breitsameter hat geschrieben:
Aber ich würde mich doch über etwas mehr als nur eine Auflistung der Romane freuen. Warum würdet Ihr diese empfehlen? Was hat Euch gefallen, was nicht??
Okay, sind aber nicht alle dieses Jahr neu erschienen.
Ich habe in diesem Jahr bisher 60 Bücher geschafft und bis zum Jahresende kommen sicher noch 10 dazu (in den Weihnachtsferien schaffe ich meist besonders viele Bücher). Darunter befanden sich 15 SF-Bücher (inklusive
SF-Jahr 2015 und
Best SF and F of the Year von Jonathan Strahan.
Einige davon fallen eher in einem weiteren Sinne (Alternativweltgeschichten, Social Fiction) unter SF, wie:
Die Stunde der Rotkelchen - Joe Walton: Atemberaubend gut geschriebener Alternativweltkrimi, der in einem England spielt, das vor 8 Jahren (also 1941) Frieden mit dem Deutschen Reich geschlossen hat. Nun wird einer dieser Friedensvertragabschließer während eines Partywochenendes der feinen Gesellschaft auf einem Landsitz ermordet, und keiner will es gewesen sein. Wachsender Antisemitismus, Homosexualität als Verbrechen, eine schleichende Entdemokratisierung der Gesellschaft, die Not der Juden auf dem Kontinent – Jo Walton packt ganz schön viele Themen in diesen klassischen Whodunit-Krimi im Stile Agatha Christies. Und das macht sie meisterhaft. Der zunächst gemächlich anlaufende Plot um die Ermittlungen entwickelt sich gegen Ende in ein hochdramatisches und spannendes Finale, dass auf die gerade erschienene Fortsetzung Der Tag der Lerche neugierig macht. Besonders loben möchte ich an dieser Stelle die Übersetzung von Nora Lachmann, die sich so wunderbar elegant liest, wie ich es selten erlebe. Was für ein wunderbarer Stil!
Stimmen der Nacht - Thomas Ziegler: Abgedreht und klasse, hier meine Besprechung:
https://translateordie.wordpress.com/20 ... s-ziegler/
Unterwerfung - Michel Houellebecq: Sehr kluges Buch über einen Literaturprofessor in der Midlife-Crisis, der dank des Wahlsiegs der muslimischen Partei vor eine Entscheidung gestellt wird, mit der er entweder seine Ideale verraten muss und ein schönes Leben führen kann, oder mit der er seinen Idealen treu bleibt und ein nicht ganz so schönes Leben führen kann. Kein islamfeindliches Buch, da es doch eine sehr gemäßigte Variante des Islams schildert, die es in ihrer Liberalität meines Wissens nach in keinem islamischen Land in dieser Form gibt. Insofern sogar eine Utopie, die einem Atheisten wie mir aber immer noch zuwider ist. Das Buch ist recht sperrig geschrieben, und wird sicher viele Leserinnen enttäuschen, die kontroverse Islamkritik erwarten.
Der Rest war:
Ready Player One - Ernest Cline: Toller Roman, hat mir einen riesen Spaß bereitet - meine Besprechung gibt es hier:
https://translateordie.wordpress.com/20 ... layer-one/
The Three-Body Problem - Cixin Liu: Ein super Hard-SF Roman, durch die Verquickung mit der chinesischen Kulturrevolution aber auch sehr politisch - hier meine Besprechung:
https://translateordie.wordpress.com/20 ... cixin-liu/
Breach - Patrick Lee: Sauspannender und sehr clever konstruierter SF-Thriller, der einige atemberaubende und so noch nicht dagewesene Actionszenen bereithält, zwischendurch etwas an Fahrt verliert, gegen Ende aber wieder voll auftrumpft.
The Race - Nina Allan: Ein sperriger und unzugänglicher, aber auch hervorragender Mosaikroman, der teils in unserer Welt und teils in einer etwas anderen Version/Zukunft unserer Realität spielt. Sehr einfühlsam und eindrucksvoll geschrieben. Was den Inhalt angeht, versuche ich erst gar nicht, ihn hier wiederzugeben.
Lagoon - Nnedi Okarafor : Alien landet in Afrika und sorgt für eine Menge Aufregung. Nicht der Action-B-Movie-Roman, den ich durch die Verweise auf
District 9 erwartet habe. Vielmehr ein literarischer SF-Roman, der auch afrikanische Mythen mit einbringt. Sehr entspannt und unterhaltsam erzählt. Wird aber nicht einfach zu übersetzen sein, da es viele Dialoge in Pidgin-Englisch gibt.
Chlorofilija - Andrej Rubanov: Leben im zukünftigen Moskau im Schatten der Halme. 300 Meter hohe Grashalme stehlen den Moskauern plötzlich die Sonne, was dazu führt, dass sie ihr Leben in Hochhäuser verlagern; die Nummer des Stockwerks spiegelt den sozialen Status wieder. Angenehm unaufgeregt erzählte Zukunftsvision, die stark von den Strugazkis beeinflusst ist. Mit einigen gruseligen modischen Einfällen, wie z. b. rotem Zahnlack.
Der Circle - Dave Eggers: Kann ich nicht empfehlen. Stinklangweilig, banale Prosa.
The Vagrant - Peter Newman: Ein wilder Mix aus Fantasy und Science Fiction, in dem ein stummer Held mit Schwert, Baby und störrischer Ziege an der Leine durch eine von Dämonen eroberte und dementsprechend düstere Welt zieht. Ein englischsprachiger Rezensent hat Newmans Schreibstil als »stark« bezeichnet, was man in diesem Fall am ehesten als »schroff« übersetzen könnte. Es ist auf jeden Fall ein ungewöhnlicher (aber durchaus lesenswerter) Stil, der hervorragend zum Inhalt passt. Um diese Mischung inhaltlich einzuordnen, würde ich als Vergleichsreferenzen am ehesten Kings
Der dunkle Turm, McCarthys
The Road, Gemmels
John Shannow und
Warhammer heranziehen.
Nexus - Ramz Naam : Recht spannender SF-Roman über eine Droge, die das Gehirn zum Computer werden lässt. Beginnt relativ langsam mit einigen tollen Ideen, artet im letzten Drittel aber zu sehr in ein sinnloses und brutales Actionspektakel aus, bei dem die ursprüngliche Idee zu sehr in den Hintergrund rückt. Trotzdem sehr lesenwert.