Sollte man das Lesen gegenwärtiger SF einstellen?
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Re: Sollte man das Lesen gegenwärtiger SF einstellen?
Das Problem bei solchen Verboten ist, dass es ein Fass ohne Boden ist. Der "Eskimo" wurde zum "Inuit", bis man feststellte, dass dieser auch nur EIN Stamm unter vielen ist und deshalb im Grunde eine falsche Bezeichnung. Aber es werden ganz bestimmt nicht 50 Stämme (oder Gruppen oder was weiß ich) aufgezählt, wenn man EINE Volksgruppe benennen möchte. Auf Dauer ist diese Korrektheit unpraktikabel. Das merkte man dann, als man gezwungen war, jede noch so kleine Minderheit zu berücksichtigen. Das ist lobenswert, widerspricht aber dem täglichen Umgang mit Begriffen, die immer extrem zusammenfassen, weil es sonst explodiert. Es wäre eher anzuraten, Begriffe zu "reinigen", denn im Laufe der dunklen Menschheitsgeschichte werden immer mehr Begriffe tabuisiert. Der Begriff "Rasse" tauchte in jedem SF über Aliens auf, obwohl das faktisch falsch ist. Vorausgesetzt, man geht von DNS als Grundlage aus, wären Aliens mindestens "Arten", aber eher ganze Klassen oder gar Reiche. Muss man also jedes Wort ausmerzen, das belastet ist?
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Harald Lesch
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Re: Sollte man das Lesen gegenwärtiger SF einstellen?
Du fragst, ob man Begriffe, die falsch sind, nicht einfach weglassen könnte?
Öhm ... ja.
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Re: Sollte man das Lesen gegenwärtiger SF einstellen?
Ich hoffe jedoch, dass es nicht das Fehlen von Worten wie ******, ****** und *****, die das Lesen aktueller SF für manchen so uninteressant machen. Ich glaube nämlich nicht, dass genannte Worte etwas mit der Qualität eines Textes zu tun haben. (Oder nur bedingt: der schwarze Zeitreisende, den es in die Sezessionsära verschlägt, wird bestimmte Worte sehr häufig hören, und es wäre ein schlechter Text, wenn der Sklavenhalter seine Peitsche schwingt und von people of color redet.)
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Re: Sollte man das Lesen gegenwärtiger SF einstellen?
Ich hoffe mal, dass es sich hier um eine gewisse Lust an der Provokation handelt. Ich habe ehrlich gesagt keine Lust, über das Internet so eine Diskussion im Anonymen zu führen. Ich finde das Thema wichtig und werde jetzt direkt meine Haltung dazu schreiben. Ohne irgendwelchen Debattiermodus oder rhetorische Kniffe.
Das N-Wort ist nicht verboten. Du hast ja demonstriert, dass du es relativ einfach benutzen kannst. Wird es in einem Text gebraucht, der zu einer Zeit spielt, in der das Wort allgemein gebräuchlich war und der auch die damit einhergehende Rassismuserfahrung betroffener Menschen deutlich macht, würde ich die Verwendung wahrscheinlich als angemessen empfinden. Ohne diesen Kontext sehe ich nicht, warum man das Wort weiterhin gebrauchen sollte.
Die Verbotsdebatte wurde hier in diesem Thread in dem Zusammenhang mit der These angeführt, dass die derzeitige Literatur mit dem Verbot von Worten zu "seicht" sei und dass ihr damit die "Ecken und Kanten" fehlen. Ich finde nicht, dass die Verwendung des N-Wortes einem Text seine Ecken und Kanten gibt. Es macht einen Text auch nicht tief.
Das N-Wort ist nicht verboten. Du hast ja demonstriert, dass du es relativ einfach benutzen kannst. Wird es in einem Text gebraucht, der zu einer Zeit spielt, in der das Wort allgemein gebräuchlich war und der auch die damit einhergehende Rassismuserfahrung betroffener Menschen deutlich macht, würde ich die Verwendung wahrscheinlich als angemessen empfinden. Ohne diesen Kontext sehe ich nicht, warum man das Wort weiterhin gebrauchen sollte.
