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Das Potsdamer Manifest
Verfasst: 17. November 2005 22:08
von Andreas Simon
Gestern hatte ich auf Ö1 die Gelegenheit, einen Beitrag über das
Potsdamer Manifest zu hören, das in einer (ernsthafter SF-Fans würdigen) visionär zukunftsgerichteten Art und Weise zu einem gedanklich-konzeptionellen Umdenken auffordert. Grundlage dieser Forderung ist nicht das Umweltbewußtsein oder Humanistik, sondern die
Quantenphysik.
Das materialistisch-deterministische Weltbild der klassischen Physik wurde mit seinen starren Vorstellungen und reduktiven Denkweisen zur vorgeblich wissenschaftlich legitimierten Ideologie für große Bereiche des wissenschaftlichen und politisch-strategischen Denkens. Die fortschreitende Gleichschaltung aller Wert- und Wohlstandsvorstellungen, Konsumgewohnheiten und Wirtschaftsstrategien nach dem Muster einer westlich-nordamerikanisch-europäischen Wissensgesellschaft wird weiterhin noch über ein Denken legitimiert, welches auf Grundlage gesicherter wissenschaftlicher Fundamente für eine rationale ‚Objektivierbarkeit’ der Wirklichkeit argumentiert.
(...)
Wenn wir die eskalierenden Probleme betrachten, welche heute die Menschheit belasten, so sind sie im überwiegenden Maße eine Folge extremer Machtballungen und wirtschaftlicher Ungleichheit, dirigiert und forciert von einem lebensfeindlichen finanziellen Netzwerk, das, anstatt das Beziehungsgefüge zwischen den Menschen zu Gunsten der Menschen zu stärken, zum ‚unersättlichen’ Selbstzweck verkommen ist. Die Entkoppelung des unbegrenzten monetären Kapitalwachstums von der räumlich und stofflich begrenzten Erde treibt diesen Mechanismus mit voran. Die internationale Geldmenge kann und muss dringend stabilisiert und dynamisch in Lebensqualität stärkende und globale Versorgung fördernde Wirtschaftsaktivitäten gelenkt werden. Die Beachtung der vielfältigen Toleranzgrenzen bei der dynamischen Stabilisierung der Geobiosphäre, der Belastbarkeit der natürlichen Lebensgrundlagen und ihrer Regenerationszyklen bildet die Voraussetzung unseres Überlebens und des Friedens zwischen den Menschen. Dem muss ökonomisch die Schaffung von geschlossenen Produktions- und Stoffkreisläufen, ein nachhaltiger Energieumsatz sowie die Internalisierung ökologischer Externalisierungen und eine Minimierung ökologischer Risiken entsprechen.
Die Liste der Unterzeichner ist beeindruckend für eine doch sehr generelle Themen berührende Aussage; trotzdem und gerade deswegen wird sie unter Feuer genommen. Da die Eigenschaft des Diskutierens und wechselseitigen Unter-Feuer-Nehmens in diesem würdigen Forum auch nicht gerade unterentwickelt ist [brazzel], hier zwei Diskussionslinks:
- das
Manifest selbst
- eine kontroverse
Kritik unter dem Titel "Quantenquark"
Ich halte das Thema für hochinteressant und brisant genug, um ernsthaft und jenseits von schnell gefassten (Vor-)Urteilen darüber zu diskutieren. Sowohl das Manifest wie seine Kritik haben Schwachstellen. Welche?
Verfasst: 22. November 2005 13:47
von Terrania
Ich geh jetzt nur von dem Zitat aus: Das ist in der Tat gequirlte Intellektuellen-Kacke. Wer EINFACHE Foderungen so verklausuliert, dem ist nicht mehr zu helfen, und ich wage es zu bezweifeln, daß solche Leute überhaupt in der Lage sind ZU HELFEN, ohne erst mal IG-Metall mäßig stundenlang "Blech" abzusondern. Ich persönlich habe die Schnauze gestrichen voll von derartigen "Manifesten" die allesamt nur einen Alibi- und "Ich bin aber besser"-Funktion für die Unterzeichndenden haben. Anpacken und darüber reden sind halt immer noch zwei paar Stiefel.
