Mein Take: Michael Bishop - "Nur die Zeit zum Feind"
Original: „No Enemy But Time”, 1982
Nebula Award Winner 1983
Der Zeitreiseroman von Michael Bishop wurde in einer der letzten phantastisch!-Ausgaben besprochen. Deshalb fiel meine Wahl auf dieses Werk.
Das Setting ist cool. In seinen Träumen erscheinen John-John, wie er mehr oder weniger liebevoll genannt wird, Bilder aus weiter prähistorischer Vergangenheit. Ich mag es, wenn Träume mehr sind und mehr bewirken als „nur“ Träume. Hier erweisen sie sich als Erinnerung an eine Zeitreise, die erst noch stattfinden wird. Aber diese Zeitreisen scheinen nur mit entsprechenden Träumer zu funktionieren.“Der Buchrücken“ hat geschrieben: John Monegal, Sohn einer stummen spanischen Prostituierten und eines farbigen Amerikaners, kommt in einem Elendsviertel bei Sevilla zur Welt. Schon als Kind zur Regression gezwungen, zieht er sich in seine Traumwelten zurück. Doch seine Träume sind anders als die anderer Menschen, sie sind konsistent, bilden ein zusammenhängendes Muster.
Doch dessen wird er viel später erst gewahr. Als Findelkind den Amerikanern der nahen Luftwaffenbasis ausgehändigt, kommt er in die Vereinigten Staaten und wächst in Florida und Kansas auf.
Als er älter wird, beginnt er seine Träume aufzuzeichnen: sie sind Berichte aus dem Innern Afrikas – doch nicht des Afrikas von heute, es sind Szenen aus dem Pleistozän, eine Million Jahre in der Vergangenheit, wie er anhand der Tierformen feststellen kann. Doch wie sind diese Bilder in seinen Kopf gelangt? Sind es Erinnerungen eines Zeitreisenden, der die Epoche besuchen wird? Sie besucht hat? Sind es seine – zukünftigen Erinnerungen?
Es gelingt ihm, Forscher für sein Problem zu interessieren. Er weiß nicht, daß ein Geheimprojekt der Regierung in dieser Richtung existiert, und daß ihr grüßtes Interesse Menschen wie ihm gilt, die solche Träume haben.
Und das Experiment gelingt – wenn auch nicht so, wie die Wissenschaftler sich das vorstellen.
Cool ist auch die Idee, einen modernen Menschen per Zeitreise zu den homines habiles zu schicken und sich auszumalen, wie diese Begegnung wohl verlaufen würde.
Cool ist zum dritten die Idee, Johns moderne Lebensgeschichte und seine Erlebnisse im Pleistozän in parallelen Erzählsträngen zu präsentieren.
Aber, ach, wie wenig macht Bishop letztendlich aus diesen großartigen Randbedingungen! Die Geschichte von Johns prekärer Geburt in Sevilla und wie er als Säugling einer jungen amerikanischen Frau angedreht wird, ist an sich stark, fügt sich aber letztlich nicht in die Gesamtkomposition des Romans ein. Gewiss, es wird noch einmal aufgegriffen, …
So geht es mit vielen Geschehnissen in diesem Buch. Die einzelnen Szenen, die einzelnen Geschichten sind durchaus interessant und könnten ein schönes Mosaikstück in einem starken Roman bilden. Aber sie bleiben zu sehr vereinzelt und nebeneinander und bilden kaum ein rundes, einheitliches Kunstwerk. Anfang der 80er-Jahre sollte man dieser traditionellen Erzählweise von Abenteuer-Romanen entwachsen sein.
Zudem konnte ich nie eine echte Bindung zu John-John aufbauen. Auch wenn ich wegen vieler Schicksalsschläge mit ihm mitfühlen könnte (z.B. stirbt seine homo-habilis-Frau bei der Geburt der gemeinsamen Tochter) – seine Gefühle bleiben meist zu distanziert, zu viele Punkte hakt er viel zu leicht ab, zu viele Ansätze werden nicht genügend ausgearbeitet. Während der Lektüre mutmaßte ich wiederholt, ob die Übersetzung von Biggy Winter hier eine Rolle spielt.
„Nur die Zeit zum Feind“ will zu viel und schafft letztlich zu wenig. Hätte Bishop den Plot etwas zurechtgestutzt und einigen Wildwuchs beseitigt, und hätte er sich stattdessen stärker auf das innere Erleben seines Protagonisten konzentriert und selbiges auch stärker und intensiver ausgearbeitet, dann hätte das ein ganz großer Roman werden können. So bleibt eine Aneinanderreihung einzelner Ereignisse, starke Ideen, die nur oberflächlich ausgearbeitet werden (z.B. wie genau die Zeitreise technisch funktioniert), und einen sprachlich angenehmen Schreibstil, der den Leser aber zu sehr auf Abstand hält. Man kann das Buch lesen, und ich bereue auch nicht, es gelesen zu haben. Aber letztlich empfand ich es als vergebene Chance. Gab es 1982 wirklich keinen besseren Roman?
Mit dem vorliegenden Buch habe ich zum zweiten mal die diesjährige Lese-Challenge beendet. Ein umfassendes Schlussfazit über beide Challenges möchte ich in einem separaten Posting ziehen.
Nur so viel: ich hätte mir gewünscht, dass Teddy auch mit seiner zweiten Challenge vor mir fertig geworden wäre. Schließlich hat er als erster eine zweite Challenge in einem Jahr begonnen. Auf der anderen Seite sah ich aber auch nicht ein, bewusst langsam zu lesen.
Prähistorischer Gruß
Ralf
[X] original deutschsprachig, 2024 erschienen| p.machinery Verlag – NOVA 34
[X] Erstveröffentlichung vor 1963| Albert Daiber – Die Weltensegler (1910) und Vom Mars zur Erde (1914)
[X] Sieger Nebula Award| Michael Bishop – Nur die Zeit zum Feind (Nebula Award 1983)
[X] Nachname, in dem ein "l" vorkommt| Stephen R. DonaLdson – Ein dunkler hungriger Gott erwacht (Amnion 3)
[X] Handlung spielt auf Raumschiff| Stephen R. Donaldson – Heut sterben alle Götter (Amnion 5)
[X]"und" oder "oder" im Titel| Gabriele Behrend – Dornengras & Ginsterzweig
[X] Original weder deutsch noch englisch| Stanisław Lem – Solaris (poln. Original „Solaris“ von 1961)