Der fünfte Kopf des Zerberus

Science Fiction in Buchform
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Michael Iwoleit

Ungelesener Beitrag von Michael Iwoleit »

Hallo Leute,

aus zweierlei Gründen finde ich es betrüblich, daß ein Buch wie
"The Fifth Head of Cerberus" so wenig Aufmerksamkeit hervor-
gerufen hat. Sagen wir, aus einem internen und einem externen
Grund.

Da beklagen sich Science Fiction-Liebhaber immer wieder, daß
die SF nicht ernst genommen, daß sie pauschal in die Schundecke
abgeschoben wird. Gleichzeitig kommt es vor, daß SF-Leser selbst
mit einigen der besten literarischen Leistungen in der SF schlechter-
dings nichts anzufangen wissen - wobei mir dann der düstere Verdacht
kommt, daß der typische SF-Leser wenig außerhalb der SF liest und
deshalb ratlos ist, wenn ein SF-Autor etwas schreibt, das in Sachen
Komplexität und stilistischem Niveau mit der besten zeitgenössischen
Literatur außerhalb der SF mithalten kann. Aber dreschen wir nicht
ungerechterweise auf die SF-Leser ein: Das Verständnis des durch-
schnittlichen Buchkäufers reicht für Erzähltechniken, die aus der
Mitte des neunzehnten Jahrhunderts stammen. Bedenken wir, daß
das Erscheinen richtungsweisender Werke der modernen Literatur
(Kafka, Joyce, Proust etc.) inzwischen 60 bis 80 Jahre zurückliegt,
so dürften viele in ihren Köpfen noch nicht im 20. Jahrhundert an-
gekommen sein und mit Erzähltechniken Schwierigkeiten haben,
die für jeden Autor mit ein bißchen Anspruch seit Jahrzehnten
selbstverständlich sind.

Angesichts dessen darf man sich natürlich nicht wundern, wenn -
um nur einige Beispiele zu nennen - den durchschnittlichen SF-
Lesern entgangen ist, daß Barry Malzberg einer der kraftvollsten
und intensivsten Autoren der amerikanischen SF ist, daß Brian
Aldiss mit "Barefoot in the Head" so etwas wie das "Finnegans
Wake" der SF geschrieben hat. Und daß "The Fifth Head of Cerberus"
(neben "The Dispossessed" von Ursula LeGuin) eines der größten SF-
Werke der Siebziger ist, vielleicht einer der zehn besten SF-Romane
in englischer Sprache.

Andererseits: Da machen sich Literaturkritiker und -wissenschaftler
immer wieder größte Mühe, SF-Liebhaber auf das hinzuweisen, was
sie längst schon wissen, nämlich daß 90% der SF - wie sollte es
anders sein - Mist und der Erwähnung nicht wert ist. Gleichzeitig
werden SF-Bücher, die für einen Philologen ein gefundenes Fressen
und schlagender Beweis dafür sein müßten, was SF im Idealfall sein
kann, völlig ignoriert. Klar, wundert mich nicht. Es ist ja auch mühsam,
im SF-Lexikon mal ein paar Seiten über Asimov und Clarke hinaus-
zublättern. Man kann von einem Literaturwissenschaftler nicht erwar-
ten, daß er, neben großen Reden zu schwingen, auch noch die Kunst
beherrscht, in die Tiefe zu recherchieren. Seufz...

Fazit: Wenn SF das erreicht, was immer wieder von ihr verlangt wird,
nämlich ein ernstzunehmendes literarisches Niveau, dann ist sie eine
Minoritätensache. Die Tatsache, daß die vielen guten Autoren der
Neunziger - Egan, McAuley, Hamilton etc. - eine gewissen Anhänger-
schaft gefunden haben, hat daran nichts Grundsätzliches geändert.