Die Verbotsdebatte wurde hier in diesem Thread in dem Zusammenhang mit der These angeführt, dass die derzeitige Literatur mit dem Verbot von Worten zu "seicht" sei und dass ihr damit die "Ecken und Kanten" fehlen. Ich finde nicht, dass die Verwendung des N-Wortes einem Text seine Ecken und Kanten gibt. Es macht einen Text auch nicht tief.
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Re: Sollte man das Lesen gegenwärtiger SF einstellen?
Ich schließe mich hier Ender und Pogo an, vermutlich meint Montag auch ähnliches.
Ein paar Jahrzehnte nach meiner Erstlektüre von Robinson Crusoe Band 1 (ich war unter zehn) weiß ich auch deutlich mehr über Rassismus.
Ich habe mit meinem Jüngsten Diskussionen um Prügelstrafen geführt (Michel) und musste mich damit befassen, warum die Magd so dumm und die Mutter so mitläuferisch dargestellt wurde.
Meiner Meinung nach, mangelt es bei der Diskussion um den Erhalt solcher Texte als Kulturgut/SuperduperDing/Weltbestseller einfach an Empathie.
Michel ist gut, um zu zeigen, wie scheiße Prügel und Patriarchat sind. Aber als Kinderbuch ist es out of date.
Pipi ist eine coole antiautoritäre Socke, aber ihr Vater ist ein weißer Kolonialherr, der in modernen Kinderbüchern in den Knast gehört.
Vielleicht muss man die Bücher nicht ändern, aber könnte sie dann zumindest auf den Abfallhaufen der Geschichte werfen.
Was auch auf diverse SF-Kurzgeschichten etwa von Dick zutrifft, die aus den 50ern stammen und ich letztes Jahr las. Ihre Zeit ist einfach vorbei. Es gibt genug gutes von heute, für heute.
Ein paar Jahrzehnte nach meiner Erstlektüre von Robinson Crusoe Band 1 (ich war unter zehn) weiß ich auch deutlich mehr über Rassismus.
Ich habe mit meinem Jüngsten Diskussionen um Prügelstrafen geführt (Michel) und musste mich damit befassen, warum die Magd so dumm und die Mutter so mitläuferisch dargestellt wurde.
Meiner Meinung nach, mangelt es bei der Diskussion um den Erhalt solcher Texte als Kulturgut/SuperduperDing/Weltbestseller einfach an Empathie.
Michel ist gut, um zu zeigen, wie scheiße Prügel und Patriarchat sind. Aber als Kinderbuch ist es out of date.
Pipi ist eine coole antiautoritäre Socke, aber ihr Vater ist ein weißer Kolonialherr, der in modernen Kinderbüchern in den Knast gehört.
Vielleicht muss man die Bücher nicht ändern, aber könnte sie dann zumindest auf den Abfallhaufen der Geschichte werfen.
Was auch auf diverse SF-Kurzgeschichten etwa von Dick zutrifft, die aus den 50ern stammen und ich letztes Jahr las. Ihre Zeit ist einfach vorbei. Es gibt genug gutes von heute, für heute.
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Re: Sollte man das Lesen gegenwärtiger SF einstellen?
Dick: Nein, das ist falsch. Es wird wenig bessere zeitgenössische literarische Beschreibungen des mittleren 20. Jahrhunderts der amerikanischen Westküste geben. Verfilmungen, die behaupten auf irgendwas mit Dick zu tun zu haben, deren Zeit war nur ganz kurz mal da. Und die gehören hauptsächlich weg, weil sie seinen Topos schon bei erscheinen nicht erfasst haben.lapismont hat geschrieben: 7. Dezember 2023 23:19 Was auch auf diverse SF-Kurzgeschichten etwa von Dick zutrifft, die aus den 50ern stammen und ich letztes Jahr las. Ihre Zeit ist einfach vorbei.
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Re: Sollte man das Lesen gegenwärtiger SF einstellen?
Pippi, bitte. Pipi ist was anderes.




