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Russische Science Fiction
Verfasst: 26. April 2012 22:26
von agro
So, liebe Freunde der SF. Da mittlerweile in mehreren Beiträgen die Russische SF Erwähnung fand, denke ich, dass es Zeit wird, der osteuropäischen Phantastik ein wohlverdientes Forum zu bieten. Das dürfte besonders interessant für jene Leser sein, die sich bislang erfolgreich gegen Russische SF erwehrt haben. Über die Ursachen kann ich nur spekulieren - vielleicht ist es wirklich noch so ein "Ossi/Wessi-Ding", das da in einigen Köpfen umher schwirrt. Um diesen Leuten die Angst

zu nehmen, möchte ich alle bitten, ihre RSF-Lieblingsbücher hier zu posten. Ich hoffe auf rege Diskussionen, die letzten Endes dazu führen soll, dass dieses für viele SF-Begeisterte noch nicht erschlossene Neuland erobert wird.
Ich fange mit meinem Lieblingsroman an.
Iwan Jefremow "Das Mädchen aus dem All" (Andromeda-Nebel)
Im Alter von 13 oder 14 las ich ein Buch, das ich bis heute zu meinen absoluten Lieblingsromanen zähle. Der Titel des Buches: „Das Mädchen aus dem All“.
Der Roman beschreibt die schicksalhafte Begegnung eines Forschers mit einem Mädchen von einem fremden Planeten, in das er sich unsterblich verliebt hatte. Das Problem bestand allerdings darin, dass dieses rothäutige Alien-Mädchen durch Raum und Zeit von ihm getrennt war - und nur wenn er das GROSSE Experiment wagen würde, bestünde eine winzige Chance, ihr leibhaftig entgegenzutreten. Soviel zu den zugegebenermaßen egoistischen Beweggründen des Haupthelden, sich über Beschlüsse hinwegzusetzen, und das Experiment im Alleingang in Angriff zu nehmen, in dessen Folge es zu einem tragischen Unfall kommt.
Jefremow schildert in diesem Roman eine Gesellschaft, so wie er sie sich in vielleicht 1000 Jahren vorstellen könnte. Seine Helden sind KEINE Russen, sondern Weltbürger. Jefremow stellt verschiedene Thesen auf, beispielsweise ist er der Auffassung dass der wahrhaft ästhetisch SCHÖNE Mensch nur die Summe aller menschlichen Phänotypen sein kann. Er äußert sich zur Kunst (wobei ich ihm da entschieden widerspreche, so als ehemaliger Kunststudent und Kunstlehrer - Jefremow empfindet abstakte Kunst als menschenunwürdig, da sie nicht die Realität darstellt, sondern Zeichen einer dekadenten konsumorientierten Gesellschaft ist) Aber wenn man bedenkt, dass der Roman in den 50érn geschrieben wurde, und der komplette Ostblock sich dem sozialistischen Realismus zuwandte, ist es nicht verwunderlich, dass man sich in irgendeiner Weise auch hier vom Westen abgrenzen musste.
Kurzum: Jefremow stellt in dem Roman die große Frage: Was ist ein Mensch, was ist Menschlichkeit, welche ethischen und moralischen Grundsätze werden den Menschen von Morgen beherrschen - und wie kann eine solche zukünftige klassenfreie Gesellschaft funktionieren. Sicherlich muss ich angesichts einiger aus heuter Sicht naiver Ansichten Jefremows lächeln, wenn ich in einer meiner fünf Ausgaben blättere, die einen Ehrenplatz in meinem Bücherschrank haben. Aber: ICH LIEBE DIESEN Roman!!!! (ich weiß - alle Buchstaben groß schreiben - bedeutet: laut reden!)
Das "Mädchen aus dem All" bildet einen Eckpfeiler der " Der Große Ring" -Trilogie, die aus dem eben besprochenen Roman, der Novelle "Cor Serpentis-das Herz der Schlange" und dem erst 2010 in Deutscher Sprache veröffentlichten Roman "die Stunde des Stieres" besteht.