Gruß
Michael
deval
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Ungelesener Beitrag von deval »

tja, so wahr das auch ist, aber da kann man nur auf den threat mit dem thema -qualität- hinweisen. jeder legt selbst fest was gut und nicht gut ist.

selbst wenn jeder sf roman eine offenbarung wäre, gäbe es immer noch genug kritiker die etwas finden würden auf dem sie rumhacken könnten.

wenn noch ein oder zwei postings kommen, werde ich mir das buch von wolfe wohl doch kaufen. scheint ja wirklich was dran zu sein.
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Jorge
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Re: Alles von G.W. ist gut, außer "Frees Vermächtnis&am

Ungelesener Beitrag von Jorge »

Stefan Hoffmann hat geschrieben: Den Hinweis auf Wolfes Novellen fand ich aber ausgesprochen hilfreich. Gibts noch weitere Wolfe-Novellen, die einer dringenden Empfehlung bedürfen? Ich bin ganz Ohr! :)
Stefan
Die Storysammlung "Das Buch der Feiertage"(Heyne SF), darin enthalten u.a. "Krieg unter dem Weihnachtsbaum".
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Stefan Hoffmann
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Ungelesener Beitrag von Stefan Hoffmann »

Michael Iwoleit hat geschrieben:Fazit: Wenn SF das erreicht, was immer wieder von ihr verlangt wird, nämlich ein ernstzunehmendes literarisches Niveau, dann ist sie eine Minoritätensache. Die Tatsache, daß die vielen guten Autoren der Neunziger - Egan, McAuley, Hamilton etc. - eine gewissen Anhängerschaft gefunden haben, hat daran nichts Grundsätzliches geändert.
Das stimmt in jedem Fall, aber was schließen wir daraus? Ich bin der Meinung, daß ein Autor in erster Linie selber dafür verantwortlich ist, daß sein Werk auch ein Publikum findet.

Hamilton ist hier ein gutes Beispiel, weil er nicht nur gut schreibt und viele interessante Ideen einarbeitet, sondern es auch schafft, gut lesbare, absolut spritzige Space-Opera daraus zu stricken. Ich weiß nun nicht, wie irrsinnig groß der kommerzielle Erfolg für ihn war, aber sicherlich im Genre-Vergleich beachtlich.

Wolfe hingegen schreibt schon teilweise seeeehr speziell und ich habe nicht gerade den Eindruck, daß er den kommerziellen Erfolg sucht. Irgendwie hängt er nicht ganz zu Unrecht in dieser Nische (literarisch) in der Nische (SF), wenn er seine Prioritäten so setzt. Deswegen halte ich aber natürlich trotzdem das "Buch der neuen Sonne" für ein Meisterwerk, und ein gut lesbares und interessantes Meisterwerk dazu, dem völlig zu Unrecht hierzulande nicht die Achtung zukommt, die es verdient.

(Ob ich für Wolfes Novellen zu einer ähnlichen Ansicht gelange, muß ich leider erst noch rausfinden. Der 5. Kopf des Zerberus ist bestellt. :) )


Stefan
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Stefan Hoffmann
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Re: Alles von G.W. ist gut, außer "Frees Vermächtnis&am

Ungelesener Beitrag von Stefan Hoffmann »

Jorge hat geschrieben: Die Storysammlung "Das Buch der Feiertage"(Heyne SF), darin enthalten u.a. "Krieg unter dem Weihnachtsbaum".
Danke für den Tipp! :)


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Nessuno
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Ungelesener Beitrag von Nessuno »

"Das Buch der Feiertage" ist tatsächlich eine tolle Sammlung - gerade für Leute, die Gene Wolfe nicht so gut kennen und erst mal etwas Kürzeres lesen wollen.
Meine Lieblingsstory ist "Forlesen". Sollte Pflichtlektüre für alles Essers und Ackermänner dieser Welt werden.
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Ungelesener Beitrag von Clavius »

Ich freue mich, dass nun doch noch so etwas wie eine Diskussion ins Rollen gekommen ist! Dies um so mehr, als das Werk von Gene Wolfe wirklich eine etwas engagiertere Aufnahme verdient hat. Natürlich darf dies nicht den kritischen Blick verstellen. Doch hebt sich gerade dieser Autor wohltuend von der futuristischen Dutzendware ab.

