Dystopien sind reaktionär!

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Shock Wave Rider
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Re: Dystopien sind reaktionär!

Ungelesener Beitrag von Shock Wave Rider »

Kringel hat geschrieben: 29. Oktober 2024 17:05 ...oder über das von KIs regierte Polis-Universum bei Neal Asher. Wer in dieser Welt lebt, muss sich mehr oder weniger damit abfinden, von den KIs quasi als Haustier behandelt zu werden, profitiert aber von Frieden und Rundumversorgung. Ist das dystopisch oder utopisch?
Ja.

Gruß
Ralf,
weiß, dass das Dritte ausgeschlossen ist
Zuletzt geändert von Shock Wave Rider am 29. Oktober 2024 20:08, insgesamt 1-mal geändert.
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Flossensauger
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Re: Dystopien sind reaktionär!

Ungelesener Beitrag von Flossensauger »

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Ich weiss, es stimmt nicht: Mancher (keiner hier, nicht persönlich gemeint) hätte am liebsten einen friendly fascism, und alles wäre gut.
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Re: Dystopien sind reaktionär!

Ungelesener Beitrag von L.N. Muhr »

Das ist im Kern die alte Leviathan-These von Hobbes.
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Naut
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Re: Dystopien sind reaktionär!

Ungelesener Beitrag von Naut »

L.N. Muhr hat geschrieben: 29. Oktober 2024 12:29 Im Übrigen sollten wir uns von der Idee verabschieden, dass es ein Konzept für alle Menschen und alle Zeiten gibt. Das ist der Fehler, den auch viele Utopien machen, sie entwerfen irgendwas, und das steht dann und berücksichtigt nicht den Wandel der Zeit. Das ist wie mit Gerechtigkeit (und alle Utopien sind letztlich Gerechtigkeitssuchen): es gibt kein statisches Rezept für Gerechtigkeit, es gibt nur Annäherungsformen, und man muss ständig austarieren, neu verhandeln, den Kurs ändern.
Wenn die SF solche Konzepte behandeln würde, wäre sie immerhin schon mal in der Postmoderne angekommen, nämlich bei der diskursiven Rationalität. Das mag für Einzelwerke gegeben sein (Beispiele? Vielleicht Jeff Vandermeer oder so, Dune vielleicht, in Ansätzen) aber der Großteil verharrt doch irgendwie in der Moderne oder noch davor.
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Re: Dystopien sind reaktionär!

Ungelesener Beitrag von Uschi Zietsch »

Kringel hat geschrieben: 29. Oktober 2024 17:05 ...oder über das von KIs regierte Polis-Universum bei Neal Asher. Wer in dieser Welt lebt, muss sich mehr oder weniger damit abfinden, von den KIs quasi als Haustier behandelt zu werden, profitiert aber von Frieden und Rundumversorgung. Ist das dystopisch oder utopisch?
Für mich dystopisch. Grauenvoll. Ich hab dazu auch mal mehrere Storys gemacht (zu finden in Werkband 1). ^^
Für andere wäre das sicherlich das Paradies - man muss über nix mehr nachdenken und keine Verantwortung übernehmen.
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Re: Dystopien sind reaktionär!

Ungelesener Beitrag von Knochenmann »

Och, ich hätte nichts dagegen in der Kultur zu leben.

Aber was anders, und nur zur Erinnerung: die beiden größten und zerstörerrischenten politischen Bewegungen des 20. Jarhunderts, nämlich der Nazionalsozialismus und der Kommunismus haben sich auch selber als Utopien oder als utopische Erzählungen verstanden.

Deswegen: ob irgendwas eine Utopie oder eine Dystopie ist hängt nur davon ab auf welcher Seite der Klotür man ist.
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Re: Dystopien sind reaktionär!

Ungelesener Beitrag von Uschi Zietsch »

Das ist ja immer so, angefangen bei Gut und Böse.
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Re: Dystopien sind reaktionär!

Ungelesener Beitrag von L.N. Muhr »

Knochenmann hat geschrieben: 30. Oktober 2024 08:12 Och, ich hätte nichts dagegen in der Kultur zu leben.

Aber was anders, und nur zur Erinnerung: die beiden größten und zerstörerrischenten politischen Bewegungen des 20. Jarhunderts, nämlich der Nazionalsozialismus und der Kommunismus haben sich auch selber als Utopien oder als utopische Erzählungen verstanden.

Deswegen: ob irgendwas eine Utopie oder eine Dystopie ist hängt nur davon ab auf welcher Seite der Klotür man ist.
Wie weiter oben ausführlich von mir ausgeführt.
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Re: Dystopien sind reaktionär!