Abgesehen davon, gerade bei Pippi Langstrumpf ist es leicht, ein paar Umformulierungen vorzunehmen.
Und wo das nicht mehr geht - nun, dann, genau wie Lapis gesagt hat, ist einfach die Zeit solcher Kinderbücher vorbei. (Nicht Erwachsenenliteratur, das gehört zur Historie dazu und damit kann man als Erwachsener umgehen. Hust, mehr oder minder fortschrittlich.)
Es ist wie mit allem, das sich ändern soll: Ist es denn wirklich so schlimm und schmerzhaft, einfach einen anderen Begriff zu verwenden? Warum muss ich darauf beharren, einen Begriff zu verwenden, der negativ behaftet ist (zumeist rassistisch oder diskriminierend, siehe "Fräulein"), nur weil das damals so üblich war? Es ist doch im Gegenteil gut zu erkennen, was man früher so alles gedankenlos dahingeredet hat, aber nun, da man es weiß, es einfach lassen kann. Geht im Grunde ganz schnell, wenn man sich darauf einlässt, und tut echt nicht weh.
Peinlich ist es dann, wenn solche Leute meinen, in der zB SF-Stammtischrunde laut im Lokal rumtönen zu müssen, dass sie solche Begriffe nicht schlimm finden und sie weiter verwenden, jawohl und basta. (Ich rede nicht vom Münchner, das war im Rahmen eines SF-Cons.) Da musste ich ganz schnell zahlen und gehen.
Ich finde es übel, SF-Leser zu sein, sich mit Zukunftsvisionen auseinanderzusetzen, eigentlich dadurch eher progressiv zu sein und dann auf solche falschen Begrifflichkeiten, um anderen damit wehtzutun, zu beharren. Das ist kolonialistisches Herrendenken.

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Re: Sollte man das Lesen gegenwärtiger SF einstellen?
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Re: Sollte man das Lesen gegenwärtiger SF einstellen?
Echt jetzt? Und wenn in 10 Jahren dann die Nazis eine Mehrheit haben, dann wandern die Bücher von Ann Lackie, von Tamsyn Muir und von Catherynne M. Valente auf den Abfallhaufen? Und die können sich dann auf solche Aussagen stützen?lapismont hat geschrieben: 7. Dezember 2023 23:19
Vielleicht muss man die Bücher nicht ändern, aber könnte sie dann zumindest auf den Abfallhaufen der Geschichte werfen.
Bin ich hier echt der einzige, der Bücher, egal ob die wie Lindgren zum Kanon der Weltliteratur (!) zählen, nicht ändern und nicht auc den Müllhaufen werfen will? Gleiches gilt für Filme und jede andere Kunst.
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Re: Sollte man das Lesen gegenwärtiger SF einstellen?
Abfallhaufen der Geschichte. Kleiner Unterschied.Doop hat geschrieben: 8. Dezember 2023 10:39Echt jetzt? Und wenn in 10 Jahren dann die Nazis eine Mehrheit haben, dann wandern die Bücher von Ann Lackie, von Tamsyn Muir und von Catherynne M. Valente auf den Abfallhaufen? Und die können sich dann auf solche Aussagen stützen?lapismont hat geschrieben: 7. Dezember 2023 23:19
Vielleicht muss man die Bücher nicht ändern, aber könnte sie dann zumindest auf den Abfallhaufen der Geschichte werfen.
Bin ich hier echt der einzige, der Bücher, egal ob die wie Lindgren zum Kanon der Weltliteratur (!) zählen, nicht ändern und nicht auc den Müllhaufen werfen will? Gleiches gilt für Filme und jede andere Kunst.
Oder hat bei Dir Wie der Stahl gehärtet wurde einen Platz im Regal? Ich vermute sehr, dass Du auch bei DDR-SF einiges als überholt ansiehst.
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Re: Sollte man das Lesen gegenwärtiger SF einstellen?
