Sollte man das Lesen gegenwärtiger SF einstellen?
Verfasst: 1. Dezember 2023 15:28
Allgemein:
Vorab: Das ist KEINE generelle Leseunempfehlung (wie auch?) aber ich habe mit gegenwärtigen SF Romanen (so ab den 90ern) meine Schwierigkeiten. (Ich versuche mich zZ an einer Positivliste des 21. Jhdts, welche dann doch zu empfehlen sind.)
Also zurück zum Thema: Möglicherweise liegt es daran das ich ab Mitte der 80er als Teenager durch SF angefixt wurde und damals die Romane der 60er/70er/80er noch im Print bzw. leichter zu erhalten waren, da die deutsche Übersetzung oft hinterherhinkte (klar waren auch die im nächsten Abschnitt genannten "Altmeister" der Jahre davor dabei, aber die waren schnell blass geworden nach dem ersten PKD Roman). Diese drei Jahrzehnte entsprachen ziemlich der turbulentesten Entwicklungspahse der SF: in den 60ern die New wave (inner space der Psyche), in deren Übergang zum Realismus der 70er und seinen politisch-ökologischen Themen, zum Zeitgeist des "No future" and Cyberpunk der 80er.
Was die Romane dieser Jahrzehnte auszeichnete war der Anspruch etwas Neues (ein NOVUM) ,einen konzeptionellen Durchbruch zu präsentieren, einen Paradigmenwechsel zu der bis dahin dominanten technikgläubigen SF der 30er/40er (Campbell-Ära), des Golden Age der 50er ("Altmeister" wie van Vogt, Asimoc, Clarke, Heinlein etc.) einzuleiten - dabei zeigten Ausnahmen wie Alfred Bester schon das Kommende. Plakativ attackiert wurden ibd. deren Space Operas (zb. Asimovs Foundation , Heinlein's Future History), die witzigerweise in den 80ern / 90ern wiederentdeckt wurden (an erster Stelle Ian M. Banks Culture-Universum) und damit nichts neues sondern eher eine rückwärts gerichtete Entwicklung darstellen.
Dieses NOVUM konnte am Anfang, mittendrin , auf der letzten Seite oder sogar im letzten Satz des Romans auftauchnen - um konventionelle Erwartungen auf den Kopf zu stellen: Die NOVELLE (!) umfasste typischerweise einen (1) Roman und nebenbei lag die Regelseitenzahl deutlich unter den heutigen Seitenzahlen (mit Ausnahmen wie Brunner's "Morgenwelt") , was die Story fokussierte und den beabsichtigten literarischen Punch erzeugte - und gut wars. Diese moderne Sicht der SF entsprach generell eine rasende Entwicklung des künstlerischern Ausdrucks und gesellschaftlichen Aufbruchs dieser Zeit. Viele experimentelle Erzähltechniken wurden dabei aus der sogenannten Mainstream Literatur übernommen.
Diese Entwicklung hat sich in den 90ern verlangsamt - bis zum gefühlten Stillstand heute: Wir leben so ab jenem Jahrzehnt in der POSTMODERNEN Ära.
Heute gibt es unbestritten GUTE Handwerksarbeit aber WENIG künstlerischen Anspruch - auch wenn man erstmal guter Handwerker sein muss um Künstler zu werden.
Die Kritik an heutiger SF Hinsicht umfasst drei Punkte - und geht an Verlage wie Leser gleichermassen:
1. findet man heute kaum noch etwas unter einer Trilogie. Verlage pressen Autor*innen in die Form einer Serie. Die Gefahr: Diese "verbrennt" Autor*in eines ggf sehr guten Erstlingswerk wenn der 2. Band verkaufsmässig nicht zündet und der 3. dann gar nicht mehr in Print kommt. Experimente sind so schwierig bis unmöglich.
2. Das Budget von Verlagen geht heute grösstenteils in Fantasy-Massenware , die in unzählige Subgenres unterteilt „Neues“ simuliert (in ähnlicherweise passiert das in der SF, aber auf kleinerem Marktanteil). Für junge , innovative SF Autor*innen bleibt so weniger vom Budgetkuchen übrig und das Genre belegt im Vergleich zur ausgedehnten magischen Abteilung in den Buchläden oft nur ein Regal. Interessant ist die heutige Möglichkeit des Selbstverlags: allerdings ist deren Marketingbudget begrenzt / nicht existent -hat man keinen etablierten Namen als Autor*in.
3. erwartet Leser*in heutzutage "Mehr vom Gleichen": So wird eine gute Idee eben über eine Serie gestreckt die aber die gesamte Storyline nicht halten kann und vor allem die GEDULD strapaziert wenn man über Jahre dranbleiben muss. Naja, der Grund ist offensichtlich aus Sicht des verkaufenden Verlags.
Fazit:
Man fragt sich wirklich wann man in den letzten Jahren einen SF Roman mit wirklichem Wow! Effekt gelesen hat. Mir fällt da erstmal Adam Roberts mit „The thing itself“ , Greg Egan ("Diaspora" , dt. "Diaspora") oder Ted Chiang's Kurzgeschichten ("Stories of Your Life and Others", dt. "Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes" ,"Das wahre Wesen der Dinge" ), Neal Stephenson ("Anathema"), Kim Stanley Robinson ("The years of rice and salt") ein. Deshalb lese ich wieder manche Autoren VOR den 90ern , die mit Konventionen brachen und eine neue Sicht aufzeigten: U.a. Philip K. Dick, Robert Silverberg, J.G. Ballard, John Brunner, Michael Moorcock, Roger Zelazny, Bob Shaw, William Gibson.
