Fragen über Fragen – wer kann helfen #1: Keine Fantasy in der DDR und autoritären Staaten?

Science Fiction in Buchform
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nekropole
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Fragen über Fragen – wer kann helfen #1: Keine Fantasy in der DDR und autoritären Staaten?

Ungelesener Beitrag von nekropole »

Im Science Fiction Jahr 1991 lese ich im Artikel „Eine Blume im Sturm“ von Udo Klotz und Michael Matzer auf Seite 108:

Diese Lage ist nicht nur für die Steinmüllers fatal, sondern auch für das Buch: Es handelt sich um den ersten echten Fantasyroman der DDR, und der wäre vor der Wende von einiger Bedeutung für die dortige Entwicklung des Genres gewesen. …

Auszug `Blume im Sturm', Seite 103-111



In diesem Esssay geht es um „Die Situation der DDR-Science Fiction nach der „Wende“.

Heißt das, dass es in der gesamten DDR kein „echter“ Fantasyroman geschrieben wurde? Und was ist ein echter Fantasyroman in diesem Zusammenhang?


Siehe auch: https://sebesta-seklit.net/2021/08/11/f ... n-staaten/
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Uschi Zietsch
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Re: Fragen über Fragen – wer kann helfen #1: Keine Fantasy in der DDR und autoritären Staaten?

Ungelesener Beitrag von Uschi Zietsch »

Doch, es gab Fantasy-Romane, mir wurde von einer DDR-Freundin sogar einmal einer geschenkt ... äh, aber ich weiß den Titel nicht mehr, das ist so lange her. Es war ein Frauenname mit A. Die Umsetzung eines Märchens ... Hexenroman? Ich grüble mal weiter.
... und zwei Minuten später ist es mir schon eingefallen: Amanda. Erschien erstmals 1983.
https://www.amazon.de/Amanda-Ein-Hexenr ... 3928660454

P.S.: Ich sehe grad, dass sie noch mehr fantastische Themen benutzt hat, um Kritik an der DDR zu üben:
https://de.wikipedia.org/wiki/Irmtraud_Morgner#Werke

und Christa Wolf natürlich:
https://de.wikipedia.org/wiki/Christa_Wolf#Werke
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L.N. Muhr
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Re: Fragen über Fragen – wer kann helfen #1: Keine Fantasy in der DDR und autoritären Staaten?

Ungelesener Beitrag von L.N. Muhr »

Die Frage ist, wie weit offen oder eng man Fantasy definiert. Dort, wo Fantasy an Märchen andockte, gab es sie in der DDR, sprich High Fantasy. Neben der erwähnten Irmtraud Morgner sei einer der Lichtjahr-Bände erwähnt, der einen Themenschwerpunkt Fantasy hatte, u.a. mit Texten von LeGuin. Ansätze zur Fantasy fanden sich u.a. in der "Trödelmond"-Anthologie (1989 oder 1990). Stefan Heyms "Ahasver" (1981) ist märchenhaft-fantastisch, konnte aber in der DDR nicht erscheinen - hier ist die Frage, wie man mit Exilliteratur umgeht. (Also Literatur, die exiliert, ohne dass der Autor exiliert. Siehe auch Christa Wolf.)

Für diese Texte gilt, was für SF spätestens ab den Achtzigerjahren in der DDR auch gilt: sie waren satirische Texte, die die Mittel der Phantastik nutzten, um ihre eigentlichen Aussagen vor dem Zensor zu verkleiden.(Konrad Potthoffs "Wilhelmine und der unheimliche Planet", 1979, ist eine unfassbar direkte Analogie auf Planwirtschaft, DDR-Umweltzerstörung etc.)

Was es nicht gab, war jene Fantasy im Gewässer von Conan etc..

Was auch wahr ist: durch den propagierten wissenschaftlichen Rationalismus der DDR hatten es Werke, die dem nicht entsprachen, schwer. Infolgedessen bildete sich eine Phantastik in Abgrenzung zur SF erst relativ spät aus, nicht zuletzt weil sie kaum Publikationschancen hatte. (Das gilt übrigens auch und sogar noch mehr für den Horror - kennt jemand einen Horrortext aus der DDR? Ich nicht.)

