sucht die permanente Abfuhr, und da reicht ein laues Witzchen, um loszuprusten. Wenn es aber zwischen dem Adoleszenten und dem Erwachsenen, der bloß so heißt, weil er Führerschein und Gehaltstreifen (bzw. Alg-II-Bewilligung) in der Tasche hat, eine Verbindungslinie gibt, so heißt sie wohl "Spätpubertät".
6.) Ziljak geht das Thema der gesellschaftlichen Degeneration aus der Perspektive eines verbrecherischen und spätpubertären "Helden" an. So weit, so schön. Wie sind aber diejenigen spätpubertären Erzähl-Elemente zu beurteilen, die "objektiv" auf die "Wirklichkeitsebene" der Fiktion gesetzt, und also nicht durch den Helden geschaffen werden? (Er begegnet ja dem ET-Gerammel, und denkt es sich nicht etwa aus). Oder anders gewendet: Teilt Ziljaks Immanenter Autor die Eigenschaft der Spätpubertät mit dem Ich-Erzähler?
7.) Diese Frage kann ich nicht beantworten. Denn es wäre immerhin denkbar, daß der Immanente Autor bewußt solche Erzähl-Elemente bringt, die nur dem adoleszenten Geschmack zugänglich sind. Warum - wüßte ich nicht zu sagen, einen Sinn könnte ich nicht darin erkennen. Deshalb schleicht sich bei mir die
8.) VERMUTUNG ein, daß der Immanente Autor schlicht die pubertäre Arretierung des physischen Autors - Ziljak - geerbt hat. Ich kann mich natürlich täuschen; und die Maxime, den Autor zunächst einmal für schlauer als man selbst zu halten, ist nicht die schlechteste.
Ein Vorteil ist aber auch, dass man schreibend seine Pubertät noch einmal in vollen Zügen hochkommen lassen kann, und nebenbei auchnoch eine gute Geschichte dabei erzählt.
Das mag ein Vorteil sein; der sich mir aber sofort in einen beschämenden Nachteil verwandeln würde, wenn ich mit meiner Regression an die Öffentlichkeit träte. Für die private Regression bräuchte sich - glaube ich - niemand zu schämen. Ich nehme mir gerne einen Karl May und setz´ mich in ein Eckchen. (Bis vor kurzem auch Perry Rhodan; Feldhoff gerne, aber Borsch?: NEIN!)
Gruß, Guido