Auf eine nächste Revolution in der SF wartet man aber immer noch.
Vorab: Das ist KEINE generelle Leseunempfehlung (wie auch?) aber ich habe mit gegenwärtigen SF Romanen (so ab den 90ern) meine Schwierigkeiten. (Ich versuche mich zZ an einer Positivliste des 21. Jhdts, welche dann doch zu empfehlen sind.)
Also zurück zum Thema: Möglicherweise liegt es daran das ich ab Mitte der 80er als Teenager durch SF angefixt wurde und damals die Romane der 60er/70er/80er noch im Print bzw. leichter zu erhalten waren, da die deutsche Übersetzung oft hinterherhinkte (klar waren auch die im nächsten Abschnitt genannten "Altmeister" der Jahre davor dabei, aber die waren schnell blass geworden nach dem ersten PKD Roman). Diese drei Jahrzehnte entsprachen ziemlich der turbulentesten Entwicklungspahse der SF: in den 60ern die New wave (inner space der Psyche), in deren Übergang zum Realismus der 70er und seinen politisch-ökologischen Themen, zum Zeitgeist des "No future" and Cyberpunk der 80er.
Was die Romane dieser Jahrzehnte auszeichnete war der Anspruch etwas Neues (ein NOVUM) ,einen konzeptionellen Durchbruch zu präsentieren, einen Paradigmenwechsel zu der bis dahin dominanten technikgläubigen SF der 30er/40er (Campbell-Ära), des Golden Age der 50er ("Altmeister" wie van Vogt, Asimoc, Clarke, Heinlein etc.) einzuleiten - dabei zeigten Ausnahmen wie Alfred Bester schon das Kommende. Plakativ attackiert wurden ibd. deren Space Operas (zb. Asimovs Foundation , Heinlein's Future History), die witzigerweise in den 80ern / 90ern wiederentdeckt wurden (an erster Stelle Ian M. Banks Culture-Universum) und damit nichts neues sondern eher eine rückwärts gerichtete Entwicklung darstellen.
Dieses NOVUM konnte am Anfang, mittendrin , auf der letzten Seite oder sogar im letzten Satz des Romans auftauchnen - um konventionelle Erwartungen auf den Kopf zu stellen: Die NOVELLE (!) umfasste typischerweise einen (1) Roman und nebenbei lag die Regelseitenzahl deutlich unter den heutigen Seitenzahlen (mit Ausnahmen wie Brunner's "Morgenwelt") , was die Story fokussierte und den beabsichtigten literarischen Punch erzeugte - und gut wars. Diese moderne Sicht der SF entsprach generell eine rasende Entwicklung des künstlerischern Ausdrucks und gesellschaftlichen Aufbruchs dieser Zeit. Viele experimentelle Erzähltechniken wurden dabei aus der sogenannten Mainstream Literatur übernommen.
Diese Entwicklung hat sich in den 90ern verlangsamt - bis zum gefühlten Stillstand heute: Wir leben so ab jenem Jahrzehnt in der POSTMODERNEN Ära.
Heute gibt es unbestritten GUTE Handwerksarbeit aber WENIG künstlerischen Anspruch - auch wenn man erstmal guter Handwerker sein muss um Künstler zu werden.
Die Kritik an heutiger SF Hinsicht umfasst drei Punkte - und geht an Verlage wie Leser gleichermassen:
1. findet man heute kaum noch etwas unter einer Trilogie. Verlage pressen Autor*innen in die Form einer Serie. Die Gefahr: Diese "verbrennt" Autor*in eines ggf sehr guten Erstlingswerk wenn der 2. Band verkaufsmässig nicht zündet und der 3. dann gar nicht mehr in Print kommt. Experimente sind so schwierig bis unmöglich.
2. Das Budget von Verlagen geht heute grösstenteils in Fantasy-Massenware , die in unzählige Subgenres unterteilt „Neues“ simuliert (in ähnlicherweise passiert das in der SF, aber auf kleinerem Marktanteil). Für junge , innovative SF Autor*innen bleibt so weniger vom Budgetkuchen übrig und das Genre belegt im Vergleich zur ausgedehnten magischen Abteilung in den Buchläden oft nur ein Regal. Interessant ist die heutige Möglichkeit des Selbstverlags: allerdings ist deren Marketingbudget begrenzt / nicht existent -hat man keinen etablierten Namen als Autor*in.
3. erwartet Leser*in heutzutage "Mehr vom Gleichen": So wird eine gute Idee eben über eine Serie gestreckt die aber die gesamte Storyline nicht halten kann und vor allem die GEDULD strapaziert wenn man über Jahre dranbleiben muss. Naja, der Grund ist offensichtlich aus Sicht des verkaufenden Verlags.
Fazit:
Man fragt sich wirklich wann man in den letzten Jahren einen SF Roman mit wirklichem Wow! Effekt gelesen hat. Mir fällt da erstmal Adam Roberts mit „The thing itself“ , Greg Egan ("Diaspora" , dt. "Diaspora") oder Ted Chiang's Kurzgeschichten ("Stories of Your Life and Others", dt. "Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes" ,"Das wahre Wesen der Dinge" ), Neal Stephenson ("Anathema"), Kim Stanley Robinson ("The years of rice and salt") ein. Deshalb lese ich wieder manche Autoren VOR den 90ern , die mit Konventionen brachen und eine neue Sicht aufzeigten: U.a. Philip K. Dick, Robert Silverberg, J.G. Ballard, John Brunner, Michael Moorcock, Roger Zelazny, Bob Shaw, William Gibson.
Auf eine nächste Revolution in der SF wartet man aber immer noch.