Verschiedene Auflagen des Romans:
"Stunde des Stieres" Gebundene Ausgabe: 502 Seiten
Verlag: Ulenspiegel-Verlag / TES; Auflage: 1. (2010)

Re: Russische Science Fiction
Verfasst: 26. April 2012 23:14
von a3kHH
Russische SF ist anders. Eben ein anderer Kulturkreis als der westeuropäisch-amerikanische, mit dem ich hauptsächlich aufgewachsen bin. Bücher wie das von Dir beschriebene "Mädchen aus dem All" oder "Atomvulkan Golkonda" fand ich damals auch sehr faszinierend. Dagegen kann ich mit der in Deutschland veröffentlichten osteuropäischen Moderne wenig anfangen, ist nicht mein Ding. Allerdings habe ich hier irgendwo noch einen genialen Kurzgeschichtenband aus DDR-Produktion rumliegen, ich such' den am Wochenende 'mal raus und sag' was dazu.
Meine Bemerkung zum Ost-West-Unterschied war übrigens genau andersrum gemeint, als Du sie vielleicht interpretiert hast. M.E. sind die Ostdeutschen in ihrer Jugendzeit vielleicht zuviel mit osteuropäischem SF-Trash bombardiert worden, so daß sie heute keine Lust mehr haben, in dieser Richtung zu lesen. Während bei uns im Westen nur die oberste Qualitätsstufe ankam, so daß unser westdeutscher Eindruck osteuropäischer SF vielleicht zu positiv ist. War auch nur so ein Gedanke, der mir bei Thomas' vehementer Ablehnung durch den Kopf schoß.
Re: Russische Science Fiction
Verfasst: 26. April 2012 23:30
von Doop
Snegows Trilogie war bei mir neben Star Trek, Raumpatrouille und Captain Future ein Hauptauslöser meiner Liebe zur SF und insbesondere zur Space Opera. Aus heutiger Sicht kaum nachvollziehbar, aber Snegow war Abenteuer ohne ideologischen Ballast, der die Ostdeutschen Tuschel und Kröger unlesbar machte und ohne den erhobenen Zeigefinger des ewigen Besserwissers (Lem) und ohne russische Schwere und Allegorien (Strugatzkis). Bei Snegow brechen wir in die Milchstraße auf und erleben endlose Abenteuer zwischen den Sternen. Snegow war mein Golden Age in der SF!
Re: Russische Science Fiction
Verfasst: 27. April 2012 06:36
von agro
Doop hat geschrieben:Snegows Trilogie war bei mir neben Star Trek, Raumpatrouille und Captain Future ein Hauptauslöser meiner Liebe zur SF und insbesondere zur Space Opera. Aus heutiger Sicht kaum nachvollziehbar, aber Snegow war Abenteuer ohne ideologischen Ballast, der die Ostdeutschen Tuschel und Kröger unlesbar machte und ohne den erhobenen Zeigefinger des ewigen Besserwissers (Lem) und ohne russische Schwere und Allegorien (Strugatzkis). Bei Snegow brechen wir in die Milchstraße auf und erleben endlose Abenteuer zwischen den Sternen. Snegow war mein Golden Age in der SF!
Menschen wie Götter! Grandios!

Re: Russische Science Fiction
Verfasst: 27. April 2012 06:48
von Joshua Calvert
Russische SF habe ich noch nicht allzu viel gelesen, bislang genau 2 Stück neueren Datums: Spektrum von Lukianenko und Metro 2033 von Glukhovsky, beide haben mir allerdings sehr gut gefallen. Mir gefällt diese russische Gemütlichkeit beim erzählen, man hetzt nicht von einer Action-Szene zur nächsten, sondern setzt sich erstmal zu einer schönen Tasse Tee hin und tauscht den neuesten Tratsch aus. Dadurch entsteht eine ganz eigene, im Vergleich zur westlichen SF andersartige Atmosphäre, die diesen Büchern das gewisse "etwas" gibt. Es wird also bei mir sicher nicht bei den beiden genannten Titeln bleiben.
Re: Russische Science Fiction
Verfasst: 27. April 2012 07:09
von Kringel
"Andromeda-Nebel" habe ich damals auch gelesen. Kann mich aber rein gar nicht mehr dran erinnern. Ansonsten: Ich liebe die Romane der Strugatzkis, Glukhovskys "Metro"-Romane fand ich nett (den ersten mehr als den zweiten), die aus vier Büchern bestehende Wächter-Trilogie von Lukianenko haben mir gefallen, noch mehr aber "Spektrum". Ganz witzig, aber auch ziemlich ermüdend, sind die Echo-Labyrinth-Geschichten von "Max Frei" (ein Autor, den es gar nicht gibt) - und das war's auch schon. Mehr kenne ich nicht.
