Steven Spielbergs erster Film Noir überrascht durch glasklaren Pessimismus
Inhalt:"Minority Report" spielt im Jahr 2054, das ist zwei Jahre weiter in der Zukunft als Spielbergs letzter Film"A.I.". Doch die Welt, in die uns "Minority Report" führt, sieht unserer ähnlicher. Weil wir sie wiedererkennen, glauben wir auch die Geschichte eher, die Spielberg uns aus ihr erzählt. Ort der Handlung ist Washington D.C.: Die Eingangssequenz zeigt uns digitale Visualisierungen von Gehirnströmen - Erinnerungen an die Zukunft, produziert von menschlichen Geschöpfen, die im Wasser liegen. Sie liegen dort in Thermalanzügen wie riesige Reptilien, sediert, den Kopf verkabelt und angeschlossen an den Computer einer Polizeieinheit zur Vorbeugung von Schwerverbrechen. Sie träumen von Morden. Nicht von irgendwelchen phantastischen Morden, sondern von denen, die geschehen werden. Ist es ein Mord aus Leidenschaft, so grausam, daß die "Prä-Cogs" (von "pre-cognition") genannten Wesen selbst im Drogenkoma zucken und schreien, liegen zwischen Traum und Tat zwanzig Minuten. Wird der Mord kaltblütig geplant, sind es drei Tage. Diese Zeitspanne kann die Polizei nutzen, um zu verhindern, was ohne ihr Eingreifen mit Sicherheit geschehen wird. Die Mörder, die nicht gemordet haben, werden verhaftet, verurteilt und weggesperrt.
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Erstaunlich sind die Fähigkeiten der "Prä-Cogs".
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Daß ihre prognostischen Fähigkeiten auch kurzfristig von praktischem Nutzen sein können, beweist eine humoristische Sequenz in einem Einkaufszentrum. Für einen Augenblick scheint Spielberg in seinen Kinderphantasien Luft zu holen, bevor der Film wieder ins Zwielicht einer Welt abtaucht, in der die Technik dem Menschen nicht mehr dient, sondern ihn zum Objekt ihrer Berechnungen macht.
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Ob sie auch unfehlbar sind, das ist die Frage, um die es in "Minority Report" geht. Ist nicht vor seinem Verbrechen jeder Täter nur ein potentieller Täter, hat er nicht bis zum Augenblick der Tat noch die Wahl, sie nicht auszuführen, gibt es nicht den geringsten Zweifel daran, daß das, was die "Prä-Cogs" träumen, ein Traum bleibt? Tom Cruise spielt den Polizisten John Anderton, der all diese Fragen mit einem überzeugten Nein beantwortet. Bis die "Prä-Cogs" von ihm träumen, von ihm als Mörder. John Anderton flieht.
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Spielberg erzählt mit den Mitteln des Film noir. Sein Held ist ein vom Schicksal zerbrochener Mann, der seine freie Zeit nur im Drogenrausch übersteht. John Anderton hat sechsunddreißig Stunden Zeit, seine Unschuld zu beweisen, sein vorhergesagtes Opfer und den Tatort zu finden und dann den Mord zu begehen oder auch nicht. Auf seinem Weg durch die verkommensten Winkel der Stadt ist er auf die Hilfe bizarrer Gestalten angewiesen, die im Abschaum der technischen Entwicklung existieren. Er muß ein hilfloses Wesen retten und durchs Dunkel reisen, um ans Licht zu kommen.
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Die Vorstellung, des Verbrechens Herr zu werden, indem man es verhindert, ist in diesen Wochen in den Vereinigten Staaten Thema nicht der Filmkritik, sondern der politischen Debatte. Verdächtige aufzuspüren, die in Zukunft möglicherweise einen terroristischen Anschlag planen könnten, sie dingfest zu machen und aus dem Vekehr zu ziehen, bevor sie straffällig werden, ist eines der erklärten Ziele der amerikanischen Regierung. Spielbergs Film war lange fertig, bevor diese Überlegungen die Öffentlichkeit erreichten. Wenn "Minority Report" heute in den Kinos überall im Land (USA) anläuft, wird er dennoch unvermeidlich als Kommentar zu den neuen Richtlinien zur inneren Sicherheit gesehen werden. Politische Entscheidungen wird er nicht beeinflussen. Aber vielleicht wird er zum Emblem einer Warnung, wie es einst George Orwells "1984" war.
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"Minority Report" ist eine technische Vision und gleichzeitig eine Genrestudie aus der Geschichte des Kinos. Die Vorlage schrieb Philipp K. Dick - der Autor, aus dessen Buch "Träumen Androiden von elektrischen Schafen?" einst Ridley Scotts "Blade Runner" wurde - in den fünfziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts. Sie ist eine düstere Phantasie über die Verschmelzung von Mensch und Maschine und über skrupellose Regierungsbeamte, deren Karriere auf den verkabelten Körpern anderer gebaut ist. Nichts in Spielbergs Werdegang wies darauf hin, daß es ihn reizen könnte, diese Geschichte mit den Mitteln des Kinos noch einmal zu erzählen. Vielleicht liegt es an der Fremdheit des Stoffs, die so quer zu seinen gewohnten Erzählmustern liegt, daß "Minority Report" sein bester Film seit vielen Jahren geworden ist.
Klingt doch vielversprechend, oder? Warte jedenfalls gespannt auf die Deutschlandpremiere.
