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Erwartungen an einen SF Roman
Verfasst: 23. Januar 2010 18:43
von Mammut
Heute habe ich auf dem Wühltisch einen SF Roman von Adam Roberts entdeckt und überlegte, ob ich ihn kaufe. Der Klappentext sollte weiterhelfen. Eine Reise in ein entferntes Sonnensystem, der Planet besteht hautpsächlich aus Salz. Bis dahin hört es sich weder besonders schlecht noch besonders gut an.
Der zweite Zusatz: Aber neben den lebensfeindlichen Bedingungen exportieren die Siedler die Probleme der Erde.
Aha, dachte ich. Ein Gleichnis. Die Probleme der heutigen Welt auf eine neue Welt projeziert. Genau das interessiert mich ehrlich nicht. Genau das ist halt nicht phantastisch, sondern ist eigentlich ein Thema nichtphantastischer Romane, so zumindest meine generelle Einstellung.
Da solche Romane aber doch recht häufig sind stelle ich mal hier eine allgemeine Frage:
Welche Erwartungen habt ihr an einen SF Roman? Was macht für euch im speziellen ein guter SF Roman aus? Man könnte auch fragen, warum lest ihr gerade SF und was gefällt euch daran besonders? Oder erwartet ihr einfach nur einen guten Roman, der sich mit SF Themen beschäftigt, der aber auch oder hauptsächlich Themen eines "normalen" Roman aufgreift.
Re: Erwartungen an einen SF Roman
Verfasst: 23. Januar 2010 19:42
von Helge
Puuuh - als Antwort auf diese Frage könnte man selbst einen ganzen Roman schreiben. Also, ich versuchs mal in Kürze:
Ich sehe es ähnlich wie Du - Handlungen, die in der Gegenwart oder Vergangenheit genauso funktionieren und die SF nur als Kulisse benutzen, sind keine richtige SF. Nun gibt es da aber keine scharfe Grenze, sondern einen weiten Übergangsbereich: Oft geht es um die Wechselwirkung zwischen solchen alten Handlungsschemen und neuen Technologien oder fantastischen Umgebungen, die die Sache dann doch wieder anders verlaufen lassen. So etwas kann dann doch wieder sehr gut sein - siehe "Avatar".
Was ich vor allem liebe, sind die großen Fantasien - Handlungen, die in fernen Galaxien oder ganz außerhalb des Universums stattfinden oder sich über Jahrtausende erstrecken, neue Ideen, abgefahrenes Zeug. Es sollte etwas sein, was ich noch nicht kenne (oder zumindest nicht in dieser Art oder was ich wenigstens noch nicht zu oft gelesen habe).
Und abgeschlossen sollte ein Buch sein (oder wenigstens nicht mehr als eine Trilogie) - aus dem eben genannten Grund.
Re: Erwartungen an einen SF Roman
Verfasst: 23. Januar 2010 20:48
von bukaman
Ein Roman sollte mich für eine Weile aus der Realität entführen, auch wenn in diesem Roman Spiegelbilder unserer Realität auftauchen. Raumschiffe, ferne Sonnensysteme und Galaxien, abgefahrene Außerirdische - je mehr, desto mehr fängt es mich ein. Realismus muß nicht immer und unbedingt drin sein, kann aber andererseits nicht schaden. Wenn ich aber ein Physikbuch zur Hand nehmen muß, verlässt mich der Spaß.
Michael Schmidt hat geschrieben:Heute habe ich auf dem Wühltisch einen SF Roman von Adam Roberts entdeckt und überlegte, ob ich ihn kaufe.
Das Buch kann ich nur empfehlen, gerade das Gleichnis ist interessant, weil man (ich zumindest) sich nicht wirklich für eine der beiden "gegnerischen" Seiten entscheiden kann oder mag. Letzten Endes sind beide dargestellten Gruppen nicht das gelbe vom Ei.
Re: Erwartungen an einen SF Roman
Verfasst: 23. Januar 2010 20:53
von Ulrich
Michael Schmidt hat geschrieben:Heute habe ich auf dem Wühltisch einen SF Roman von Adam Roberts entdeckt und überlegte, ob ich ihn kaufe. Der Klappentext sollte weiterhelfen. Eine Reise in ein entferntes Sonnensystem, der Planet besteht hautpsächlich aus Salz.
Ich fand den Roman nicht überzeugend.
Re: Erwartungen an einen SF Roman
Verfasst: 23. Januar 2010 22:31
von saz
Meine Haupterwartung von "guter" SF ist eigentlich nur, dass es keine Geschichte à la "xyz bedroht die Erde [oder irgendeinen anderen Planeten] und abc will alles retten" - sowas ist für mich einfach keine richtige Science Fiction. Ähnlich sinnlos finde ich es (nur) Weltraumschlachten zu beschreiben.