Phantastik, die nicht SF ist, war am ehesten noch ein Kinderbuchgenre, hier hatten wir durch die Übersetzungen der Smaragdenstadt-Bücher aus dem Russischen etwa eine solide Basis, zu den Eigenproduktionen zählen die zwei Bücher um Carola Huflattich, ersterer eine Gespenstergeschichte (aber kein Horror oder Grusel), zweiterer ein Plagiat von "Planet der Affen" mit deutlichem Science-Fantasy-Touch. Erwachsenwerden hiess, in der Ideologie der DDR, auch, sich vom Irrationalismus zu verabschieden. Erst die Wiederentdeckung von Autoren wie Gustav Meyrink änderte das allmählich. Die DDR ging allerdings schneller unter, als sie diese Änderung hätte umfassend vollziehen können.

Ein prägendes Ereignis war das Verbot des Films "Wenn du groß bist, lieber Adam" (eine Lampe entlarvt alle, die lügen) 1965, einer der ersten Versuche in der DDR, sich mit der Realität des Staates satirisch mit den Mitteln der Phantastik auseinanderzusetzen. Danach (und mit dem Verbot weiterer Filme, Bands, Bücher, Theaterstücke) begann im Grunde die kulturelle Eiszeit, die bis Beginn der Achtzigerjahre andauerte, weil diese Verbote im Kulturbetrieb natürlich Angst davor erzeugt hatten, Grenzen zu überschreiten.
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Doop
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Re: Fragen über Fragen – wer kann helfen #1: Keine Fantasy in der DDR und autoritären Staaten?

Ungelesener Beitrag von Doop »

In der Tat gab es in der DDR Science Fiction zuhauf, aber praktisch keine Fantasy. Die Beispiele, die Uschi nennt, würde ich nicht wirklich als Fantasy im klassischen Sinne einordnen. Christa Wolf ist ja eher "Hochliteratur", die sich einiger phantastischer Elemente bedient, aber bei der es nicht um Weltenbau an sich geht. Das hat in der DDR niemand als Fantasy gelesen. Und Morgner hat man wohl eher in die Kategorien "Märchenadaptionen" und "Literatur in der Tradition des Schelmenromans oder von Gullivers Reisen" gesehen. Wenn wir das heute nachträglich als Fantasy verstehen, begehen wir einen Fehler.

Es gab nämlich aus Sicht der kommunistischen Ideologie mit der klassischen Fantasy ein Problem. Diese war aus ideologischer Sicht rückwärtsgewandt, war eskapistisch, glorifizierte nicht die Zukunft, die ja zwangsläufig kommunistisch war, sondern die Vergangenheit, also Gesellschaftsordnungen, die man überwunden hatte. Deshalb war es zwar möglich phantastische Satiren zu veröffentlichen oder realistische Literatur mit phantastischen Motiven zu spicken. Man konnte auch Allegorien verfassen und Märchen waren gern gesehen, vermutlich aufgrund der sehr reichen russischen Märchentradition, die auch die Kommunisten sich nicht auszulöschen trauten, vielleicht auch weil Märchen ja Literatur für Kinder waren...

Science Fiction hingegen beschäftigt sich in weiten Teilen mit der Zukunft, und die war aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse der Großgenies Marx, Engels, Lenin, zeitweise auch Stalin, und lokal auch Tito und Mao, ja zwangsweise kommunistisch, weil, das ging ja nicht anders. Deshalb war es möglich SF zu schreiben, auch wenn die fast nie so genannt wurde, sondern "Wissenschaftliche Phantastik" (eine 1:1-Übersetzung des russischen Worts für SF) oder "utopische Literatur". Es gab aber erstaunlicherweise eine Taschenbuchreihe namens "SF Utopia". Der Begriff SF war also vorhanden. Das Genre der SF konnte also blühen und gedeihen, weil sich die marxistisch-leninistische Weltanschauung ja selbst als wissenschaftlich betrachtete und deshalb war wissenschaftliche Phantastik, wenn sie es mit der Fabulierfreude nicht zu sehr übertrieb, erstmal akzeptiert.