Ungelesener Beitrag von Flossensauger »

Nix anderes wollte ich mit meinen (zugegeben etwas pubertären) memes sagen.
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All An!
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Re: Dystopien sind reaktionär!

Ungelesener Beitrag von All An! »

ARTE hat vor einiger Zeit in der »Wissensreihe« 42 den Filmbeitrag Brauchen wir mehr Utopien? (hier auf Youtube mit Diskussion) ausgestrahlt. Ich halte den Beitrag für sehr gelungen. Z. B. wird ab Minute 7:00 anhand des Unterschieds zwischen perspektivischem und explorativem Denken deutlich gemacht, warum es schwieriger ist, eine Utopie statt einer Dystopie zu verfassen und zu lesen.

Eine interessante Utopie und erst recht der Weg dorthin, lässt sich m. M. nicht nur aus der Perspektive einiger Romanfiguren beschreiben. Individuen sind ja nicht die einzigen Treiber der Geschichte (historisch) und können daher nicht die einzigen Treiber der Geschichte (literarisch) sein. Vielmehr muss der Raum möglicher natürlicher, technischer und sozialer Entwicklungen irgendwie »exploriert« werden, ohne die Leserschaft zu sehr zu langweilen. So finde ich, dass das viel gelobte Ministerium für die Zukunft von Kim S. Robinson oder auch RCE von Sybille Berg beide sehr gut recherchiert sind, Fakten und Konzepte aber jeweils ziemlich uninspiriert in einen dünnen und langatmigen Plot eingestreut werden. Von arrivierten Autoren hatte ich mir da etwas mehr Fantasie und Einfallsreichtum erwartet. Theresa Hannigs Pantopia dagegen halte ich für eine ziemlich gelungene zeitgenössische Utopie.
WeepingElf hat geschrieben: 28. Oktober 2024 16:01 Also geht mein Appell an alle Autoren, die sich mit der nahen Zukunft befassen: Schluss mit den Dystopien! Mehr positive Visionen! Denn die Zukunft ist zu wichtig, um sie den Pessimisten zu überlassen, und die Sehnsucht nach einer besseren Vergangenheit ist gefährlich.
Genau das habe ich mir vor zwei Jahren auch gedacht, und mich deshalb daran gemacht, einen utopischen Roman zu verfassen, der schon vom Ton her den, wie ich finde, immer sehr ähnlichen dystopischen Bildern und Geschichten etwas entgegensetzt. Dabei ging es mir weniger um die perfekte Utopie (die, wie hier bereits verschiedentlich beschrieben, immer problematisch ist), sondern um langfristige »utopische« Entwicklungen und deren Zusammenhang. Wie auch immer: Den Roman kann man jetzt lesen. Näheres dazu in dem dafür vorgesehenen Forum Ankündigungen und Neuerscheinungen.

Was die Wirkmächtigkeit solcher Werke angeht, glaube ich schon, dass sie in der Masse unterschwellig den Zeitgeist und das Lebensgefühl von Generationen mitbestimmen. Man denke nur an das Golden Age der SF in den fünfziger Jahren und die damals grassierende Fortschrittsgläubigkeit.
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Andreas Eschbach
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Re: Dystopien sind reaktionär!

Ungelesener Beitrag von Andreas Eschbach »

All An! hat geschrieben: 1. November 2024 13:19 Was die Wirkmächtigkeit solcher Werke angeht, glaube ich schon, dass sie in der Masse unterschwellig den Zeitgeist und das Lebensgefühl von Generationen mitbestimmen. Man denke nur an das Golden Age der SF in den fünfziger Jahren und die damals grassierende Fortschrittsgläubigkeit.
Ich denke, dass es sich genau andersherum verhält: dass die Literatur, auch in der SF, Ausdruck des jeweiligen Zeitgeistes und Lebensgefühls ist, der wiederum von den realen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen geprägt wird.
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Shock Wave Rider
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Re: Dystopien sind reaktionär!

Ungelesener Beitrag von Shock Wave Rider »

All An! hat geschrieben: 1. November 2024 13:19 Was die Wirkmächtigkeit solcher Werke angeht, glaube ich schon, dass sie in der Masse unterschwellig den Zeitgeist und das Lebensgefühl von Generationen mitbestimmen. Man denke nur an das Golden Age der SF in den fünfziger Jahren und die damals grassierende Fortschrittsgläubigkeit.
Hmm...
Korrelation und Kausalität? Ursache und Wirkung?
Meine Gegenthese lautet: Das Golden Age der SF (das mW schon in den vierziger Jahren begann) ritt auf der damaligen Welle grassierender Fortschrittsgläubigkeit mit und entfaltete sich dort, darauf und deswegen.

