Thomas Wawerka hat geschrieben:Yuven hat geschrieben:Außerdem ist das ein viel zu großes Fass, um es einmal aufzumachen. Kommt mir vor wie das Science Fiction-Äquivalent zu der Frage: "Gibt es Gott oder nicht?" Da kann man sich genauso drüber zoffen und am Ende gibt es immer noch zwei Meinungen. Eine reine Glaubenssache. Deshalb nagele ich für mich lieber noch ein paar Bretter auf das Fass.
Besser hätte ich nicht illustrieren können, welche gesellschaftliche/kulturelle Funktion die SF hat. Kurz gesagt: Sie ist Religionsersatz. Eine Art des Glaubens. Eine säkulare Konfession.
Warum auch nicht?
Die in vormodernen Epochen entstandenen Kulte sagen mir nichts. Ihre Orthodoxie, der von Schriftgelehrten durchgesetzte Glaube an wörtlich zu nehmende "heilige Bücher" beinhaltet teils widersprüchliche, teils menschenverachtende, teils falsche Prämissen. Es gibt keinen personalen Gott, der als "König der Welt" über das Universum regiert wie ein wirklicher König über sein Land.
Zudem zeigen die Protagonisten der religiösen Orthodoxie in Wort und Tat eine pathologische Verachtung gegenüber großen Teilen der Welt, die doch ihren eigenen Worten zufolge die Schöpfung ihres Gottes ist.
Die Alternative in Form von "Gott ist tot" ist ebenso kläglich gescheitert. Sie war keine Befreiung vom Dogma der Orthodoxie, sondern ein Freibrief für große und kleine Tyrannen, die x-beliebige Kopfgeburten - Volk, Nation, Rasse, Abstammungsgemeinschaft, Klasse, Markt, Wirtschaft, Kapitalismus, Sonzialismus - an die Stelle des Gottes der althergebrachten Religionen setzten. Einfache Menschen verkommen bei ihnen zum Bestandteil einer zum Naturprozess gewordenen Gesellschaft und Geschichte, die nur zum Nutzen einer kleinen Minderheit da ist.
Was liegt näher, als die Antworten, die weder vormoderne Religionen noch moderne Ideologien geben können, woanders zu suchen? Die Science Fiction beschäftigt sich nun mal seit mehr als einem Jahrhundert mit einer Fülle philosophischer und gesellschaftlicher Fragen und gibt eine Vielzahl verschiedener Antworten.
Für mich hat sich daraus die Vorstellung ergeben, dass es einen Daseinszweck der Menschheit gibt, zu dem die Überwindung von materieller Not und unnötigem Zwang ebenso gehört wie das Streben nach Erkenntnis und die Erforschung des Unbekannten, also des Weltraums. Ein Daseinszweck der Menschheit bedeutet aber nicht, dass sich alle Menschen von oben vorgegebenen Zielen widmen sollen, auch wenn sie die nicht interessieren - das hatten und haben wir schon in säkularen und religiösen Totalitarismen. Wird die Menschheit ihrem Daseinszweck gerecht, geht es auch Menschen besser, die nicht an so etwas glauben.
Andererseits glaube ich, dass auch ohne einen zürnenden Gott der Kosmos mit einer Menschheit, die ihren Daseinszweck verfehlt, über kurz oder lang tabula rasa macht. Ob man sowohl Daseinszweck als auch eine Selbstzerstörung der Menschheit bei Nichterfüllung ihres Daseinszweck als Resultat zielloser, zufälliger Prozesse ansieht oder dahinter einen sinnhaften Zusammenhang sieht, halte ich für Glaubenssache. Verifizieren lässt sich ein Daseinszweck vermutlich nicht.