Auch bei Büchern gibt es natürliche und unnatürliche Auslese. Die allermeisten Bücher unterliegen ersterer, insofern wird zweitere weitgehend nur von Diktaturen angewandt. (Ausnahmen sind Extremfälle wie "Mein kampf", das aber eigentlich auch nicht verboten ist, trotzdem könnte man die Umwegkonstruktion über das Urheberrecht als Verbot betrachten.)
"Wie der Stahl gehärtet wurde" hat sich von selber aussortiert, vielleicht auch, weil es vorher jahrzehntelang mit Krampf reingedrückt wurde, ich weiss es nicht. (Der Kelch ging an mir vorüber.) Keine Ahnung, ob das was taugt.
Bücher verwehen, das ist ganz normal. Wie viele Bestsellerautoren des 19. Jahrhunderts lesen oder kennen wir denn noch?
Anders ist das bei Elementen von Texten. Gerade im Zuge einer Recherche bei Kurt Mahr gelesen, "ein Mädchen von höchstens 25 Jahren", Text von 1973. Geht irgendwie so gar nicht mehr, ging vermutlich damals eigentlich schon nicht mehr.
Wenn wir über veraltete Texte reden, reden wir fast immer über Elemente von Texten, nicht über gesamte Texte. Es geht um einzelne Begriffe, Figuren, Namen, Rollen - aber höchst selten um das gesamte Buch. Diese Differenzierung wird oft vergessen. Es geht um die Frage, ob einzelne Begriffe, Figuren, Namen, Rollen auf den Müll- oder Abfallhaufen (what's the difference?) der Geschichte gehören, nicht ganze Texte. Natürlich kann und muss man fragen, wie elementar diese Elemente (hrr hrr) sind, über die man redet. Aber bisher wüsste ich wenig Beispiele, wo es wirklich einen Unteschied macht, ob man N***** oder Schwarzer sagt.
Was neue Texte angeht, in denen einige Leser offenbar Worte vermissen, bin ich ganz sardonisch: Jeder Text ist endlich, und es ist einfach nicht genug Platz für jedes Wort in ihm. Da kann man nix machen.
"Wie der Stahl gehärtet wurde" hat sich von selber aussortiert, vielleicht auch, weil es vorher jahrzehntelang mit Krampf reingedrückt wurde, ich weiss es nicht. (Der Kelch ging an mir vorüber.) Keine Ahnung, ob das was taugt.
Bücher verwehen, das ist ganz normal. Wie viele Bestsellerautoren des 19. Jahrhunderts lesen oder kennen wir denn noch?
Anders ist das bei Elementen von Texten. Gerade im Zuge einer Recherche bei Kurt Mahr gelesen, "ein Mädchen von höchstens 25 Jahren", Text von 1973. Geht irgendwie so gar nicht mehr, ging vermutlich damals eigentlich schon nicht mehr.
Wenn wir über veraltete Texte reden, reden wir fast immer über Elemente von Texten, nicht über gesamte Texte. Es geht um einzelne Begriffe, Figuren, Namen, Rollen - aber höchst selten um das gesamte Buch. Diese Differenzierung wird oft vergessen. Es geht um die Frage, ob einzelne Begriffe, Figuren, Namen, Rollen auf den Müll- oder Abfallhaufen (what's the difference?) der Geschichte gehören, nicht ganze Texte. Natürlich kann und muss man fragen, wie elementar diese Elemente (hrr hrr) sind, über die man redet. Aber bisher wüsste ich wenig Beispiele, wo es wirklich einen Unteschied macht, ob man N***** oder Schwarzer sagt.
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Re: Sollte man das Lesen gegenwärtiger SF einstellen?
Interessant übrigens, dass es bei all diesen Verbotsdebatten fast immer nur um Triggerwords geht, von allen Seiten.
Sofern ein Wort nicht elementar für das Verständnis des Textes ist (siehe mein Beispiel zum Sklavenhaltersprech), ist es zunächst einmal völlig egal, ob es drinsteht oder nicht. Diese ganze Triggerwortdebatte verdeckt doch, dass Literatur zuallererst einmal Struktur ist: Plot, Aufbau, Figurenentwurf. Und dass man all diese Dinge fast immer mit und ohne bestimmte Worte erreichen kann. Ein Text kann ganz ohne Triggerworte sexistisch sein (Heinlein, hust hust), einer mit Triggerworten von tiefem Humanismus geprägt.