Zu den vorherigen Anmerkungen ein paar Kommentare meinerseits:

1. Es trifft zu, dass "Frees Vermächtnis" im Vergleich zu früheren Werken Wolfes deutliche Schwächen aufweist. Das gilt - leider - auch für das Buch der Langen Sonne. Im Grunde hat das schon mit "Soldat des Nebels" angefangen, der in Dtl. ohnehin nur im ersten Band veröffentlicht wurde. Der Grund liegt meines Erachtens darin, dass sich Wolfe in den Neunzigern zum "Vielschreiber" gewandelt hat, was letztlich dazu führte, dass er unter seinem Niveau gelandet ist.

2. Welche Novellen sind zu empfehlen? Eine Vielzahl wirklich guter Geschichten erschien in den Achtzigern. Hervorzuheben: "The death of Dr. Island", "der wunderbare messingfarbene Schachautomat", "The Toy Theatre".
Weitere Romane, die mir nicht so gut gefallen: "Operation Ares", "der Teufel hinter den Wäldern".

Übrigens: in vielen dieser Kurzgeschichten u. Romane "wetterleuchten" bereits die Motive, die Wolfe dann im "Buch der neuen Sonne" in so unvergleichlicher Weise bebildert hat!

Das "Buch der Neuen Sonne" wurde wiederum durch einen fünften Band "Die Urth der Neuen Sonne" abgeschlossen. Wie hat Euch der eigentlich gefallen?

3. Wahrscheinlich liegt ein Grund für die - schleppende - Rezeption der Wolfe' schen Werke schlicht und einfach in ihrer komplexen Struktur. Gerade bei einem Meisterwerk wie dem "5. Kopf" ist es mit einmal Lesen nicht getan! Die Geschichte(n) sind so verwinkelt und virtuos miteinander verbunden, wie ich dies nur selten vorher in der SF erlebt haben. Auch die Milieuschilderungen sind perfekt. Fazit: Wolfe beherrscht nicht nur das kleine Einmaleins der Nachwuchsautoren. Der Mann kann "wirklich" schreiben!

In diesem Zusammenhang möchte ich ein großes Lob an die Übersetzerin des "5. Kopfs" - Frau Yoma Cap aussprechen: selten ist ein Werk der SF mit so viel Einfühlungsvermögen und Sachkenntnis ins Deutsche übertragen worden!!!

Zuletzt: die SF tut sich in Dtl. halt insgesamt schwer. Offensichtlich fehlt hier der "Faustische Charakter". Folglich sieht sie sich schnell - ebenso wie Comics oder Filmmusik - in die triviale Ecke abgestellt. Aufgrund dieser Vorurteile (die sich ja leider nur allzu oft bestätigen) werden dann auch niveauvolle Werke , wie - na ja eben der "5. Kopf" - gleich auf den Müllhaufen der Schundliteratur verbannt. Traurig aber wahr! Zumindest geben einem Seiten - wie diese - mal die Möglichkeit ein bisschen zu werben!

Gruß,

Clavius
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Stefan Hoffmann
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Ungelesener Beitrag von Stefan Hoffmann »

Clavius hat geschrieben:Das "Buch der Neuen Sonne" wurde wiederum durch einen fünften Band "Die Urth der Neuen Sonne" abgeschlossen. Wie hat Euch der eigentlich gefallen?
Nun ja, wenn man den 5. Band gelesen hat, dann fragt man sich schon irgendwo, wieso Band 4 jemals als Abschluß gedacht war (war er doch ursprünglich, oder?). Hat natürlich was für sich, daß der Urth-Band den Zyklus zu einem wirklichen, unverrückbaren Ende führt.
Also, ich mochte das Buch wohl leiden. Wie das Warten auf die "neue Sonne" zu einem finalen Abschluß geführt wurde, fand ich ehrlich gesagt genial.

