diogenes hat geschrieben:Ich glaube aber, dass Du, heino, mit der Weltflucht durchaus Recht haben könntest.
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Solange das nicht eine gewisses Maß übersteigt, ist nichts dagegen einzuwenden, aber Literatur, die unsere Gesellschaft kritisiert, ist für solche Zwecke wohl eher ungeeignet.
Hmm. Drei Punkte möchte ich hier anmerken:
1.) In Tolkiens Büchern, insbesondere dem Herrn der Ringe, steckt durchaus eine gehörige Portion Kritik unserer Gesellschaft; allerdings eine sehr spezielle Form der Kritik (man mag sie reaktionär nennen, man könnte sie mit etwas gutem Willen auch als 'ökologisch avant la lettre' bezeichnen), die noch dazu sehr unterschwellig daherkommt. Aber in gewisser Weise ist vielleicht die Tatsache, daß die Leute sich so gerne in Tolkiens Welt 'flüchten' *gerade* auch als Ausdruck einer gewissen Kritik anzusehen, auch wenn das die meisten nicht so artikulieren.
2.) Im übrigen muß die Tatsache, daß Leser sich in Tolkiens Welt so zuhause fühlen (wobei das eigentlich das falsche Wort ist, m.E. - man fühlt sich dort eher *unbehaust* - allerdings auf eine Weise, die einen fast physisch daran erinnert, was es bedeutet, *in* der Welt zu leben, also in direktem Kontakt mit einer ungezähmten Natur und anderen großen Kräften, denen man ausgeliefert ist) nicht unbedingt auf ein Fluchtbedürfnis zurückzuführen sein. Es könnte auch einfach daran liegen, daß Tolkien seine Welt mit einer solchen Überzeugung - und Überzeugungskraft - schildert, daß sie für den Leser einfach außerordentlich real wird.
(2.a) Für das Gros der gängigeren Fantasy ist natürlich was dran an der Behauptung, daß dort bequeme Weltflucht ohne größere Irritationsmomente usw. zu haben ist. Wobei dort aber nach meiner Erfahrung nur recht selten ein mit Tolkien vergleichbares 'Abtauchen' in der fantastischen Welt möglich ist, eben, weil diese meist nicht mit der gleichen Überzeugungskraft und mit dem gleichen sprachlichen Geschick geschildert wird. Vielleicht der wahre Grund für die ganzen Endlos-Serien: Zum Aufrechterhalten des Versenkungszustandes muß immer wieder Nachschub konsumiert werden; Mittelerde hingegen verläßt den einmal darin Versunkenen auch ohne Nachschub so schnell nicht (wilde These, nicht ganz ernst gemeint.))
3.) Vielleicht der wichtigste Punkt: Eskapismus ist auch mit sozialkritischen, antiutopischen, düsteren SF-Romane oder was auch immer möglich. Ich bin der beste Beweis. Ich bevorzuge im allgemeinen Bücher, die 'Substanz' haben - gerade solche, die für Eskapismus am wenigsten geeignet sein sollten. Doch ich lese bekennenderweise zu einem nicht geringen Teil aus eskapistischen Motiven - und oft gelingt mir die 'Flucht' aus der Realität mit einem schwer zugänglicheren, 'kritischeren' etc. Buch besser, als sie mir mit einem platten Bestseller nach Schema F gelingen würde. Eine meiner Hauptmotivationen beim Lesen ist z.B. eine durchaus touristisch zu nennende Neugier auf interessante neue Welten. Wie diese im Detail aussehen, ist dabei erstmal relativ egal, solange sie nur einigermaßen originell sind. Da kann das Buch selbst dann so gesellschaftskritisch sein, wie es will - ich bin erstmal als Touristin da. ;-) Aber da ich natürlich zu jenen Reisenden gehöre, die Bildungsreisen gegenüber Strandurlaub bevorzugen, finde ich es dann doch ganz nett, wenn eben noch etwas Substanz da ist neben dem interessanten Setting.
(3.a) Äh... was wollte ich jetzt eigentlich sagen? Und was hat das noch mit dem Thema des Threads zu tun? Und wie ist eigentlich der Forumskonsens zum Thema 'OT/thread hijacking'? ;-))