Mir fehlt in den ganzen Debatten die Erkenntnis, dass es nicht um einzelne Worte geht. Vielleicht bin ich zu sehr Übersetzer, aber: Worte sind fast immer austauschbar. Jede Debatte über Wortaustausch in der Literatur schrammt letztlich an der Oberfläche lang, ohne zu begreifen, worüber sie redet.
Sofern ein Wort nicht elementar für das Verständnis des Textes ist (siehe mein Beispiel zum Sklavenhaltersprech), ist es zunächst einmal völlig egal, ob es drinsteht oder nicht. Diese ganze Triggerwortdebatte verdeckt doch, dass Literatur zuallererst einmal Struktur ist: Plot, Aufbau, Figurenentwurf. Und dass man all diese Dinge fast immer mit und ohne bestimmte Worte erreichen kann. Ein Text kann ganz ohne Triggerworte sexistisch sein (Heinlein, hust hust), einer mit Triggerworten von tiefem Humanismus geprägt.
Mir fehlt in den ganzen Debatten die Erkenntnis, dass es nicht um einzelne Worte geht. Vielleicht bin ich zu sehr Übersetzer, aber: Worte sind fast immer austauschbar. Jede Debatte über Wortaustausch in der Literatur schrammt letztlich an der Oberfläche lang, ohne zu begreifen, worüber sie redet.
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Re: Sollte man das Lesen gegenwärtiger SF einstellen?
Jep, bei der natürlichen ist das der normale Verlauf, weil eben nicht alles gut altert und man eben nicht über die Jahrhunderte alles lesen will. Man muss ja auch der Moderne eine Chance geben. Zeitgenössisch - klingt nicht nur so. Deswegen habe ich mich im gymnasialen Deutschunterricht geärgert, dass wir nur "alten Kram" durchgenommen haben, anstatt sich mit dem auseinanderzusetzen, was gerade aktuell bedeutsam ist. Natürlich kann man die Klassiker ansprechen, aber sie sollten nicht diese Gewichtung haben.L.N. Muhr hat geschrieben: 8. Dezember 2023 12:37 Auch bei Büchern gibt es natürliche und unnatürliche Auslese.
Ich hab noch nie davon gehört ^^"Wie der Stahl gehärtet wurde" hat sich von selber aussortiert, vielleicht auch, weil es vorher jahrzehntelang mit Krampf reingedrückt wurde, ich weiss es nicht. (Der Kelch ging an mir vorüber.) Keine Ahnung, ob das was taugt.
Vor allem, die hatten zweifache Doktortitel und wurden zum Kaffeeholen geschickt.Anders ist das bei Elementen von Texten. Gerade im Zuge einer Recherche bei Kurt Mahr gelesen, "ein Mädchen von höchstens 25 Jahren", Text von 1973. Geht irgendwie so gar nicht mehr, ging vermutlich damals eigentlich schon nicht mehr.
Niemand hat damals darüber nachgedacht, auch ich habe sehr lange nicht darüber nachgedacht, was ich da so schreibe. Erst ab 30 habe ich angefangen, darüber nachzudenken - und bin erschrocken, was ich in meinen alten Texten an patriarchalischem Gedankengut drinhatte, obwohl ich mich für eher freidenkerisch und rebellisch hielt. "Mädchen" war dabei noch das Harmloseste. Und ja, auch heute noch verwenden Frauen in Texten den Begriff "Mädchen", aber nicht als Anrede untereinander, sondern im Fließtext.
Denkanstoß war damals tatsächlich der Text eines Mannes, den ich prüfen sollte, und in dem stand "mit ihren 35 Jahren sah sie immer noch gut aus".
Aber gut, wenn es heute noch einen Aufstand gibt, weil Pamela Anderson mit ihren rund 55 Jahren ungeschminkt auf den Laufsteg geht, bin ich ... nein, nicht milder gestimmt, sondern eher noch wütender.