Re: Russische Science Fiction
Verfasst: 27. April 2012 07:43
von lapismont
Eines meiner ersten Bücher mit SF-Bezug war
Das Geheimnis zweier Ozeane von Grigorij Adamow.
Ein riesiges russisches Atom-U-Boot auf geheimer Mission fischt einen schiffbrüchigen Jungen auf. Schnell ist der Junge mittendrin in Abenteuern in der Tiefsee. Monster, Ruinen und natürlich ein böser amerikanischer Spion, der die Reise nach Wladiwostik gefärdet.
Die Bildtafeln in dem Buch gehörten lange Zeit zu meinen absoluten Favoriten.
Ansonsten hatte mich russische SF eher nicht interessiert. Ich las da halt das, was kam. Also im
Das Neue Abenteuer,
Romanzeitung oder
Kompass, ich glaube in der
Practic gab es auch immer eine SF-Kurzgeschichte.
Von Snegov hatte ich nur Band 3, fand den aber zu kommunistisch und was sollten Engel da drin? Allerdings fand ich den Trick mit dem Selbstverrat genial.
Beeindruckender für mich war ein ungarisches Buch:
Oxygenien von Klára Feher
Erst später kam ich zu den Strugatzkys bevor ich dann mit SF pausierte.
Re: Russische Science Fiction
Verfasst: 27. April 2012 08:11
von deval
Ich kann mit Osteuropäischer SF auch nicht viel anfangen.
Mein erstes Buch aus dem Osten war Solaris von Lem. Ganz nett, muss man aber nicht lesen.
Mein zweites Buch war Das Orakel der Delphine von Wolf Weitbrecht. Haarsträubend!
Mein drittes Buch war Picknick am Wegesrand von den Strugatzkis. Hat mir gar nicht gefallen.
Danach habe ich noch Weltengänger, Weltenträumer und Spektrum von Sergej Lukianenko gelesen.
Das war ganz interessant, hat Spaß gemacht.
Eine Handvoll osteuropäischer Bücher habe ich noch hier rumliegen. Von Lem noch etwas, den Strugatzkis und ein paar
unbekannten Autoren. Wird aber wohl noch dauern bis ich die mal lese, wenn überhaupt.
Re: Russische Science Fiction
Verfasst: 27. April 2012 11:22
von Thomas Wawerka
deval hat geschrieben:Mein erstes Buch aus dem Osten war Solaris von Lem.
Mein drittes Buch war Picknick am Wegesrand von den Strugatzkis.
Von beiden Büchern war ich enorm enttäuscht. Es gibt von Lem schöne klassische SF-Romane, gefallen haben mir "Die Astronauten"(/"Planet des Todes"), "Eden" und "Der Unbesiegbare" - und dann gibt es von ihm absurd-groteske SF, fast surrealistisch, die auch schön ist, wenn man sowas schätzt. Aber "Solaris" hing zwischen allen Stühlen und war dazu noch schlecht geschrieben und unerträglich langweilig.
"Picknick am Wegesrand" fand ich ebenfalls ganz mies geschrieben. - Wer weiß, vielleicht lags auch nur an den Übersetzungen ... aber unabhängig davon hat der Roman für mich auch inhaltlich nicht viel hergegeben. Besser zu verdauen war für mich die Maxim-Kammerer-Trilogie.
Beide Bücher haben ja die Aura von Kultbüchern wegen der Tarkowskij-Verfilmungen. Tja, in diesem Fall sind die Filme einfach besser.
Als Kind war ich hellauf begeistert von Wladimir Obrutschew, "Plutonien".
Re: Russische Science Fiction
Verfasst: 27. April 2012 17:09
von Doop
An Oxgenien habe ich kaum Erinnerungen, außer dem Gefühl, dass es gut war. Das "Picknick" mochte ich sehr, von Lem gefiehlen mir die Sterntagebücher und "Der Unbesiegbare" am besten. Am schlimmsten war Lems Fiasko, Depressionsliteratur, und auch noch langweilig...
Re: Russische Science Fiction
Verfasst: 27. April 2012 17:27
von agro
Georgy Martynow - das Erbe der Phaetonen
Hat mir sehr gut gefallen
Re: Russische Science Fiction
Verfasst: 21. Mai 2012 22:12
von Amtranik
Joshua Calvert hat geschrieben:Mir gefällt diese russische Gemütlichkeit beim erzählen, man hetzt nicht von einer Action-Szene zur nächsten, sondern setzt sich erstmal zu einer schönen Tasse Tee hin und tauscht den neuesten Tratsch aus. Dadurch entsteht eine ganz eigene, im Vergleich zur westlichen SF andersartige Atmosphäre, die diesen Büchern das gewisse "etwas" gibt.