In diesem Zusammenhang empfehle ich die derzeitige BRAND EINS mit dem Schwerpunkt HILFE. Da sind Statements und Aktionen drin, die mir persönlich näher sind ...
Edit: Ach ja: Es krankt nicht an den Konzepten - es krankt allein an der Umsetzung. Wenn man das Manifest überfliegt (und die unsäglichen Heideggerschen Formulierungen über sich ergehen lässt) kann man nur sagen, daß da eine Menge kopfgesteuerter Intellektueller versuchen, die Rätsel der Welt noch abgeobener zu verpacken. Mein Fazit: Völlig unbrauchbar.
Verfasst: 24. November 2005 11:44
von Andreas Simon
Ich hielte es für spannender, sich nicht nur über Feindbilder zu unterhalten und entsprechend abzuklassifizieren ("heideggersche Formulierungen", "Intellektuellen-Kacke"), sondern das Thema an sich - gerne kontrovers - zu diskutieren (dazu gehört allerdings etwas Zeit zum Durchlesen).
Meines Erachtens gibt es nämlich
zuwenig Visionäre, die von der Materie tatsächlich etwas verstehen (was das Mindeste ist, was man den Verfassern und Unterzeichnern unterstellen sollte). Man kann gerne darüber streiten, ob es nicht besser ist, die Menschheit laufen zu lassen; genetisch darauf vorprogrammiert, wie ein Virus alle Ressourcen zu verbrauchen und dann zu verenden. Aber wenn sich jemand über die größeren Zusammenhänge Gedanken macht und ein Ziel entwirft (auch wenn der Weg dahin noch genauer beschrieben sein sollte - kommt vielleicht noch?), ist das immer und unter allen Umständen besser als ein Pragmatismus, der sich bestenfalls in Symptomlösungen erschöpft.
Now flame me instead. Grrr.

Verfasst: 24. November 2005 12:00
von Knochenmann
1) Leute mit Visisonen - wovon auch immer - sind mir nicht geheuer.
2) Leute mit Kenntnis der Materie haben üblicherweise keine Visionen mehr.
3) Visionen allein qualifizieren für gar nichts (Obwohl man sie sich als eins von drei nötigen Wundern für eine Heiligsprechung anrechnen lassen kann)
4) Jeses Schriftstück, dessen Aufforderung "etwas zu tuen" aussschließlich auf der Aspekt Ebene funktioniert wird von mir aus Prinzip nicht beachtet.
Verfasst: 24. November 2005 12:27
von Terrania
Andreas: Ich gebe Dir grundsätzlich Recht. Aber über dieses "Manifest" KANN man leider nicht diskutieren. Man bräuchte erst mal einen Übersetzer, der das Ganze so formuliert, dass es für einen normal-gebildeten Menschen verständlich ist.
Leider liest sich das Ganze, wenns übersetzt ist, nicht mehr so "visionär". Und wie gesagt: "Visionen" gibts genügend. Allein "Aktionen" zu wenige.
Im Übrigen ist gegen "Pragmatismus" nichts einzuwenden, denn mir persönlich ist punktuell sinnvolle Hilfe lieber, als der globale "Hilfsschlag mit Gehrinwäsche" der nie aus den Pötten kommt.
Und da muß ich sagen, haben die "Intellektuellen" Unterzeichner des Manifests eines nicht bedacht: Sie mögen wissenschaftlich ein gewisser Massstab sein - der zählt bei "gesundem Menschenverstand" allerdings nicht die Bohne.
Ich verweise nochmals auf BRAND EINS. Das sind Dinge, die man realisieren kann, und zum Teil schon realisiert hat, die einleuchten.
