Ender hat geschrieben: ↑27. November 2017 16:41
Das soll ICH gesagt haben?
Oh, ein Fall von Identitätsverwirrung...
Moment.
Edit, äh, doch. Ich hatte Dich zitiert. Dass Deine Beschreibung auch irgendwie aufs I-Net und dortige Foren zutrifft, ist jetzt allerdings auf meinem Mist gewachsen.
Ist mir aber auch erst heute aufgefallen...
Oh verdammt. Das war ja wirklich von mir. Jetzt musste ich aber selbst erstmal nach dem Zitat suchen, es kam mir völlig fremd vor. Welch eine Formulierungs-Sternstunde, jetzt hab ich mich glatt selbst beeindruckt.
Aber stimmt: das passt tatsächlich ganz gut zu Internet, Sozialen Medien & Co.
Ist ja interessant.
Da steckt also noch mehr aktueller Bezug in der "Mondmotte" als ursprünglich gedacht!
Ender hat geschrieben: ↑26. November 2017 21:13
Ich wage mal ganz vorsichtig einen Wiederbelebungsversuch.
Die Geschichte "Das Gernsback-Kontinuum" von William Gibson ist schon seit geraumer Zeit online frei verfügbar, und zwar HIER.
Alle Interessierten sind hiermit herzlich eingeladen, sie bis zum - sagen wir mal - 10.Dezember zu lesen, um dann hier gemeinsam ein wenig darüber zu plaudern.
Traut euch!
Fotograf bekommt den Auftrag, Architektur und Design der amerikanischen Stromlinien-Moderne der dreißiger Jahre zu fotografieren, also Dinge aus einer Zeit, als viele Menschen voller Begeisterung in die technisierte Zukunft blickten und von fliegenden Autos und Flügen zu den Planeten träumten. Durch die intensive Beschäftigung mit der Zukunft, die so nie stattfand, gerät der Fotograf temporär in ein alternatives 1980, in dem die Entwürfe aus den Covern der amerikanischen SF-Pulpmagazine Wirklichkeit sind. Nur die Beschäftigung mit den profansten Dingen seiner eigenen Wirklichkeit führt zu einem verblassen der Gernsbackschen Zukunft.
Für den SF-Fan eine nette Geschichte, die sich mit vergangenen Vorstellungen der Zukunft beschäftigt, dem grenzenlosen Optimismus der frührn SF.
Was mich an Gibson etwas stört ist, dass er gar nichts erklärt (was immer noch viel besser ist als zu viel zu erklären). Gab es beispielsweise einen Architekten mit dem Spitznamen "Ming dem Gnadenlosen", der futuristische Tankstellen baute?
Was der Story fehlt, um richtig gut zu sein, ist eine ordentliche Pointe. Dass am Ende die Membrane zum Gernsback-Kontinuum von allein wieder undurchlässig wird, ist dann doch ein wenig wenig.
Ich bin kein allzu großer Kenner von Gibsons Werk, denn das meiste, was ich von ihm gelesen habe, fand ich nur so lala. Deshalb verspürte ich noch keinen großen Ehrgeiz, mich intensiv einzulesen.
Diese Story hier hat mir aber aus irgendeinem Grund schon immer gut gefallen, obwohl ich deinem Kritikpunkt "fehlende Pointe" absolut zustimmen muss. Das Ende kommt tatsächlich ziemlich unspektakulär daher.
Die Geschichte beginnt auch sehr gemächlich, liest sich aber trotzdem ziemlich unterhaltsam, weil sie stilistisch schön und leicht humorvoll geschrieben ist ("Bleistiftspitzer wie im Windkanal getestet", "uncharismatischer Rockmusiker").
Was dann passiert - das Verschwimmen von Realität und Wahrnehmung/Fiktion - erinnert schon stark an Philip K. Dick ... was ich persönlich ja auch nie verkehrt finde.
Ungewöhnlich fand ich hier die relativ frühzeitigen Erklärungen von Kihn, was es mit dem beschriebenen Phänomen auf sich hat. Da bekommt man als Leser die Interpretation gleich vorab mitgeliefert. Irgendwie merkwürdig - das wirkt fast so, als hätte Gibson befürchtet, dass man seine Story sonst vielleicht zu schräg finden oder nicht verstehen würde.
Insgesamt für meinen Geschmack kein Riesen-Highlight, aber aus Gründen, die ich gar nicht so richtig erklären kann, mag ich die Geschichte trotzdem. Ich glaube, es liegt am allgemeinen Erzählton und an dem Gesamtthema, das dahinter steckt (eine Zukunft, die sich frühere Generationen ausgemalt haben und die es aber so nie gegeben hat).
Ich habe nur ein paar sehr wenige Kurzgeschichten von Gibson gelesen, fand die aber deutlich besser als seine Romane. Gibson neigt zum sinnentleerte überstilisirten Schafeln, und das findet in den Kutzgeschichten einfach weniger statt, die sind straffer geschrieben. Wer wissen will was ich meine kann sich mal eine Hörprobe von "Neuromancer" anhören, wo Gibson selber liest.
Wie dem auch sei: Ich mochte die Gerstenback Geschichte. Die Visionen von der falschen/besseren Welt, die Abneigung des Protagonisten gegen die "falschen Versprechungen der Hitlerjugendpropaganda", und die "reale" Welt, die, wenn man bedenkt, ja auch ein Fantasieprodukt ist - wie die realexisiterenden Tankstellen ja beweisen. Früher eben bessere Zukunft, heute halt Nazi-Pornos und Ölkrise. Jeder so wie er mag.
...und Pointen in Kurzgeschichtne sind ohnehin überbewertet.
"Die wichtigsten drei Dinge bei einer Kurzgeschichte sind die Pointe, die Pointe und die Pointe."
Leider habe ich vergessen, wer das gesagt hat.
Also wenn ein Autor es schafft, am Ende eine gute Pointe hinzubekommen, wertet das die Geschichte für mich schon gewaltig auf. Leider sind Pointen oft eher schlecht, weil der Autor auf Teufel komm raus noch eine 180° Wendung macht, die gar nicht zur Geschichte passt. In dem Sinne besser keine als eine schlechte Pointe.
(Und ich mein hier kurze Geschichten. Im Forum benutzen wir Kurzgeschichte ja oft synonym für "kürzer als Roman".)
Knochenmann hat geschrieben: ↑11. Dezember 2017 13:28
Lesetip: die Kurzgeschichte mit der schönsten Pointe überhaupt ist "Stich für Stich" von Ingrid Noll.
Nur so.
Hab ich doch gleich mal getestet. Da du eine schöne Pointe angekündigt hast und ich einen Onkel hatte, der
leidenschaftlich stickte
habe ich die Pointe schon nach drei Seiten vermutet. Nichtsdestotrotz eine sehr hübsche kleine Geschichte.