Ganz klar, volle Zustimmung. Bis auf einen historischen Roman wie "Vom Winde verweht", wo das in den historischen Kontext gehört, da der Umgangston nun mal so war. Wie bei "Django Unchained". Ist es aber einfach im Fließtext als Erwähnung, dann kann man das ganz einfach austauschen. So wie ich bei der Elfenzeit aus den "Seezigeunern" die "Seenomaden" gemacht habe. Kein Thema, tut nicht weh. Ein Wort gegen ein anderes, und die Bedeutung versteht man ja trotzdem.Wenn wir über veraltete Texte reden, reden wir fast immer über Elemente von Texten, nicht über gesamte Texte. Es geht um einzelne Begriffe, Figuren, Namen, Rollen - aber höchst selten um das gesamte Buch. Diese Differenzierung wird oft vergessen. Es geht um die Frage, ob einzelne Begriffe, Figuren, Namen, Rollen auf den Müll- oder Abfallhaufen (what's the difference?) der Geschichte gehören, nicht ganze Texte. Natürlich kann und muss man fragen, wie elementar diese Elemente (hrr hrr) sind, über die man redet. Aber bisher wüsste ich wenig Beispiele, wo es wirklich einen Unteschied macht, ob man N***** oder Schwarzer sagt.
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Re: Sollte man das Lesen gegenwärtiger SF einstellen?
Ja, das hatte ich mit meinem Zeitreise-Beispiel weiter oben ja erwähnt.
Ansonsten: "Wie der Stahl gehärtet wurde", Roman zum Aufbau der SU, Schullektüre in der DDR, kurz bevor wir den drangenommen hätten, ging besagte DDR allerdings unter. Lapi und Doop mussten aber noch an ihm leiden. Zufall?
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Re: Sollte man das Lesen gegenwärtiger SF einstellen?
Weder bin ich dafür, dass „Wie der Stahl gehärtet wurde“ textlich abgeändert wird, noch dafür, dass das Buch nicht mehr publiziert wird. Für jede textgetreue Ausgabe, gerne mit einem einordnenden Vorwort eines Historikers, der den stalinistischen Hintergrund erklärt und die Zwangsrezeption in DDR-Schulen, wäre ich sehr dankbar. Mein Kollege, gebürtiger Kieler, in den 80ern geboren, FDP- und nicht etwa MLPD-Mitglied, hat sich vor Jahren dieses Buch antiquarisch beschafft aus historischem Interesse. Und er hat es auch gelesen. Was auf den Müllhaufen gehört, sollte jeder Leser ganz individuell für sich entscheiden dürfen.lapismont hat geschrieben: 8. Dezember 2023 12:21Abfallhaufen der Geschichte. Kleiner Unterschied.Doop hat geschrieben: 8. Dezember 2023 10:39Echt jetzt? Und wenn in 10 Jahren dann die Nazis eine Mehrheit haben, dann wandern die Bücher von Ann Lackie, von Tamsyn Muir und von Catherynne M. Valente auf den Abfallhaufen? Und die können sich dann auf solche Aussagen stützen?lapismont hat geschrieben: 7. Dezember 2023 23:19
Vielleicht muss man die Bücher nicht ändern, aber könnte sie dann zumindest auf den Abfallhaufen der Geschichte werfen.
Bin ich hier echt der einzige, der Bücher, egal ob die wie Lindgren zum Kanon der Weltliteratur (!) zählen, nicht ändern und nicht auc den Müllhaufen werfen will? Gleiches gilt für Filme und jede andere Kunst.
Oder hat bei Dir Wie der Stahl gehärtet wurde einen Platz im Regal? Ich vermute sehr, dass Du auch bei DDR-SF einiges als überholt ansiehst.
Gegen einordnende Vorwörter von Fachleuten bin ich übrigens immer offen. Und was die DDR-SF angeht: selbst Tuschel und Kröger verdienen es, dass man sich auch künftig anhand der Texte mit ihnen auseinandersetzen kann.