Es wurden in der DDR dann auch Bücher von Asimov, LeGuin, Bradbury, Weinbaum, Herbert W. Franke, Wolfgang Jeschke etc. veröffentlicht. Es gab die Strugatzkis, Lem, die ganze Ostblock-SF und deren ostdeutschen Teil, die Steinmüllers, Prokop, Szameit, Kröger, Tuschel etc. pp.

Es gab aber keine vergleichbare Szene für die Fantasy. Von Tolkien wurde in der DDR der Hobbit veröffentlicht, den man als Kinderbuch verkaufte was er ja rein für sich betrachtet auch (!) ist. Der "Herr der Ringe" wurde nicht publiziert. Es gibt waschechte Space Operas a la Doc Smith aus dem Ostblock (die Trilogie "Menschen wie Götter" von Sergej Snegow), aber es gibt kein Ostblock-Pendant zur Sword & Sorcery eines Robert E. Howard oder Fritz Leiber, kein Pendent zur High Fantasy eines Tolkien oder E.R. Eddison. Das war ideologisch unmöglich.

Von LeGuins Romanen wurden in der DDR die SF-Romane "The Left Hand of Darkness" und "The Dispossessed" veröffentlicht, nicht aber, wenn ich mich nicht total irre, der ebenso wichtige Erdsee-Zyklus. Kleinere fantasy-nahe Erzählungen, das schreibt Ellen schon, konnten manchmal in Anthologien versteckt werden. Das Lichtjahr war eine (wunderschöne!) Anthologiereihe und ich denke, dass die Zensoren der Meinung waren, was drin veröffentlicht wird, ist SF, also wissenschaftlich-phantastisch, also jedenfalls keine rückwärtsgewandte Fantasy, weil es ja "Lichtjahr" heißt und das ist ein Begriff aus der astronomischen Wissenschaft, also Sterne, Raumschiffe, SF. Zensoren sind niemals sehr helle... Und mindestens eine der im "Lichtjahr" veröffentlichten Erzählungen LeGuins, nämlich das eindrucksvolle "Die Omelas den Rücken kehren" konnte man den Zensoren statt als Fantasy auch als allegorische Erzählung verkaufen.

Insoweit wäre der Roman der Steinmüllers tatsächlich der erste echte Fantasy-Roman der DDR gewesen, und auch das nur weil zu der Zeit, als die Steinmüller begannen ihn zu schreiben, die ideologischen Zerfallserscheinungen so stark waren, dass die Publikation überhaupt möglich wurde. Wie gesagt war das aber kein lokales DDR-Phänomen, sondern ein Ostblock-Phänomen.
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Re: Fragen über Fragen – wer kann helfen #1: Keine Fantasy in der DDR und autoritären Staaten?

Ungelesener Beitrag von L.N. Muhr »

SF Utopia war ab den späten Siebzigern/ frühen Achtzigern, und damit Teil jenes marginalen Tauwetters, oder eher: dass einige Leute sich wieder ein bisschen was trauten. Am deutlichsten zu verfolgen in der DDR-Musik.

Mitte der Achtzigerjahre lief "Krull" in den DDR-Kinos, das dürfte einige Impulse gesandt haben, u.a. zur Veröffentlichung besagten Jahrbuchs auch mit Artikeln zur Geschichte und Thematik der Fantasy. Ebenso der Science-Fantasy-Text "Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein" der Strugatzkis. ("Picknick am Wegesrand" als Darstellung einer sich jedem Verständnis komplett entziehenden Technologie ist im Kern ja SF als vexierte Fantasy: hier sind die Menschen die rückständigen Barbaren, die von den Außerirdischen im Wortsinn hinter sich gelassen werden; alles, was die Erzähler schildern, ist aus Sicht der Aliens, die wir nie erfahren, rückständig, nichts, was geschildert wird, erfährt je eine Erklärung oder kann eine Erklärung erfahren, alles ist Mystik, die wir eben Technologie nennen.)
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Re: Fragen über Fragen – wer kann helfen #1: Keine Fantasy in der DDR und autoritären Staaten?

