Thomas Wawerka hat geschrieben:Beverly hat geschrieben:Thomas Wawerka hat geschrieben:
Warum sollten wir die Erde hinter uns lassen? Was wäre besser als sie?
Warum sollten die Menschen Afrika verlassen?
Kein Kontinent ist besser als er.
In der Tat - warum haben sie das getan?
Diese Frage ist noch offen geblieben und hat mich gewurmt. Abgesehen davon, dass die frühen Hominiden keine Vorstellung von "Afrika" oder überhaupt von Kontinenten hatten, versuche ich mal die Annäherung an eine Theorie.
Nach allem, was wir wissen, hatten die frühen Hominiden folgende Merkmale:
- Sie waren Jäger und Sammler, vorzugsweise in Steppengebieten.
- Sie waren nicht fähig, komplexere Sozialsysteme zu bilden.
- Sie waren bei der Nahrungsbeschaffung nicht wählerisch und töteten und verspeisten auch eigene Artgenossen.
Daraus ist zu schlussfolgern: Mit dem Bevölkerungswachstum kam es in einem Gebiet (wie groß auch immer) irgendwann zu einem Populations-Sättigungsgrad. Ab einer bestimmten Bevölkerungsdichte waren nicht noch mehr Individuen in dieses Gebiet integrierbar - nicht einmal unbedingt der Ressourcen wegen, sondern weil es die Sozialkompetenz einer Gruppe (wie groß auch immer) überstieg. Ein Teil der Gruppe musste sich also abspalten und weiterziehen - wobei man sich dieses "Weiterziehen" ganz und gar unspektakulär vorzustellen hat:
"Von der Olduvai-Schlucht [in Tansania] nach Kapstadt in Südafrika ist es ein weiter Weg - 2500 Kilometer -, doch um diese Strecke in 100 000 Jahren zu überwinden (allem Anschein nach dauerte es tatsächlich so lange), mussten die Affenmenschen wohl nichts anderes tun, als den Raum ihrer Nahrungssuche jedes Jahr um durchschnittlich 35 Meter in eine Richtung zu erweitern." (Ian Morris, "Wer regiert die Welt?", 54)
35 Meter - das ist nun wirklich nicht gerade das, was man sich gemeinhin unter der "Eroberung von Neuland" vorstellt. Natürlich gab es nicht so eine permanente langsame Bewegung. Wenn der Populations-Sättigungsgrad erreicht war, spaltete sich eine Gruppe ab und zog vielleicht 30 km weiter (vielleicht weniger - vielleicht auch mehr) - der Punkt ist: Die frühen Hominiden erschlossen sich nicht mit neuzeitlicher Eroberungslust fremde Gebiete. Kein Individuum und auch keine Gruppe von Individuen gelangte jemals über eine Klimazone, ja nicht einmal über einen eng begrenzten Horizont hinaus. Ganz im Gegenteil:
Jeder blieb, wo er war! Die Ausbreitung ist das Resultat einer äußerst langsamen Generationendrift.
Das führt uns zu der Frage, warum die Gruppen im kälteren Norden nicht zurück in den wärmeren Süden zogen. Dazu zwei Hinweise:
1. Die Gebiete im Süden waren bereits "besetzt", "markiert", als "Revier" von jeweils einer bestimmten Gruppe in Anspruch genommen. Wer in dieses Revier eindrang, riskierte zu allen sonstigen Gefahren auch noch von den eigenen Artgenossen gejagt und gefressen zu werden. Der Fundort Zhoukoudian nahe Peking war nachweislich 250 000 Jahre lang von einer Population des Peking-Menschen besetzt (aaO, 59) -
250 000 Jahre! In diesem Zeitraum müssen sich tausende Gruppen abgespalten haben und weitergezogen sein. Zurück nach Zhoukoudian konnte allerdings keine von ihnen. Manche mögen es versucht haben, im Ganzen gesehen ist es dennoch plausibler, dass neue Gruppen die unbesetzten Gebiete bevorzugten.
2. Der kältere Norden begünstigte die evolutionäre Entwicklung und Anpassung. Für ein Individuum war das freilich nicht spürbar, für eine gesamte Population schon. Die Hominiden waren an die Gebiete optimal angepasst, in denen sie lebten. Es gab auch daher keinen Grund, in besetzte Gebiete einzudringen.
Soweit erste Rechercheergebnisse.
"Hilfreich wäre es, wenn wir die, die sich dem Leistungsdruck widersetzen, bewundern, anstatt sie als Loser anzusehen." -
Svenja Flaßpöhler