Doris Lessing als SF-Schriftstellerin

Science Fiction in Buchform
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Shock Wave Rider
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Doris Lessing als SF-Schriftstellerin

Ungelesener Beitrag von Shock Wave Rider »

Doris Lessing - notorische Nobelpreiskandidatin, Altkommunistin und als solche immer noch unerwünschte Person in USA. Eine schillernde und faszinierende Autorin.

Eine Zeit lang hat sie sich auch der Science Fiction zugewandt.

Um ehrlich zu sein: Ihre so genannten SF-Romane gefallen mir fast besser als ihre mainstream-Erzeugnisse. Insbesondere die "Martha Quest"-Romane fand ich recht langatmig und etwas zu autobiographisch.

Aber nun zu ihrer SF.

Herzstück ist sicherlich die Pentalogie "Canopus im Argos: Archive".
Die Titel der einzelnen Bände lauten:

Archiv I: Shikasta
Archiv II: Die Ehen zwischen den Zonen Drei, Vier und Fünf
Archiv III: Die sirianischen Versuche
Archive IV: Die Entstehung des Repräsentanten von Planet 8
Archive V: Die sentimentalen Agenten im Reich Volyen


In meiner Erinnerung haben mir die ungeraden Bände sehr gut gefallen, während ich die geraden Bände unterhaltsam, aber eher belanglos fand. "Shikasta" hat mich bei der Lektüre tief beeindruckt - diese überzeugende Vision einer einigen Menschheit, die nach einer kosmischen Katastrophe zerbricht.
"Die sirianischen Versuche" haben die ethische Verantwortung der Wissenschaft thematisiert.
Und "Die sentimentalen Agenten..." waren eine herrliche Persiflage auf die Macht der Rhetorik und der schönen Worte.

Auf jeden Fall gehört noch zu ihrem SF-Werk der Roman "Memoiren einer Überlebenden". Für mich der beste Post-Holocaust-Roman überhaupt. Nie wurde derart eindringlich das Zerbrechen der Zivilisation nach einem nuklearen Krieg beschrieben.

In den erweiterten Kreis ihrer SF-Erzeugnisse fällt wohl auch noch "Anweisung für einen Abstieg zur Hölle". Sie selbst ordnet den Roman als "Inner Space Fiction" ein. Vordergründig das Psychogramm eines zeitweise abgedrehten Wissenschaftlers, der mit ursprünglichen Gewalten in Kontakt kommt. Geradezu satirisch war die Gesundung am Ende des Romans, die aus ihm wieder den alten, angepassten Langeweiler macht.

Wer von Euch kennt die SF-Werke von Doris Lessing?
Wie findet Ihr sie?
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Re: Doris Lessing als SF-Schriftstellerin

Ungelesener Beitrag von Bungle »

Shock Wave Rider hat geschrieben: Wer von Euch kennt die SF-Werke von Doris Lessing?
Wie findet Ihr sie?
Ich habe "Memoiren einer Überlebenden vor so langer Zeit gelesen, dass ich nicht mehr viel in Erinnerung geblieben ist. Ich fand es damals sehr "literarisch", habe das Buch aber nicht zur Seite gelegt, weil ich es interessant und anders als die übliche SF die ich damals gelesen habe, fand.
Aus der Bibliothek habe ich mir aber ihren neuesten SF-Roman ausgeliehen, "Mara und Dunn", denn will ich in nächster Zeit lesen.
MB
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Kringel
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Ungelesener Beitrag von Kringel »

Shikasta wollte ich schon immer mal lesen, habe das Buch aber nie im Laden gesehen und so ist es wohl in den unendlichen Weiten meines Brägens durchs Sieb gefallen...
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Stefan

Ungelesener Beitrag von Stefan »