Wie Helge schon schrieb: Für mich ist es eben wichtig, dass es in dem Roman eine wirklich neue Idee gibt. Nicht nur irgendwelches abgekupfertes Zeug oder Storys, die schon 10 Mal in der Art geschrieben wurden. Insofern gefallen mir meistens SF-Romane gut, die in einer (komplexen) eigenen Welt spielen, sofern sich der Autor bei der Erschaffung dieser komplexen Welt wirklich Gedanken gemacht hat.
Re: Erwartungen an einen SF Roman
Verfasst: 23. Januar 2010 23:06
von heino
Gerade solche "Gleichnisse" sind aber von jeher fester Bestandteil der SF. Wenn wir z.B. die Romane von Wells nehmen, verlagert "Die Zeitmaschine" die Probleme der damaligen englischen Zweiklassengesellschaft in die Zukunft, die Eroberung des afrikanischen Kontinentes und Indiens durch die englischen Invasoren findet ihre Spiegelung in den Marsianern aus "Krieg der Welten" usw. Weitere Beispiele für solche Romane sind "Fahrenheit 451" oder "1984". Ich mag solche SF-Romane, da sie etwas über die wirkliche Welt zu sagen haben, und angesichts des Erfolges dieser Bücher bin ich da wohl auch nicht alleine.
Was mir gar nichts gibt, sind diese standardisierten Space Operas, in denen immer wieder gegen ausserirdische Invasoren oder unverständliche Pläne intellektuell überlegener Aliens angegangen werden muss, die z.Zt. das Gros der SF-Literatur zu bilden scheinen. Diese Romane sind im Prinzip alle gleich und für mich das SF-Pendant zur in der Fantasy betriebenen Weltflucht.
Re: Erwartungen an einen SF Roman
Verfasst: 24. Januar 2010 10:54
von Mammut
heino hat geschrieben:Gerade solche "Gleichnisse" sind aber von jeher fester Bestandteil der SF. Wenn wir z.B. die Romane von Wells nehmen, verlagert "Die Zeitmaschine" die Probleme der damaligen englischen Zweiklassengesellschaft in die Zukunft, die Eroberung des afrikanischen Kontinentes und Indiens durch die englischen Invasoren findet ihre Spiegelung in den Marsianern aus "Krieg der Welten" usw. Weitere Beispiele für solche Romane sind "Fahrenheit 451" oder "1984". Ich mag solche SF-Romane, da sie etwas über die wirkliche Welt zu sagen haben, und angesichts des Erfolges dieser Bücher bin ich da wohl auch nicht alleine.
Hallo heino,
genau das sehe ich ein wenig anders. 1984 bietet kein Gleichnis. 1984 ist Spekulation. George Orwell nimmt eine Situation und entwickelt ein Szenario, was sich daraus entwickeln kann und welche Auswirkungen hat. Das ist für mich ein Unterschied zum reinen "Gleichnis", wie es mir nach den ersten 100 Seiten in "Julian Comstock" vorgekommen ist.
1984 bietet gerade die Vision oder Idee, die für mich SF ausmacht im Gegensatz zu einer reinen Analyse der jetzigen Gesellschaft, die man anhand eines Parallelwelt oder Zukunftsweltszenario anprangern will.
Bis bald,
Michael
Re: Erwartungen an einen SF Roman
Verfasst: 24. Januar 2010 12:17
von My.
Was Spannendes.
Was Aufregendes.
Und was mit Schokolade.
My.
Re: Erwartungen an einen SF Roman
Verfasst: 24. Januar 2010 12:56
von a3kHH
Helge hat geschrieben:Ich sehe es ähnlich wie Du - Handlungen, die in der Gegenwart oder Vergangenheit genauso funktionieren und die SF nur als Kulisse benutzen, sind keine richtige SF.
PKD fängt an, in seinem Grab zu rotieren.
Michael Schmidt hat geschrieben:Aha, dachte ich. Ein Gleichnis. Die Probleme der heutigen Welt auf eine neue Welt projeziert. Genau das interessiert mich ehrlich nicht. Genau das ist halt nicht phantastisch, sondern ist eigentlich ein Thema nichtphantastischer Romane, so zumindest meine generelle Einstellung.
Asimov, Huxley, Brunner und Anderson schließen sich an.
Michael Schmidt hat geschrieben:1984 bietet kein Gleichnis. 1984 ist Spekulation. George Orwell nimmt eine Situation und entwickelt ein Szenario, was sich daraus entwickeln kann und welche Auswirkungen hat. Das ist für mich ein Unterschied zum reinen "Gleichnis", wie es mir nach den ersten 100 Seiten in "Julian Comstock" vorgekommen ist.
1984 bietet gerade die Vision oder Idee, die für mich SF ausmacht im Gegensatz zu einer reinen Analyse der jetzigen Gesellschaft, die man anhand eines Parallelwelt oder Zukunftsweltszenario anprangern will.
Orwell überholt alle mit seiner Drehzahl.

Re: Erwartungen an einen SF Roman
Verfasst: 24. Januar 2010 13:18
von bukaman
Einen noch nie dagewesenen, kein Gleichnis zu unserer Weltgeschichte enthaltenden Roman kann wohl nur noch ein achtarmiges Tintenfischmonster aus Sonstwoher schreiben.