Verfasst: 24. November 2005 12:38
von Shock Wave Rider
Knochenmann hat geschrieben:1) Leute mit Visisonen - wovon auch immer - sind mir nicht geheuer.
Du hast Vorbehalte gegen SF-Schriftsteller?
Knochenmann hat geschrieben:3) Visionen allein qualifizieren für gar nichts
Doch - zum Autor!
Knochenmann hat geschrieben:4) Jedes Schriftstück, dessen Aufforderung "etwas zu tun" aussschließlich auf der Aspekt-Ebene funktioniert, wird von mir aus Prinzip nicht beachtet.
Ist das jetzt ein Zitat aus dem Manifest?
Falls nein - kannst Du mir bitte den Inhalt erklären?
Ich habe nämlich (auch nach kleineren Korrekturen) überhaupt nicht verstanden, was Du damit sagen willst.
Gruß
Ralf
Verfasst: 24. November 2005 12:43
von Shock Wave Rider
Terrania hat geschrieben:[...] Das ist [...] gequirlte Intellektuellen-Kacke. Wer EINFACHE Foderungen so verklausuliert, dem ist nicht mehr zu helfen, [...]
Wenn man das Manifest überfliegt (und die unsäglichen Heideggerschen Formulierungen über sich ergehen lässt) kann man nur sagen, daß da eine Menge kopfgesteuerter Intellektueller versuchen, die Rätsel der Welt noch abgeobener zu verpacken. Mein Fazit: Völlig unbrauchbar.

Volle Zustimmung!
Vielleicht haben die Verfasser einige Formulierungen
mit diesem Werkzeug erstellt.
Allerdings: Heidegger war besser. Den versteht man noch nicht mal auf deutsch.
Gruß
Ralf
Verfasst: 24. November 2005 13:00
von Knochenmann
Shock Wave Rider hat geschrieben:
Ist das jetzt ein Zitat aus dem Manifest?
Falls nein - kannst Du mir bitte den Inhalt erklären?
Ich habe nämlich (auch nach kleineren Korrekturen) überhaupt nicht verstanden, was Du damit sagen willst.
Das ist der feine Untschied zwischem den Satz: "Kannst du bitte die Türe zumachen?" und "Die Tür ist offen.". Der Appel - "Mach die %$/& Tür zu!" ist bei beidem der gleiche.
Blos: ersterer ist ein persönlicher (du) und höflicher Appel (bitte), zweiteres nicht.
Besser als beide obrigen Sätze ist aber der hier "
Ich mache jetzt die Tür zu".
Noch besser allerdings ist: Die Tür zu zumachen
ohne irgendwas zu sagen.
Verfasst: 24. November 2005 13:12
von Shock Wave Rider
Knochenmann hat geschrieben:Das ist der feine Untschied zwischem den Satz: "Kannst du bitte die Türe zumachen?" und "Die Tür ist offen.". Der Appel - "Mach die %$/& Tür zu!" ist bei beidem der gleiche.
Blos: ersterer ist ein persönlicher (du) und höflicher Appel (bitte), zweiteres nicht.
Besser als beide obrigen Sätze ist aber der hier "Ich mache jetzt die Tür zu".
Noch besser allerdings ist: Die Tür zu zumachen ohne irgendwas zu sagen.
Aha!
Das habe ich jetzt halbwegs verstanden.
Nur: Was hat das mit Aussage 4 aus Deinem vorigen Posting zu tun?
Und wann wird mir die Aspekte-Ebene endlich etwas näher kommen?
Gruß
Ralf
Verfasst: 24. November 2005 13:13
von Terrania
Verfasst: 24. November 2005 13:38
von Shock Wave Rider
Terrania hat geschrieben:Die audio-Version ist noch besser!
Allerdings!
Der Applaus am Ende ist nur noch peinlich.