Ungelesener Beitrag von L.N. Muhr »

Im Übrigen wurde in anderen Ostblockstaaten durchaus Fantasy publiziert, ich sag nur Sapkowski. In Unganrn begann sich nach der VÖ von LOTR um 1980 herum eine einheimische Fantasy-Szene zu entwickeln. Die Absenz von Fantasy ist in dem Sinne auch etwas, das auf einzelne Ostblockstaaten begrenzt blieb.
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Re: Fragen über Fragen – wer kann helfen #1: Keine Fantasy in der DDR und autoritären Staaten?

Ungelesener Beitrag von T.H. »

Die Frage hatte ich mir auch mal gestellt 😊
Bereits 1993. Da hatten wir anlässlich der 40. Ausgabe unseres Fanzines SOLAR-X einige DDR-SF-Autoren gefragt, was aus ihnen geworden ist. Darüber hinaus gab es Rezis, Artikel -u.a. eben hier mein Versuch, genau dieser Frage nachzugehen: Gab es Fantasy in der DDR?
Wer will, kann ihn hier noch mal (fast in Gänze) nachlesen.
https://www.scifinet.org/scifinetboard/ ... s-der-ddr/
Ich hatte folgende Autoren und Werke genannt. Einige, also z. Grüning und Zander, würde ich heute doch eher einfach zur Phantastik zählen, außer „Das Vierstromland hinter Eden“, das ist m.M.n. Fantasy, also, irgendwie…
Ansonsten bemühte ich: Bach: „Die Glastropfenmaschine“, auch: „Gemmelshausen 0:00 Uhr“
Waldtraut Lewin: „Märchen von den Hügeln“ und „Zaubermenagerie“ – UND: der Anfang von „Federico“!
Irmtraud Morgner wird immer gern genannt; von ihr habe ich aber leider nie was gelesen. Ach, hat Uschi ja schon genannt.
Phantastische Grüße
Thomas

Phantastische Ansichten...
...in Worten
(Hinweis: Derzeit keine Internetrepräsentanz meiner Bilder; schade eigentlich...)
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Re: Fragen über Fragen – wer kann helfen #1: Keine Fantasy in der DDR und autoritären Staaten?

Ungelesener Beitrag von lapismont »

Es gab auch Abenteuerromane mit phantastischen Elementen, so erinnere ich mich an einen Mantel- und Degen-Roman über Descartes und Fermat, den ich im Nachhinein als Fantasy sehe.

Der größte, wenn auch sowjetische Fantasy-Zyklus dürfte Wolkows OZ-Adaption aber gewesen sein.

Amanda steht in der Tradition Goethes und Bulgakows, Beatriz ist irgendwie eigen; Lewin und ihre Tochter Miriam Margraf gingen sehr gern in die Fantasy, Zaubermenagerie spielt mit Tolkien-Themen und auch in Lewins historischen Romanen gibt es phantastische Elemente.

Klar, Sword & Sorcery im engen englischsprachigen Fantasy-Sinne gab es wohl nicht, aber wie gesagt, bei den Abenteuerromanen, dürfte man fündig werden.
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Re: Fragen über Fragen – wer kann helfen #1: Keine Fantasy in der DDR und autoritären Staaten?

