Lensman hat geschrieben: ↑10. Februar 2016 10:09 Ausgelesen:
Dietmar Dath - "Venus siegt"
War im Kern kein Genuß - weil ich, glaube ich, nicht wirklich viel verstanden habe.
Erzählt wird die Geschichte einer besiedelten Venus ein paar Hundert Jahre in der Zukunft, genauer der (innenpolitisch-gesellschaftliche) Kampf um die Gleichberechtigung der Venusbewohner. Diese setzen sich aus Menschen, Maschinenintelligenzen (Roboter, Androiden, usw.) und Künstlichen Intelligenzen (körperlos im Datennetz) zusammen. Beschrieben wird das politische Programm eines Bundwerks, in dem diese ebengenannten zum Wohl der Venus und in Verteidigung gegen einen bösen Erdendiktator zusammenwirken sollen. Soweit klar.
Was den Roman verwirrend macht, ist eine große Menge an Neutechsprech (Écumen, Inertial, Frames, Keilblattsegler, Datenschaum, Chaitinfallen, Toposcoding ... ) und irgendwann geht es dann auch los mit höherer Mathematik und Logik. Dazu kommen eine Vielzahl vor Orten mit eher verwirrenden Namen und sehr viele "Personen", die trotz eines vorangestellten Personenverzeichnis unübersichtlich bleiben. Es fehlen definitiv ein paar gute Infodumps!
Das größte Problem für mich war jedoch zu verstehen, warum die Personen das tun, was sie tun. Während man dem Protagonisten noch leidlich in seinen Motiven folgen kann, erscheint das Tun anderer Handelnder ziemlich willkürlich (genauer: die Motive werden dem Leser nicht enthüllt). Ich unterstelle Dietmar Dath nicht, dass er hier gepfuscht hat; wahrscheinlich folgt das alles einer Sinnhaftigkeit, nur ist diese eben beim Lesen nicht ohne große Anstrengung ersichtlich. Das führt in der Folge dazu, dass der Plot, der auf den letzten 30 Seiten enthüllt wird, nicht zündet. Es gibt keinen Aha-Effekt, weil man das ganze Durcheinander, das Dath zuvor ausgebreitet hat, nicht mehr zusammenbringt.
In einer anderen Besprechung vor Wochen habe ich gelesen, dass Dath sich bei den beschriebenen politischen Verwicklungen auf der Venus von der Geschichte der Sowjetunion im 20. Jahrhundert hat inspirieren lassen. Elemente davon meine ich tatsächlich wiederzuerkennen, aber sie sind so stark verfremdet bzw. sie gehen so sehr in der Gemengelage anderer Dinge, die Dath beschreibt unter, dass sich selbst bei entsprechenden Geschichtskenntnissen kein roter Faden ergibt. Überall Intrigen, Streit, politische Manipulation, Hahnenkämpfe, Pläne in Plänen hinter Plänen in Plänen ... - wahrscheinlich durchaus realitätsnah, aber zu komplex und wenig erbaulich.
Zwei, drei schöne Reflektionen über Sprache, Denken und Politikorganisation habe ich mir angestrichen. Für einen Roman von 300 kleinbedruckten Seiten ist das insgesamt zu wenig.
Wie pflegte mein Philosophielehrer vor über dreißig Jahren zu sagen: "Wer sein Anliegen nicht einfacher ausdrücken kann, verdient nicht verstanden zu werden."
Das trifft auf dieses Buch zu,
meint
Lensman
Ich habe gestern die Lektüre der um 150 Seiten erweiterte TB-Version beendet und kann dir nur vollumfänglich zustimmen. Dath ist sozusagen der Anti-Schätzing, denn wo Schätzing durch zuviel Infodump und sehr einfache Schreibe auffällt, ist es bei Dath genau umgekehrt. Das Wenige an tatsächlicher Handlung wird möglichst kompliziert und mit seltsamen Wortschöpfungen erzählt, aber die notwendigen Informationen zum wirklichen Verständnis lässt der Autor unter den Tisch fallen. So habe ich mich durch die ersten zwei Drittel geqüält, bis es dann tatsächlich mal halbwegs interessant wurde, aber dann war das eigentliche Buch auch schon fast zu Ende. Und dann kam der neu hinzugefügte Teil, der die Entwicklung der Gesellschaften im Sonnensystem erzählen soll, dabei aber mehr als einmal im negativen Sinn an "Schismatrix" von Bruce Sterling erinnerte und auch nur stellenweise Spannung erzeugen konnte. Schade drum, da steckte eine vermutlich gute Geschichte drin, aber für mich war Dath der falsche Erzähler.