So unerschiedlich können die Wahrnehmungen sein. Ich habe "Shikasta" gelesen, fand den Roman fürchterlich und habe daraufhin von weiterer SF aus ihrer Feder abgesehen.
Ich fand die Pseudomaskierung der Erde und der Menschen mittels anderer Bezeichnungen unsäglich platt, ebenso die universelle Heilsbotschaft. Dieser gemäß besteht der natürliche Lauf der Dinge immer aus Friedefreudeeierkuchen, nur hier bei uns ist dummerweise ein entsetzlicher Unfall passiert. So impliziert Lessing nebenbei noch, dass wir gar nichts können für die Dinge, die bei uns so falsch laufen, spricht uns mithin also von der Verantwortung für unser Handeln los.
Oder, um es in zwei Worten zusammenzufassen: religiöse Hippiekacke.
Und jetzt noch völlig unbegründet-geschmäcklerisch: Das ganze las sich elend langweilig und verschnarcht, noch dazu ohne einen Funken Humor. Gerade letzterer hätte notgetan als Signal, dass wir den Roman als Gedankenspiel zu betrachten haben. So aber ist er mit bitterstem Ernst vorgetragen, was den Verdacht aufkommen läßt, dass sie das alles auch noch für plausibel hält.
Aufgrund nur eines einzigen Romans ist der Schluss gewagt, aber: "Altkommunistin"? Nö. "Shikasta" jedenfalls ist durch und durch religiös und somit ein genaues Gegenteil von kommunistisch.
Die Kurzbeschreibungen der folgenden Bände des Zyklus lassen immerhin den Verdacht aufkommen, dass Lessing später von der Idee der Singularität des Unfalls auf der Erde abgerückt sein und auch andere Winkel des Universums als nicht perfekt beschrieben haben könnte. Vor diesem Hintergrund wäre es interessant zu wissen, ob der Erzähler aus "Shikasta" noch einmal irgendwo eine Rolle gespielt hat und ob dort etwa klar wurde, dass man ihn nicht als zuverlässigen Berichterstatter zu betrachten hat. Vielleicht ist das sogar im Roman selbst schon angelegt? Weiß das jemand? Ich habe das Buch wieder verkauft und kann daher nicht mehr nachsehen...
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Shock Wave Rider
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Ungelesener Beitrag von Shock Wave Rider »

Hi Stefan,
danke für Deinen Beitrag!
Genau diese Gedanken kamen mir nach der Lektüre von Shikasta. Und ich meine auch, dass Doris das ernst gemeint hat. Ich habe mich beim Lesen einfach von ihrer Sprache mitreißen lassen.
Die Folgebände relativieren das in der Tat. Aber bei Shikasta hat sie noch voll in dem Strudel gesteckt.

Altkommunistin - damit wollte ich nicht die Canopus-Pentalogie klassifizieren, sondern ein biographisches Detail von Frau Lessing kund tun. In ihren rhodesischen Zeiten war sie eine Linke. Das hat sich später aber weitgehend gegeben.

Gruß
Ralf
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Ungelesener Beitrag von Horselover Fat »

Ich lese gerade "Mara und Dann" von Doris Lessing. In einer fernen Zukunft sind die nördlichen Kontinente von einer Eiszeit heimgesucht worden und Afrika erlebt eine Dürre. Lessing erzählt die Geschichte der 7jährigen Mara und ihrem 4jährigen Bruder Dann, die von ihren Eltern getrennt worden und sich jetzt in einer Odysse durch Afrika (im Buch "Ifrik" befinden.

Die Perspektive ist die von Mara. Da sie erst sieben ist, begreift sie viele gesellschaftliche Zusammenhänge nicht - logischerweise geht es dem Leser genauso. Erst nach und nach klären sich so das Umfeld und die sozialen Hintergrüdne von Maras Herkunft. Der Roman ist bisher (110 Seiten) sehr auf die Charaktere bezogen - und die sind wirklich vom feinsten ausgearbeitet und von einer Tiefe, die man in der SF meist vergeblich sucht. Ein feinfühliges Buch, kein Pageturner, aber auch nicht tempoarm geschrieben.

Parallel lese ich "Drop City" von Boyle, das von der Tiefe der Charakterisierungen her im Vergleich zu Doris Lessing doch leichenblass aussieht...
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