Gruß
Ralf

PS: Da war Andreas schneller.
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Re: Dystopien sind reaktionär!

Ungelesener Beitrag von All An! »

Okay, aber wenn "gesellschaftliche Entwicklungen" auch die kulturellen umfassen, geht es in beide Richtungen, was ja dann auch zu positiven Rückkoppelungen führen kann (z. B. bei der 69er Generation zu beobachten).

Und dann kann ich noch Carl Sagan auffahren (1978, zitiert nach https://en.wikipedia.org/wiki/Golden_Ag ... ce_Fiction):
Many scientists deeply involved in the exploration of the solar system (myself among them) were first turned in that direction by science fiction. And the fact that some of that science fiction was not of the highest quality is irrelevant. Ten year‐olds do not read the scientific literature.
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All An!
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Re: Dystopien sind reaktionär!

Ungelesener Beitrag von All An! »

Bei der Gelegenheit will ich auch noch auf die Tagung Klimafiktionen 2024 hinweisen, die am 16.11. in Bochum stattfindet und u. a. der Frage nachgeht:

"Wie lässt sich angemessen vom Klimawandel erzählen? Welche besonderen Schreibweisen, welche neuen Narrative bildet die Gegenwartsliteratur aus, um diese globalen, sehr komplexen Vorgänge, die den Klimawandel prägen, zu beschreiben? Und zudem: Können Klimafiktionen Impulse für die Gegenwart setzten und z.B. als „Ideen-Inkubator“ (Klaudia Seibel, Zukunftsforscherin) fungieren?"

Da geht es also auch um die Wirkung in beide Richtungen. Vielleicht sieht man sich ja da?
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Re: Dystopien sind reaktionär! nope. Dystopien sollen aufzeigen, welcher Weg NICHT genommen werden sollte.

Ungelesener Beitrag von head_in_the_clouds »

Sie sind fester Bestandteil der SF und werden durch sich REAL abzeichnende Tendenzen immer wieder geschrieben werden müssen (zb aktuell Adrian Tchaikovsky's "Alien Clay" aus 2024 hinsichtlich Autoritarismus) .

Der generelle Pessimismus , den du auch in der SF zu sehen glaubst, ist nicht Ursache das zb autoritäre Bewegungen entstehen. Es ist die Wirkung auf entsprechende Tendenzen. Positiv geschilderte Zukunftsszenarien (zb. Transhumanismus) können ebenfalls Gefahren bergen (Disparität zwischen Klassen die sich neurobiologische Enhancements leisten können oder eben nicht).
Die Gefahr besteht ja, das sich vermeintlich positive Entwicklungen in ihr negativ verkehren können (zb wie Ada Palmer es in ihrer "Terra Ignota" Trilogie schildert: Utopien werden zu Dystopien - zb der Kommunsimus Marx und seine Fehlentwicklung im Bolschewismus und Stalinismus.

Auf der anderen Seite der Kapitalismus: In seiner entfesselten Variante oft verwendet in libertärer SF - dort wird die individuelle Freiheit verabsolutiert und keine verpflichtende Moral gegenüber einer Gesellschaft erkannt (zb Heinlein) . Diese Form des Kapitalsimus ist eine wesentliche Ursache von Klimawandel und Artensterben.

Ein Gegenbespiel (und da bin ich bei dir) ist Kim Stanley Robinson ("Das Ministerium für die Zukunft" oder sein "New York 2140", "Mars Trilogie") , wo er sich bemüht , Lösungen mit aufzuzeigen - aber er thematisiert eben auch die Ursachen, die diese notwendig machen. Alles andere birgt die Gefahr in Eskapismus zu verfallen.

Ich kann nachvollziehen, das du ein Problem siehst, das sich bad news besser verkaufen als gute - und das ist ebenso ein Fakt der menschlichen Psychologie. Aber gerade deswegen sind Autoren , die zeigen wie sich die Psyche sich durch verändernde gesellschaftliche und technische Entwicklungen mitverändert (J. G. Ballard's "Katastrophenquartett" Romane in der ersten Hälfte der 1960er , oder William Gibson's Neuromancer Trilogie) so wichtig.

Eigentlich müssten sogar mehr Dystopien folgen, nachdem was in den USA oder hier bei antidemokratischen Parteien wie AFD passiert. Einer progressiven SF Literaturform reaktionäre Tendenzen zuzuorden, ist eine provokante(!) Umkehrung der Absicht dieses Genre und tut ihm unrecht und ist in deiner bestimmt guten Absicht als Mahner AUCH positive Entwicklungen zu schildern (die es ja gibt , s. Robinson) eher kontraproduktiv.
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