Ungelesener Beitrag von Doop »

L.N. Muhr hat geschrieben: 11. August 2021 12:42 Im Übrigen wurde in anderen Ostblockstaaten durchaus Fantasy publiziert, ich sag nur Sapkowski. In Unganrn begann sich nach der VÖ von LOTR um 1980 herum eine einheimische Fantasy-Szene zu entwickeln. Die Absenz von Fantasy ist in dem Sinne auch etwas, das auf einzelne Ostblockstaaten begrenzt blieb.
Aber Sapkowski beginnt, wenn ich mir seinen deutschen, englischen und polnischen Wikipedia-Eintrag ansehe, erst 1990 zu publizieren, also nach dem Fall des Kommunismus und Ende der Diktatur. Hast Du andere Daten? Ungarn kann natürlich gut sein, aber die waren schon in den 80ern sehr viel liberaler, Stichwort „Gulaschkommunismus“.
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Re: Fragen über Fragen – wer kann helfen #1: Keine Fantasy in der DDR und autoritären Staaten?

Ungelesener Beitrag von Doop »

lapismont hat geschrieben: 11. August 2021 15:38
Der größte, wenn auch sowjetische Fantasy-Zyklus dürfte Wolkows OZ-Adaption aber gewesen sein.
Daran hatte ich auch gedacht, aber natürlich ist Band 1 ein unverschämtes Plagiat des Buchs von L. Frank Baum (die Folgebände gehen dann eigene Wege), und wurde eben nicht als Fantasy veröffentlicht, sondern bei der Kinderliteratur. Da, wo auch Lindgren stand, die ja nun auch phantastische Elemente in ihren Büchern hatte.

Es kommt am Ende zurück zur Definitionsfrage, und ich glaube, wenn man damals die „offiziellen Stellen“ gefragt hätte, hätten sie bestätigt, dass es eine Science Fiction Literatur gibt, aber natürlich nicht unter diesem Etikett und das man auch gerne „progressive“ SF aus dem nicht-sozialistischen Wirtschaftsgebiet veröffentlicht. Die Frage nach Fantasy hätten die verneint, weil nicht progressiv und darauf hingewiesen, dass man natürlich Kinderbücher, Märchen und Literatur mit phantastischen Elementen veröffentlicht. Denn auch im Faust gibt es ja phantastische Elemente.

Die Fantasy ist ja, hart gesagt, das Bastard-Kind der Romantik. Und im Osten wurde die Klassik, Goethe & Co., gefeiert, die Romantik aber deutlich kritischer betrachtet. Sie wurde publiziert, aber in der Tradition der Romantik sollte man sich doch bitte nicht bewegen.
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Re: Fragen über Fragen – wer kann helfen #1: Keine Fantasy in der DDR und autoritären Staaten?

Ungelesener Beitrag von lapismont »

Ja, vieles lief eben unter Märchen oder Abenteuer. In der Belletristik wird ja noch heute der Phantastikanteil eines Werkes nicht unbedingt ins Zentrum der Rezeption gestellt. Für mich war etwa Faust schon immer Fantasy, ganz besonders Faust II.
Nun, nicht ganz von Anfang an, mit 16 oder so kannte ich den Begriff Fantasy glaub ich noch nicht. Aber ich hatte mit unserer Deutschlehrerin einen Disput darüber, warum ich Faust mit meinen utopischen Romanen vergleiche. Sie war zwar sehr offen (und hatte auch nicht so viele Interessierte in ihrem Fach), aber so weit ging sie dann doch nicht.
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Re: Fragen über Fragen – wer kann helfen #1: Keine Fantasy in der DDR und autoritären Staaten?

Ungelesener Beitrag von Doop »

lapismont hat geschrieben: 11. August 2021 18:19 Ja, vieles lief eben unter Märchen oder Abenteuer. In der Belletristik wird ja noch heute der Phantastikanteil eines Werkes nicht unbedingt ins Zentrum der Rezeption gestellt. Für mich war etwa Faust schon immer Fantasy, ganz besonders Faust II.
Nun, nicht ganz von Anfang an, mit 16 oder so kannte ich den Begriff Fantasy glaub ich noch nicht. Aber ich hatte mit unserer Deutschlehrerin einen Disput darüber, warum ich Faust mit meinen utopischen Romanen vergleiche. Sie war zwar sehr offen (und hatte auch nicht so viele Interessierte in ihrem Fach), aber so weit ging sie dann doch nicht.
:beanie:
Eine kleine Schulanekdote zum Thema SF habe ich auch.