Re: Erwartungen an einen SF Roman
Verfasst: 24. Januar 2010 13:54
von Helge
heino hat geschrieben:Gerade solche "Gleichnisse" sind aber von jeher fester Bestandteil der SF. Wenn wir z.B. die Romane von Wells nehmen, verlagert "Die Zeitmaschine" die Probleme der damaligen englischen Zweiklassengesellschaft in die Zukunft, die Eroberung des afrikanischen Kontinentes und Indiens durch die englischen Invasoren findet ihre Spiegelung in den Marsianern aus "Krieg der Welten" usw.
Die Zeitmaschine als solche war eine neue Idee und auch Vorstellung der Rollenumkehr in der weitergedachten Klassengesellschaft war völlig neu und höchst originell. Und auch das Thema von Aliens, die als Eroberer zur Erde kommen, war als solches neu - Wells war der allererste Autor, der aus solchen Ideen einen Roman strickte. Das ist mir durchaus Originalität genug.
heino hat geschrieben:
Weitere Beispiele für solche Romane sind "Fahrenheit 451" oder "1984". Ich mag solche SF-Romane, da sie etwas über die wirkliche Welt zu sagen haben, und angesichts des Erfolges dieser Bücher bin ich da wohl auch nicht alleine.
Auch wenn es ein Sakrileg ist, so etwas zu äußern, aber ich konnte mich für "1984" nie besonders begeistern, und zwar genau wegen der Ideenarmut dieses Romans. Die Handlung besteht aus nichts anderem als der Extrapolation der damals weltweit populären faschistischen Ideen. Mag sein, dass "1984" ein wichtiger philosophischer Roman ist, aber gute SF ist er nicht.
heino hat geschrieben:
Was mir gar nichts gibt, sind diese standardisierten Space Operas, in denen immer wieder gegen ausserirdische Invasoren oder unverständliche Pläne intellektuell überlegener Aliens angegangen werden muss, die z.Zt. das Gros der SF-Literatur zu bilden scheinen. Diese Romane sind im Prinzip alle gleich und für mich das SF-Pendant zur in der Fantasy betriebenen Weltflucht.
Volle Zustimmung. Wobei für mich das Problem nicht die Weltflucht ist (ich finde durchaus, dass die in gute Fantastik aller Art zu einem gewissen Maß reingehört), sondern die Fantasielosigkeit.
Re: Erwartungen an einen SF Roman
Verfasst: 24. Januar 2010 15:13
von Torsten
Helge hat geschrieben:Mag sein, dass "1984" ein wichtiger philosophischer Roman ist, aber gute SF ist er nicht.

Dystopien gehören nicht zur SF?
Re: Erwartungen an einen SF Roman
Verfasst: 24. Januar 2010 15:26
von Pogopuschel
Ich bin erstaunt wie konservativ viele mit ihren Erwartungen an SF sind, bzw. wie dogmatisch, wenn es darum geht was nicht SF ist. Aber das bleibt ja jedem selbst überlassen.
Ich habe keine Liste mit Kriterien, die ich während des Lesens abhake, um dann am Ende sagen zu können: "Aha, gute SF".
Mindert es denn euer Leseerlebniss, wenn ihr festellt, dass es zwar ein guter Roman ist, aber keine SF?
Wer wissen will, was Orwell zu "1984" motivierte, sollte seinen Essay "Politics and the English Lanuage" lesen:
http://www.google.de/url?sa=t&source=we ... 9QaxDxVh-Q
Re: Erwartungen an einen SF Roman
Verfasst: 24. Januar 2010 15:31
von Helge
Torsten hat geschrieben:Helge hat geschrieben:Mag sein, dass "1984" ein wichtiger philosophischer Roman ist, aber gute SF ist er nicht.

Dystopien gehören nicht zur SF?
Wie kommst Du denn darauf? (Mit dem, was ich geschrieben habe, kann dieser Schluss jedenfalls nichts zu tun haben.) Auch von Dystopien erwarte ich Ideen; Positivbeispiele sind z.B. "Der Schlaf des Blutes" von Serge Brussolo, "Der Orchideenkäfig" von Herbert Franke oder "Ich bin Legende" von Richard Matheson (auch wenn die letzteren beiden aus heutiger Sicht altbacken aussehen - als sie geschrieben wurden, waren die Ideen neu und originell).
Re: Erwartungen an einen SF Roman
Verfasst: 24. Januar 2010 15:34
von Helge
Pogopuschel hat geschrieben: Mindert es denn euer Leseerlebniss, wenn ihr festellt, dass es zwar ein guter Roman ist, aber keine SF?
Wenn es eigentlich SF war, was ich lesen wollte, dann schon. Wenn ich Appetit auf Cremetorte habe und bekomme in der Konditorei stattdessen ein Wurstbrot, dann bin ich auch dann enttäuscht, wenn das Wurstbrot auf seine Art auch gut schmeckt.