Gruß
Ralf
Verfasst: 27. November 2005 08:43
von Andreas Simon
Shock Wave Rider hat geschrieben:Terrania hat geschrieben:Wenn man das Manifest überfliegt (und die unsäglichen Heideggerschen Formulierungen über sich ergehen lässt) kann man nur sagen, daß da eine Menge kopfgesteuerter Intellektueller versuchen, die Rätsel der Welt noch abgeobener zu verpacken. Mein Fazit: Völlig unbrauchbar.

Volle Zustimmung!

OK, was ist denn Eurer Meinung nach am Grundgedanken falsch?
Ich versuche trotzdem immer noch, so etwas wie eine Inhaltsdiskussion anzufangen...
Shock Wave Rider hat geschrieben:Vielleicht haben die Verfasser einige Formulierungen
mit diesem Werkzeug erstellt.
Nein, der steht unter exklusiver Nutzungslizenz der grossen Volksparteien (und der Medienfondsverkäufer).
Verfasst: 27. November 2005 11:30
von Tiberius
Also für mich hört sich das alles ein bischen zu esoterisch an. Liegt aber wahrscheinlich daran, dass ich nicht alles verstanden habe. Ich frage mich auch, ob man bloss durch ein neues Weltbild die Probleme dieser Welt geregelt bekommt. Was nützt es dem Menschen, wenn er über quantenmech. Phänomene Bescheid weiß, aber seine "menschlichen" Probleme nicht in den Griff kriegt. Gegen Habgier, Hass, Rassismus etc. hilft imho auch kein quantenphysikalisches Weltbild.
Ich muss aber trotzdem Kritik an der Kritik "Quantenquark" üben. Dort wird behauptet, dass das P. Manifest zu einem Weltbild führt, dass alles vorherbestimmt erscheinen lässt. Auch die Entstehung des Menschen.
Nur behauptet doch das Manifest, wenn ich das richtig verstanden habe, genau das Gegenteil. Es gibt eben keine Vorherbestimmung, sondern quantenmechanische Potenziale, also lediglich Möglichkeiten. Wie man den Verfassern des Manifests daraus den Vorwurf machen kann einen "neuen Biologismus" oder gar "völkische Esoterik" zu propagieren, bleibt mir schleierhaft.
Verfasst: 27. November 2005 18:31
von Terrania
Am Kommentar von Tiberius ist gut ersichtlich, dass das "Manifest" zumindest eines schafft: Komplette Unklarheit. Ich glaube nicht, daß es wichtig ist über quantenmechanische Dingsbumse zu diskutieren - oder ist irgendeiner anderer Meinung?
Nennen wirs beim Namen: Der Mensch ist wie er ist - bequem, eigennützig und dumm. Das ändern zu können, über intellektuelle Abhandlungen, wage ich zu bezweifeln.
Mit dem "Manifest" wird auch noch Obendrein die "Dummheit" dem Ottonormalverbraucher (zu denen zähle ich mich) um die Ohren gehauen, indem man ihn mit rhetorischen "Nebelkerzen" vorführt. Nur - wofür?
Eine neue Weltanschauung kann man nicht aufzwingen. Die muß sich einfach entwickeln. Tut sie es nicht ---> vergleiche Darwin.
Verfasst: 27. November 2005 23:25
von Andreas Simon
Terrania hat geschrieben:Ich glaube nicht, daß es wichtig ist über quantenmechanische Dingsbumse zu diskutieren - oder ist irgendeiner anderer Meinung?
Natürlich. Genausowenig wie es wichtig ist, über
das Ende der Arbeit, die
genmanipulierte Welt oder über den
Sinn des Director's Cut zu diskutieren. Warum tut man es hier trotzdem? All das hat mit der
Sicht auf die Zukunft zu tun - eines der wenigen allgemeinverbindenden Elemente, die man ungestraft bei allen Forumsteilnehmern voraussetzen sollte.
@Terrania: es zwingt Dich ja keiner. Vielleicht irre ich mich ja, und der Text ist so "far out", dass er niemanden hier fasziniert. Dann hätte ich mich getäuscht.