Ganz genauso hab ich das auch empfunden. Da läßt man sich auch mal Zeit über die richtige Zubereitung eines bestimmten Essens zu sinnieren oder philosophiert über die wundersamen Dinge des Daseins.....das habe ich als unheimlich angenehme andersartigkeit zur angelsächsisch geprägten Literatur die ich sonst so konsumiere empfunden.
Re: Russische Science Fiction
Verfasst: 22. Mai 2012 06:26
von agro
Endlich mal Leute, die mich verstehen!

Re: Russische Science Fiction
Verfasst: 2. September 2012 22:00
von Montag
Amtranik hat geschrieben:Ganz genauso hab ich das auch empfunden. Da läßt man sich auch mal Zeit über die richtige Zubereitung eines bestimmten Essens zu sinnieren oder philosophiert über die wundersamen Dinge des Daseins.....das habe ich als unheimlich angenehme andersartigkeit zur angelsächsisch geprägten Literatur die ich sonst so konsumiere empfunden.
Ich schätze mal, das bezieht sich vor allem auf Lukianenkos Spektrum, mit dem ich gestern fertig geworden bin. Ich hatte ehrlich gesagt nicht so einen positiven Eindruck von dem Buch. Gerade die Essens-Passagen haben mich irgendwann genervt, weil ich das Gefühl hatte, dass sie das Vorankommen der Story behindert haben. Und mich haben Martins kulinarische Ansichten nicht sonderlich interessiert, jedenfalls nicht in jedem verdammten Kapitel. Für mich hat Lukianenko nochmal die Kurve gekriegt, weil es am Ende dann tatsächlich relevant für die Auflösung der Geschichte war. Das hat so einiges wieder rausgeholt.
Aber ich fand die sieben einzelnen Teile auch nicht so spannend, weil Iras Experimente in meinen Augen dämlich waren. Und man relativ schnell ne Ahnung hat, wie ein Teil ausgehen wird.
Gefallen hat mir hingegen die Reflexion der SF in einem SF-Werk, all die Anspielungen und Referenzen. Das fand ich sehr clever, weil es eine Meta-ebene bedient hat. Das Ende fand ich okay, nach dem dramatischen Aufbau vielleicht ein bisschen unbeeindruckend, aber ich denke, mir wäre auch nichts kreativeres eingefallen.
Die Thematik Gott/Sinn des Lebens/Evolution hat mich sehr an Prometheus erinnert. Aber da haben mich die Fragen, der Wissenschaftler auch schon nicht sonderlich interessiert. Vielleicht liegt es also einfach daran, dass es gerade nicht so meine Thematik ist.
Prinzipiell halte ich Lukianenko für einen handwerklich soliden Erzähler. Der erste Wächter der Nacht-Band hat mich z.B. besser unterhalten als Spektrum.
P.S. Lukianenko vermengt hier geistige Entwicklung mit Evolution. Das führt mal wieder unweigerlich zum falschen Bild von Evolution als gerichtetem Prozess nach vorne bzw. oben. Das hat mich gestört, aber wahrscheinlich nicht wegen Spektrum, sondern wegen all der anderen SF, die das falsch macht.
Re: Russische Science Fiction
Verfasst: 2. September 2012 23:12
von Helge
Mein Lieblingsbuch von den Strugatzkis ist Milliarden Jahre vor dem Weltuntergang. Das war ein ganz und gar ungewöhnliches Buch für die sozialistische Literaturszene, denn es war ein Vorläufer dessen, was Jahrzehnte später als Mystery bezeichnet wurde und handelte von höchst esoterischen Ideen (wobei es reichte, das böse Wort einfach nur nicht zu nennen und schon merkte niemand etwas). Die Autoren spielen darin sehr genial mit dem Unheimlichen im ganz normalen Alltag und mit der Verstrickung des menschlichen Lebens in undurchschaubare universale Zusammenhänge. Erstaunlicherweise wurde ausgerechnet dieses Buch (als Doppelroman mit Die gierigen Dinge des Jahrhunderts - auch ziemlich genial und prophetisch) nicht nur in der üblichen Zwei-Drittel-Bedarfsdeckung verlegt, sondern erschien in einer einer derart großen Auflage, dass es Monate lang in jeder Kaufhalle herumlag.