Clavius hat geschrieben:3. Wahrscheinlich liegt ein Grund für die - schleppende - Rezeption der Wolfe' schen Werke schlicht und einfach in ihrer komplexen Struktur. Gerade bei einem Meisterwerk wie dem "5. Kopf" ist es mit einmal Lesen nicht getan! Die Geschichte(n) sind so verwinkelt und virtuos miteinander verbunden, wie ich dies nur selten vorher in der SF erlebt haben. Auch die Milieuschilderungen sind perfekt. Fazit: Wolfe beherrscht nicht nur das kleine Einmaleins der Nachwuchsautoren. Der Mann kann "wirklich" schreiben!
Also, Schreibstil und Erzählsprache von Wolfe bewundere ich.
Ich finde aber schon, daß Wolfe manchmal ZU komplex schreibt. Bei einer Erzählung mag das erträglich sein, wenn man sie dreimal lesen muß, um damit klar zu kommen, bei einem Roman oder einem Romanzyklus wirds aber dann schon etwas arg. IMHO liegt hier Wolfes größte Schwäche: Seine Texte könnten wirklich etwas zugänglicher sein. Du hast also mit deiner Analyse sicherlich recht.


Stefan
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Stefan Hoffmann
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Ungelesener Beitrag von Stefan Hoffmann »

Clavius hat geschrieben:Ich freue mich, dass nun doch noch so etwas wie eine Diskussion ins Rollen gekommen ist!
Leider ist sie nun wieder ein bissi eingeschlafen (was aber in diesem Forum bekanntlich nicht unbedingt "auf ewig entschlafen" heißt). Den "5. Kopf des Zerberus" habe ich übrigens zwischenzeitig aufgetrieben und erwarte nun sehnsüchtig auch noch das "Buch der Feiertage". Doch, ein sehr nützlicher Thread imho. :)


Stefan
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Ungelesener Beitrag von Gast »

Warten wir nicht alle auf das Elaborat von Clavius? :wink:
Clavius
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Ungelesener Beitrag von Clavius »

Keine Bange Leute - ich habe die Sache nicht aus den Augen verloren! Für's erste: Stephan lies Dich schon mal in den "5. Kopf" ein. Dann können wir über Stil, Inhalt etc. plaudern. Was "Das Buch der Feiertage" angeht, so empfehle ich unbedingt "Forlesen". Darin enthalten: "Das Kreativitätsmeeting" - ein Meisterstück der SF - Satire!!!

Bis bald,

Clavius
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Bungle
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Ungelesener Beitrag von Bungle »

Durch die Diskussion angeregt, habe ich "Der 5. Kopf des Zerberus" auch aus dem Regal geholt und von seinem Dornröschen Schlaf erlöst
:wink: @ Clavius: Als ich die ersten Seiten las, musste ich auch an Marcel Proust denken.
Demnächst mehr

MB
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Gast

Ungelesener Beitrag von Gast »

Clavius hat geschrieben:Na ja, zumindest bin ich nicht der einzige Fan (in 2 Tagen eine 100 % ige Steigerung ist schon ganz ordentlich!). Ich glaube, dass das Problem auch darin besteht, dass Wolfe nicht dem konventionellen Erzählstil huldigt. Gerade der "5. Kopf" erinnnert unglaublich stark an Marcel Proust. Es ist schon schwierig einen derartig anspruchsvollen Stil zu kopieren. Ihn weiterentwickelt zu haben ist - meines Erachtens - die wirkliche Leistung an diesem Buch. Es handelt sich um "Gothic Novel" auf höchstem Niveau. Erstaunlich, wenn man an den Mainstream - Schrott und die stilistischen Abscheulichkeiten der üblichen SF denkt. @Nessuno: geh mal auf das "Cave Canem" von Richard Borski. Dort findest Du eine exzellente Enzyklopädie zum "5. Kopf".

Clavius

PS: es bleibt mein Ehrgeiz, dieses Buch auch hierzulande bekannter zu machen!!!
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Gast

Ungelesener Beitrag von Gast »

Eines der besten Bücher, die ich je gelesen habe!!!
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Gaius Baltar

Ungelesener Beitrag von Gaius Baltar »

Meine Güte ist das lang her, als ich diesen Roman gelesen habe: Spielt er nicht auf zwei Planeten, die sich umkreisen? Ich fand die Story sehr anspruchsvoll und ziemlich mysteriös... - muss mal gucken, ob ich den Schmöker noch irgendwo stehen habe!
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