11. Klasse 1987: Englischlehrerin nennt uns bedeutende amerikanische Schriftsteller, darunter H.G. Wells.

Ich: Der war Engländer.

Lehrerin irritiert: Aber das habe ich so im Studium aufgrschrieben!

Tja, da wusste ich, Englisch muss ich mir selbst beibringen. Aber ich fand es als SF-Fan nett, dass man Wells doch wichtig fand :-)
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Re: Fragen über Fragen – wer kann helfen #1: Keine Fantasy in der DDR und autoritären Staaten?

Ungelesener Beitrag von Uschi Zietsch »

lapismont hat geschrieben: 11. August 2021 15:38 Klar, Sword & Sorcery im engen englischsprachigen Fantasy-Sinne gab es wohl nicht,
In Westdeutschland aber auch nicht - nur sporadisch hie und da Lizenzen.
Ebensowenig High Fantasy.

1986 erschien der High Fantasy Roman "Sternwolke und Eiszauber" einer jungen, aufstrebenden deutschen Autorin im Heyne Verlag, was die erste deutsche Originalveröffentlichung und noch dazu von einer Frau seit langer Zeit war. Nur etwas früher begann Hohlbein seinen Aufstieg und da war noch MYTHOR. Der Rest war Schweigen.
Michael Endes Unendliche Geschichte und Momo wurden überhaupt nicht als Fantasy, sondern als Kinderbuch gehandelt und stellten hohe finanzielle Risiken des Verlags dar. Momo lief zuerst überhaupt nicht, erst nachdem die Unendliche Geschichte den Durchbruch hatte, und die schaffte es durch das Spiegel-Feuilleton.
Deutsche Fantasy-Autoren waren aber auch nach meinem Einstieg noch nicht weiter gefragt - deswegen kam es zur Gründung von Fabylon. Hohlbein hatte Glück mit seinem Märchenmond-Preis, der ihm den Durchbruch verschaffte, aber deutschen Autoren dennoch kaum Chancen bot.
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Re: Fragen über Fragen – wer kann helfen #1: Keine Fantasy in der DDR und autoritären Staaten?

Ungelesener Beitrag von Hahlebopp »

Sehe ich ähnlich. Fantasy ist doch eigentlich in ganz Deutschland noch ein ziemlich junges Genre.
An älteren, deutschen Sachen fällt mir da, auf die Schnelle, jetzt eigentlich nur "Das Schwarze Auge" ein. Wobei das ja eigentlich mehr ein Pen- & Paper-Rollenspiel ist ... Ich weiss jetzt ehrlich gesagt gar nicht - gibt's davon überhaupt Bücher bzw. gab es damals Bücher zu diesem Spieleuniversum? ...
Im Bereich Low-Fantasy, würde ich sogar sagen, gibt es selbst heute noch, auch weltweit (!) nur sehr wenige Bücher bzw. Autoren. Richtig gute, großartige Autoren im Low-Fantasy-Bereich gibt es noch viel weniger. Rice Borroughs, Howard, K. E. Wagner und dann wird die Luft aber auch schon recht dünn... (Wobei man natürlich durchaus darüber streiten könnte, wer oder was gute Low-Fantasy-Autoren sind. :D ... David Gemmells Bücher konnten mich auch fast durchweg begeistern, aber ich würde ihn eher irgendwo zwischen Low- und High-Fantasy einordnen.)
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Re: Fragen über Fragen – wer kann helfen #1: Keine Fantasy in der DDR und autoritären Staaten?

Ungelesener Beitrag von Hahlebopp »

"Faust" würde ich aber ebenfalls dem Fantasy-Genre zuordnen. :prima:
... Jetzt so beim Nachdenken fallen mir noch "Undine" von Friedrich de la Motte Fouqué und "Das Glasperlenspiel" von Hermann Hesse ein. Wobei Ersteres natürlich einen sehr starken Märchen-Charakter hat und Letzteres nur einen sehr geringen fantastischen Anteil.
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